Welcher Fußball schwebt dem Trainer Klose vor? In Deutschland wird oft noch zwischen der Mit-dem-Ball-Schule und der Gegen-den-Ball-Schule unterschieden.
Ich gehöre ganz klar zum „Team Ballbesitz“, da bin ich sicher noch von meiner Spielerzeit geprägt und von Trainern wie Louis van Gaal, Jogi Löw oder auch Thomas Schaaf. Besonders wichtig ist mir als Trainer etwas, was ich als Spieler selbst erleben musste: Ich will, dass meine Spieler sich so auf dem Feld positionieren, dass sie nicht greifbar sind. Ich erinnere mich da an meine eigene Geschichte, an all die Länderspiele gegen Spanien: Ich wollte in einen Zweikampf gehen, wollte pressen, aber der Ball war schon weg, bevor ich beim Gegenspieler angekommen war. So hat auch Hansi Flick beim FC Bayern spielen lassen, so macht er das jetzt auch in Barcelona.
Wie trainiert man das?
Kleine Spielfelder, enge Räume. Und wir trainieren viel mit einzelnen Mannschaftsteilen und machen viel Individualtraining. Wenn es bei den Mittelfeldspielern beispielsweise ums Aufdrehen geht, halten wir mitten in der Aktion ein Hütchen hoch, und die Spieler müssen die Farbe sagen damit sie lernen, sich umzuschauen, bevor der Ball kommt. In engen Räumen musst du viel den Kopf bewegen. Und es geht auch ums bewusste Locken. Wir üben, druckresistent zu sein, wir wollen nicht abspielen, wenn der Gegenspieler noch sieben Meter von uns entfernt ist. Wir warten, bis der Gegenspieler auf uns zukommt und spielen erst dann. Weil dann hinter dem Gegenspieler ein Raum offen ist.
Erklären Sie doch mal, wie der alte Stürmer Klose konkret mit einem jungen Stürmer arbeitet.
Es geht zum Beispiel um seine Fußstellung. Wir haben Stefanos am Anfang zehn Mal den Ball hingespielt, und er hat ihn sieben Mal anders gestoppt. Dadurch bekommt er aber keine Sicherheit. Wenn dann noch Gegnerdruck und enge Räume dazukommen, machst du Fehler. Es geht also ganz einfach los, mit der Ballannahme so lange, bis er den Ball zehn von zehn Mal auf dieselbe Weise stoppt. Dann geht es weiter mit der Positionierung und den Laufwegen. Wir arbeiten dabei immer mit schrägen Laufwegen.
Mit schrägen Laufwegen?
Ja, weil der Gegenspieler dich dann nicht verletzen kann. (Klose nimmt ein paar Gläser zur Hand und verschiebt sie auf dem Tisch.) Wenn das der Ball ist und das der Stürmer und das der Verteidiger (er schiebt zwei Gläser aneinander), dann scheppert es. Wenn du aber so läufst (schiebt ein Glas schräg am anderen vorbei), dann siehst du den Gegenspieler immer kommen und kannst den Ball zur Seite weglenken oder wenigstens hochspringen.
Sie zeigen es dem Spieler aber nicht mit Gläsern?
Nein, das passiert mit Videos und an der Taktiktafel. Ich gebe ihm den Stift, halte die Situation im Video an und sage: „Was wäre jetzt deine Lösung?“ Dann soll er es auf der Tafel aufmalen. Es bringt ja nichts, wenn ich ihm sage, welche 20 Lösungen ich hätte – er muss sie haben.
So detailliert, wie Sie das schildern, wurde früher mit Ihnen aber nicht gearbeitet.
Nein. Aber ich habe selbst so trainiert. Ich war schon immer besessen von Details. Schon als Spieler habe ich alle Gegner analysiert, die Innenverteidiger, die Außenverteidiger, den Sechser, den Torhüter. Ich wusste schon vor dem Spiel: Spielt der Sechser öfter zum Innenverteidiger oder zum Außenverteidiger? Wie bewegt sich der Torhüter beim Rauslaufen? Auf solche Dinge habe ich mich immer vorbereitet. Das war meine Routine vor jedem Spiel. Klingt zeitintensiv. Als Fußballer ist man oft im Hotel. Und hat Zeit (schmunzelt).
Dringen Sie mit Ihrem wertkonservativen Ansatz denn noch durch zu den Spielern, wenn die mit riesigen Kopfhörern durch die Gegend laufen?
Wir können den Jungen das nicht verübeln, sie werden in einer anderen Welt groß. Die Welt mit den Werten, die wir hatten, die gibt es ja nicht mehr. Und früher war es auch so, dass man als jüngerer Spieler von den älteren Spielern auf die Hölzer bekommen hat. Ich habe in Kaiserslautern mal unbewusst Ciriaco Sforza getunnelt …
… unbewusst?
Ja, der Ball ist versprungen. Ich wollte ihn da mitnehmen (zeigt auf den Fuß), und er ist versprungen und mit dem Schienbein hab’ ich ihm den Ball durch die Beine gespielt. Dann ist mir schwarz vor Augen geworden, weil er (Sforza; Anm.) mich so rasiert hat. Ich wusste gar nicht, was los war, und er sagte nur zu mir: Junge, mach das nicht noch einmal.
Xabi Alonso ist nach seiner kurzen Zeit bei San Sebastians zweiter Mannschaft sofort zu einem Klub mit Champions-League-Ambitionen gegangen.
Ich hatte so ein Angebot ja gar nicht. Das war wie so oft bei mir, die Leute haben es mir am Anfang nicht zugetraut. Sie haben gesagt: Der Klose wird doch nie ein Erstliga-Trainer, der ist viel zu ruhig dafür. Aber ich glaube schon, dass mein Weg irgendwann dorthin gehen kann. In der ersten Liga geht es viel um Details, und darin sehe ich meine Stärke.
Sie lieben die Details, oder?
Ich begreife es als großes Glück, dass ich in der heutigen Zeit Trainer sein darf und nicht vor 15 oder 20 Jahren, als es einen Trainer und einen Co-Trainer gab und sonst nichts. Heute leite ich einen Stab mit acht Leuten. Analyse, Gegnervorbereitung, Trainingskonzeption – all das begeistert mich.
Gestatten Sie zum Schluss noch eine Fachfrage an den Stürmer: Warum verwandelt Harry Kane jeden Elfmeter?
Erstens: weil er die Ruhe hat. Zweitens: weil er alle Varianten drauf hat. Er kann warten, bis der Torwart sich bewegt, und dann lässig ins andere Eck schießen. Wenn der Torwart lange stehen bleibt, hat er genügend Präzision und Tempo im Schuss, um in eine Ecke zu treffen. Flach oder hoch nicht halb hoch. Wenn ich Torwart wäre, wüsste ich aber, was ich zu tun hätte.
Das müssen Sie uns bitte noch verraten!
Harry bietet dem Torwart mit seiner Fußhaltung oft eine Ecke an und zieht den Ball dann im letzten Moment in die andere. Manchmal versuchen Torhüter auch, ihn auszutricksen, indem sie eine Bewegung in eine Ecke antäuschen und dann die andere nehmen, aber damit rechnet er ja. Ich würde als Torwart die Bewegung zweimal antäuschen, und dann möchte ich mal sehen, ob er cool bleibt (lacht)!