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Jenseits der Stille
Veröffentlicht von Adrian Bauer am 14. Nov 2007 um 11:54 in Specials.
Wie klingt es, wenn 20.000 Fans ihr Team nach vorne schreien? Sind die Nets-Fans so langweilig wie ihr Ruf? Was bitte ist ein “Boki”? Diese Fragen durfte ich live vor Ort klären - ein Bericht aus dem Izod Center.
Jaaaaa, es ist das Sumpfgebiet auf der anderen Seite des Hudson River. Jaaaaaaaaaa, es sind die Clippers von New York. Jaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa, das Team ist in etwa so sexy wie Helga Beimer und Elton zusammen. Na und? Es ist ein NBA-Spiel und es geht gegen die Chicago Bulls. So in etwa muss man argumentieren, wenn man einem Nicht-so-wirklich-Basketball-Fan erklären muss, dass man sich freiwillig die New Jersey Nets anschauen will. Warum eigentlich? Die Nets haben objektiv betrachtet ein gutes Team: Einen der besten Point Guards aller Zeiten, zwei der besten Athleten der Liga und sie sind seit Jahren ein sicherer Kandidat für die Playoffs.Trotzdem erscheinen sie Otto-Normalverbraucher so attraktiv wie Tellersülze.
Bei der Anwort auf diese Frage helfen mir die drei Fragen vom ersten Absatz.
1. Wie klingt es, wenn 20.000 Fans ihr Team nach vorne schreien?
Das klingt super, Gänsehaut-Feeling, man ist sofort mitgerissen und muss selbst schreien: “Let’s go, Rangers, let’s go!” Jaaaaaaaa, die Rangers, was für Hockey-Team! Aber wir reden vom Basketball und mit “Nets” wird man diesen Ruf wohl nie erleben, denn die größtmögliche Begeisterung der Fans im Izod Center (wie die Halle in East Rutherford seit dieser Saison heißt) lässt sich bequem unter jeder Tür durchschieben. Während der ersten Halbzeit des Spiels gegen Chicago erheben die Fans des anderen New Yorker Teams genau einmal die Stimme: Als Richard Jefferson die Freiheitsstaue gibt und per Slam über zwei Verteidiger abschließt. Ansonsten herrscht Stille in der Halle, die nicht einmal zum Saisonopener, bei dem es gegen ein richtig gutes Ost-Team geht, ausverkauft ist. Daran können auch die schicken Käppis, die jeder am Eingang für lau in die Hand gedrückt bekommt, nichts ändern.
So etwas wie Stimmung kommt erst auf als die Nets in der zweiten Hälfte beginnen, ihren durch gute Defense (für einen Season-Opener) aufgebauten zehn-Punkte-Vorsprung durch Unachtsamkeiten zu vergeigen. Speziell Vince Carter, dem in dieser Phase fast nichts gelingt, wird ordentlich zusammengebrüllt. Den Höhepunkt erreicht der VC-Ripoff als sich der Star in bester Schulbuben-Manier von Luol Deng an der Mittellinie den Ball klauen lässt. “What ‘u get all that money for?” ist noch das Allernetteste, das er sich anhören muss.
Doch dank des Hallensprechers, der auf dem Videowürfel immer öfter “Make some Noise” bzw. ein “Noise-o-meter” einblendet, erwachen die Nets-Fans aus ihrem Tiefschlaf und sorgen wenigstens für etwas Lärm. Den Stoff für die Begeisterung liefert meist Antoine Wright, der sein Team mit Dreiern in der Partie hält und in der Verlängerung zum Matchwinner wird. Der schlussendliche Sieg ihres Teams ist den Nets-Fans dann sogar etwas Applaus wert. Boah ey!
