Ich nutze mal diesen Thread.
Gestern schrieb ich etwas zum aktuellen Rechtsstreit rund um Martin Kind und dem Verein Hannover 96.
Hier die ursprüngliche Meldung des vorläufigen Urteils, gepostet von
@tennisfun
Formal wird der Richter und Kind wohl recht haben das nur der Aufsichtsrat ihn abberufen kann. Und dafür bräuchte es eine Mehrheit, leider ist der Kind Anteil im Aufsichtsrat bei 50%.
Wenn es so in der Satzung niedergeschrieben ist.
Das Landgericht Hannover hat am Dienstag einer Klage von Martin Kind gegen seine Abberufung als Geschäftsführer der Management GmbH stattgegeben.
www.kicker.de
Hier meine Eindrücke und Erläuterungen zum Rechtsstreit und wie es das Thema 50+1 betrifft.
Letztendlich ist es nur ein Zwischenergebnis. Allerdings mit dem zu erwartendem Ausgang. Denn nur ein wirklich nachvollziehbarer "wichtiger Grund" hätte die Abberufung in dieser Form gerechtfertigt, und diesen hat man offensichtlich nicht vorgelegt.
Dass die Kind-Seite nun wiederholt darauf hinweist, dass das alles mit dem Thema 50+1 ja gar nichts zu tun hätte, ist nicht verwunderlich. Denn genau das ist nämlich die spannenste Frage in dem Fall Hannover 96 im Allgemeinen und dem aktuellen Rechtsstreit im Speziellen. Der Aufsichtsrat der Management GmbH, die für die Profifussballabteilung verantwortlich ist, ist paritätisch von Seiten des Vereins und der Kapitalgeber um Kind besetzt. Demnach hat der Verein keine Möglichkeit mehr, über Stimmberechtigungen mit mehr als 50% die Geschicke des Vereins zu lenken. Anders ist das bspw. bei Hertha und anderen Vereinen in der BL, die ja auch mehr als 50% der Anteile am Verein verkauft haben, aber über eine Mehrheit im Aufsichtsrat der jeweiligen verantwortlichen Firma die Belange der Profiabteilung im Sinne des Wunschs der Vereinsmitglieder gestalten können.
Genau das ist bei Hannover nicht mehr gegeben. Kind wurde auch nie müde das zu betonen, seit das so geregelt ist.
Gilt denn dann überhaupt noch 50+1 bei Hannover? Wurde gegen Ligastatuten verstoßen?
Das ist unklar. Der Verein hat nämlich noch ein Weisungsrecht... eigentlich. Darauf bezieht sich die Vereinsseite auch im aktuellen Fall. Das Weisunsgsrecht des Vereins wurde, afaik, bisher einmal angewendet und zwar in Bezug auf die Einstellung von Mitarbeitern bei einem Gehalt über einem bestimmten Betrag (ausgenommen Spieler), womit der Verein Einfluss auf Personalentscheidungen der Management GmbH nehmen will. Dies könnte für die Geschäftsführung der GmbH selber, aber auch bei Einstellungen in sportlichen Fragen, bspw. einem Sportvorstand, der Fall sein. In Hannover wird spekuliert, ob ein Verstoß gegen diese Weisung der "wichtige Grund" sein könnte, den die Vereinsseite als Grundlage für die Abberufung Kinds anführt.
Fazit: 50+1 ist in Hannover maximal ausgehöhlt. Die Liga hatte damals nichts zu beanstanden, als es zu diesem Konstrukt kam. Ob und wie der Verein über dieses Weisungsrecht Einfluss im Sinne von 50+1 nehmen kann, ist zumindest fraglich. Wie die Management GmbH zukünftig sinnvoll arbeiten soll, wenn man zwei Lager mit grundsätzlich unterschiedlichen Interessen hat, die aber jeweils mit 50% im Aufsichtsrat vertreten sind, steht ebenso in den Sternen. Im Zweifel wird Kind darauf setzen, als Geschäftsführer nicht abberufen werden zu können, weil seine Leute im Aufsichtsrat das verhindern werden. Er also quasi weiterhin machen kann, was er will.
Für Fussballdeutschland ist dieses ganze Theater eben deshalb durchaus relevant.
Nun habe ich über Max-Jacob Ost auf Twitter erfahren, dass auf der DFL-Generalversammlung neues zu dem Thema am Rande erwähnt wurde. Hier Auszüge aus dem
SPOX-Artikel
DFB-Präsident Bernd Neuendorf nutzte die Generalversammlung für einen energischen Appell beim Dauerstreitthema 50+1. Er sehe bei einer Abschaffung "keine Erfolgsgarantie. Ein rein kapitalgetriebenes Event würde die Bundesliga zu einem Spielball der Investoren machen", sagte er. Dies sei weder "wünschenswert noch vermittelbar" und lasse sich "mit den historischen und sozialen Wurzeln des Fußballs in Deutschland nicht vereinbaren".
Der Austausch über die in diesem Zusammenhang vom Kartellamt angeprangerten Sonderregelungen von Bayer Leverkusen, VfL Wolfsburg und der TSG Hoffenheim dauert derweil an. Man sei "in intensiven Gesprächen, um die Ausnahmegenehmigung zu legitimieren", sagte Hopfen. Bezüglich einer strategischen Partnerschaft mit einem Investor habe die Versammlung noch keine finale Entscheidung getroffen.
Vor allem der zweite Absatz mit den Zitaten von Frau Hopfen lässt aufhorchen.
Zur Erinnerung: Das Kartellamt hat letztes Jahr die 50+1 Regelung als aus seiner Sicht bedenkenlos eingestuft. Allerdings rügte es die Ausnahmen, welche für Leverkusen, Hoffenheim und Wolfsburg gelten. Hier ein
SZ-Artikel zu den Einlassungen des Kartellamts (nach 3-jähriger Prüfung).
Auszüge:
Das Kartellamt moniert diese Ausnahmeregeln nun jedoch massiv. Die Umsetzung der eigentlichen Ziele sei so nicht mehr einheitlich gegenüber sämtlichen Klubs gesichert. "Hierdurch entstehen Zweifel an der Eignung der Gesamtregelung zur Organisation eines sportlich fairen, vereinsgeprägten Wettbewerbs", heißt es in der Stellungnahme: "Wenn einigen Klubs größere Möglichkeiten zur Einwerbung von Eigenkapital zur Verfügung stehen als anderen, dürfte dies nicht zur Ausgeglichenheit des sportlichen Wettbewerbs beitragen, sondern ihn eher verzerren."
Später hat sich dann die DFL dazu geäußert. Sie hatte die Prüfung durch das Kartellamt selbst beauftragt, um die Rechtssicherheit der Regel, welche 3 Jahre zuvor noch von den Mitgliedern per Abstimmung bestätigt wurde, prüfen zu lassen. Aus dem
Sportschau-Artikel zur Reaktion der DFL zitiere ich den Präsidenten des Bundeskartellamts wie folgt:
"Die 50+1-Regel ist für uns nicht zu beanstanden. Sie wird aber mit der Förderausnahme mit einem Mal in Gänze beseitigt. Also es gibt nur heiß oder kalt, hopp oder top." Mundt hatte deshalb eine sachliche Debatte aller Beteiligten empfohlen, und Lösungsvorschläge seitens der DFL eingefordert: "Der Ball liegt jetzt ganz eindeutig im Feld der DFL. Es gilt, Lösungen aufzuzeigen, wie man diese Gesamtregel, also 50+1 und die Ausnahmen, kartellrechtskonform gestalten kann."
Den letzten zitierten Satz will die DFL also nun angehen. Man möchte die 3 Konstrukte in der Liga halten. Im Sportschau-Artikel wurde schon (mMn hanebüchen) seitens der DFL dafür argumentiert, nun sollen Regelungen geschaffen werden, um das mit den Vorgaben des Kartellamts in Einklang zu bringen.
Weshalb geht es dabei nur um die drei genannten, fragt ihr euch? Was ist mit Leipzig? Nun, die mögen zwar sportlich gesehen am unfairsten agieren, stellen aber rein formell keine Ausnahme von 50+1 dar, weil sie es mit ihrer Peversion eines Vereinsgebildes schaffen, den "Verein" komplett zu kontrollieren und somit den Grundgedanken von 50+1 ad absurdum zu führen. Allein die kleineren Umstände bei diesem Weg dorthin sowie die "lange" Wartezeit bis zur Erreichung der Spitze des Profifussballs, dürften dazu führen, dass andere Investoren nicht Leipzigs Beispiel folgen. Natürlich auch, weil es attraktivere Ziele als die Bundesliga gibt.
Fazit: Die Fragen rund um die Ausnahmen von 50+1, sowohl auf die drei genannten bezogen, als auch auf Konstrukte wie bei Hertha, Augsburg und vor allem Hannover, sind weiterhin ungeklärt und lassen das kartellrechtlich eigentlich wasserdichte 50+1 doch instabil wirken. Umso spannender sind demnach die Entscheidungen dazu, sowohl seitens der Gerichte, als auch seitens der DFL.
Weitere Themen der DFL-Generalversammlung:
Watzke wurde einstimmig (35 Ja, eine Enthaltung) als Aufsichtsratsvorsitzender wiedergewählt.
Besonders spannend war aber auch der zweite von mir oben zitierte Satz von Donata Hopfen. Dabei geht es um eine Investorenbeteiligung an der DFL selber, bzw. ihrer Tochterfirmen (bspw. zur Auslandsvermarktung). Das kann dann bspw. in Werbeverträgen zu Namensrechten der Liga münden. Zudem würden böse Zungen behaupten, dass es weiteren Druck hinsichtlich einer Gewinnmaximierung der Liga selbst bedeuten könne. Aus anderen Ligen bekannte Konzepte sind: weitere Pokalwettbewerbe, Spiele im Ausland (Supercup in Saudi-Arabien) u.ä.
Das sind aber eher Themen für einen anderen Thread.
Insgesamt habe ich das Gefühl, dass das Thema 50+1 kaum noch Interesse weckt. Alle scheinen sich ihre Meinung dazu gebildet zu haben, was in der breiten Masse wohl eher auf oberflächlichen Erkenntnissen beruht. Zudem scheint es stark mit der sportlichen Einseitigkeit zusammenzuhängen, wie man sich dazu positioniert. Für mich gehen dabei viele Aspekte der Debatte verloren.
Was sagt ihr zum Thema allgemein und zu den aktuellen, von mir hier angesprochenen, Entwicklungen im Speziellen?