2. Frage: Sind die Nets-Fans so langweilig wie ihr Ruf?
Nach der Antwort auf Frage 1 könnte man meinen, die Antwort kann nur “Ja, verdammt!!!!!” lauten. Doch das stimmt so nicht ganz. Die Fans sind durchaus unterhaltsam, sie sind halt nur nicht so wirklich am Basketball interessiert. Das merkt man, wenn man in den zahlreichen Viertelpausen, Auszeiten und sonstigen Unterbrechungen den Blick ein wenig schweifen lässt. Zum Beispiel sieht man vor einem die liebe Familie aus dem Hause “White Trash”. Da ist zum einen die zart verhaltensgestörte zehnjährige Tochter, die eigentlich lieber wonaders wäre und zum Zeitvertreib mit einem der vor dem Spiel ausgegebenen aufblasbaren Noise Sticks auf Daddys Kopf einschlägt.
Da Daddy höchstwahrscheinlich betrunken ist, lässt er die Prügel auch ohne großes Murren über sich ergehen. Wenn es ihm zu doof wird, steht er einfach auf und raubt damit den hinter ihm Sitzenden die Sicht. So steht er dann rum, bis ihn entweder seine Frau rüde zurück auf seinen Stuhl zieht oder einer der “I can’t see”-Rufe der Leute hinter ihm durch die rosarote Alk-Glocke um seinen Kopf dringt. Wenigstens schläft der treusorgende Papi irgendwann im vierten Viertel ein und stört so nicht mehr den Genuss der Leute in den Reihen hinter ihm.
Mutti versucht derweil, die durchgedrehte Tochter zu beruhigen und redet ansonsten mit ihrer Schwester. Letztgenannte gleicht die durch die Entfernung eher mittelprächtige Sicht auf die Cheerleader aus, denn sie hat sich als Halloween-Kostüm eine hautenge, tief ausgeschnittene Polizeiuniform ausgesucht. Niiiiiiiiiiiiiiice, bitte nimm mich fest!
Ansonsten sitzt in dem Block auch noch ein echter Hardcore-Fan. Einer, der alles für sein Team tut. Einer, der die Mannschaft nach vorne peitschen will, egal, ob die anderen Zuschauer mitschreien oder nicht. Und so spingt er immer wieder auf, erhebt seine Stimme und brüllt: “Go Chicago!” Jepp, der einzige echte Fan in Hörweite schreit für die Bulls. Bezeichnend.
Frage 3: Was bitte ist ein “Boki”?
Dass englischsprachige Menschen im Allgemeinen und Amerikaner im Besonderen hier und da Probleme haben, Namen von außerhalb des anglophonen Sprachraums richtig auszusprechen ist ein bekanntes und leider wahres Klischee. Fragt nach bei Dörk Nowisski, Meikel Schumakker oder dem Eishockeyspieler Tiimu Sellani. Um für anglophone Zungen ganz fiese Kombinationen zu umgehen ist man mit der zunehmenden Internationalisierung der NBA dazu übergegangen, aussprechbare Spitznamen zu vegeben: Emmanuel Ginobili heißt deshalb schlicht Manu, Radoslav Nesterovic wurde zu Rasho und Zaur Pachulia wird Zaza genannt. Auf diesen Zug wollten die Nets auch aufspringen und legten ihrem slowenischen Scharfschützen Bostjan Nachbar auch einen netten Spitznamen zu: “Boki”. Der Sinn des Ganzen verschließt sich mir zwar, denn “Bostschian” klingt eigentlich genau wie “Bästschian” und dieser Name kommt dem Amerikaner an sich eigentlich ganz leicht über die Lippen. Aber wenn man das meint in New Jersey, dann nennt ihn eben “Boki”.
Bevor man mich falsch versteht: Ich bin nach wie vor der Meinung, dass die Nets ein gutes Basketballteam haben. Wer aber Stimmung, Nervenkitzel, Adrenalin erleben will, der muss entweder woanders hinfliegen oder darauf vertrauen, dass sich die Fans der Nets nach der langen Sommerpause die Begeisterungsfähigkeit auch erstmal wieder aufbauen müssen. Denn obwohl das Spiel spannend und teils höchst ansehnlich war, von Fandemonuim war gegen Chicago echt nichts zu spüren. Dank der teils zart bekloppten Familienausflügler kann man wenigstens ein bißchen zynisch werden.
Hoffe du verstehst jetzt