Ich habe mir mal als Vorlauf den Referenzkampf I: Klitschko vs. Brock (ohne Kommentar) gegönnt und war, obwohl ich den Fight live gesehen habe, abermals erstaunt über die Leistung von Calvin Brock. Bevor es losgeht, noch ein kleiner Nachtrag: Anschließend folgen Betrachtungen der Kämpfe Klitschkos gegen Byrd und Chagaev, die ich mir ebenfalls noch einmal ansehen will. Die Analysen sollen meine Prediction vorbereiten.
Runde 1-3:
(1) Brock zum Teil mit signifikant höherer Trefferquote als Wladimir Klitschko. Arbeitet auffallend gut mit dem Jab, den er mehr zu schieben als zu schlagen scheint. Sein Handspeed ist durchschnittlich, dennoch trifft er
(2) Brocks Deckungsarbeit nicht aus „einem Guss“. Lücken auf der Innenbahn, durch die Klitschkos Jab jedoch seltener als erwartet hindurch stößt. Brock verzichtet auf Meid- und Kopfbewegungen, versucht, brenzlige Situationen durch ungestümes „In-den-Mann-springen“ zu lösen. Trotzdem wird er im ersten Drittel des Kampfes nur von einigen wenigen Power Punches getroffen
(3) Knappe Runden, von denen Klitschko zwei an der Zahl über die bessere Führhand gewinnt. Dafür landete Brock bei weitem mehr Power Punches (streckenweise über 40% im zweistelligen Schlagbereich)
Runde 4-7:
(1) Die große Wende des Kampfes kommt in Runde 4: Klitschko lässt den Jab etwas fallen, fintiert mit der Führhand und beschäftigt Brock zunehmend. In seinen Aktionen liegt nun mehr Zug, der Infight wird konsequent abgeklammert, der Gegner geschoben und gedrückt
(2) Klitschkos Rechte kommt sehr variabel, gelegentlich als „half hook“ oder Aufwärtshaken geschlagen, stets mit der Absicht, den antanzenden Brock abzukontern
(3) Auffällig vor allem das Meidverhalten Wladimirs, der sich nun aus den Schlägen herausdreht oder zurücklehnt; Brock dafür weiterhin mit klaren Treffern zum Körper, insbesondere zur linken Körperhälfte Klitschkos. Klitschko trifft jetzt mehr, aber prozentual immer noch nicht so häufig wie Brock (32/49 in Runde 4)
(4) Die nächste Überraschung folgt in Runde 5: Klitschko verlässt sich in dieser Runde fast ausschließlich auf seine Beinarbeit. Er nimmt weniger Treffer, sein Jab wird bedeutend stärker (40% seiner Jabs treffen), er stellt eine „natürliche“ Distanz her, die Brock nicht überwindet. Brock verharrt stattdessen in der Schlagdistanz und kassiert umgehend die ersten richtig schweren Treffer mit der Schlaghand. Er konnte das Tempo, das von Wladimir zu Beginn der Runde überraschenderweise angezogen wurde, nicht mitgehen
(5) In Runde 6 findet Brock wieder seine Linie und setzt den Champion mit Führhänden, meist Doubletten, unter Druck. Klitschko clincht wieder mehr. Erst nachdem Brock Tempo rausnehmen muss, findet Wladimir die richtige Distanz und schickt seine Schlaghand auf Tuchfühlung. Sein Herausforderer ist konditionell Oberkante, wirkt unkonzentrierter und rennt nun förmlich an, wissend, dass er sich keine Pausen erlauben darf. Sein Lohn: Er trifft häufiger als der Weltmeister und fügt diesem einen unansehnlichen Cut über dem linken Auge zu. Die Runde ging dennoch dank der besseren Treffer an den Weltmeister
(7) In Runde 7 ist es dann soweit: Brock wird recht früh für seine mäßige Deckungsarbeit (er versuchte ständig, mit der Rechten zu parieren oder die Schläge abzuleiten) bestraft und von einer rechten Geraden erwischt, die ihn durchschüttelt. Zu allem Überfluss hat sich Brock den linken Arm müde geschlagen, lässt die Führhand immer öfter fallen und nimmt dann die kurze Rechte, die sich in den Runden vorher schon angedeutet hat
Fazit:
Brock kämpfte am oberen Limit seiner Möglichkeiten und ließ Klitschko nur schwer in den Kampf finden. Bis zum Abbruch war es nahezu ein Duell auf Augenhöhe (2 bis 3 von 6 Runden gehen an Brock), das letztlich durch den schnittigen Jab Klitschkos und die weit überlegene Physis des Ukrainers entschieden wurde. Brock konnte körperlich ab Runde 4 nicht mehr mithalten. Hätte er konditionell noch ein paar Prozentpunkte rausschlagen können, wäre auch wegen des Cuts vielleicht mehr drin gewesen. So bleibt die Erkenntnis, dass es Klitschko gleich dreimal gelungen ist, seinen Gameplan innerhalb des Kampfes zu modifizieren (1 –A,: Grundmuster des Jabbens und Clinchens, 2 –B: der hängende Jab, um den Gegner aus dem Rhythmus zu bringen, C: die Beinarbeit, die den konditionell angeschlagenen Brock an beiden langen Händen verhungern ließ). Brock konnte einige wenige Pyrrhus-Siege davontragen. Um selbst treffen zu können, wurde er selbst häufig von Jabs getroffen, büßte schnell an Kraft und Ausdauer ein und wurde dann folgerichtig abgestraft.
Was heißt das für Eddie Chambers? Chambers verfügt über eine etwas kleinere Reichweite als sein Landsmann, aber dafür über den größeren Handspeed. Er wäre gut beraten, sich auf eine Stick&Move-Taktik einzulassen: Die schnelle Führhand als Türöffner, am Mann mit Serien zu Körper und Kopf und wieder weg. Chambers sollte kontrolliert offensiv boxen, d.h. einen stetigen Druck auf seinen Gegner ausüben. Wichtig ist die Vermeidung des Jabs durch konsequentes Deckungsverhalten, Beweglichkeit des Oberkörpers und des Kopfes. Die entsprechende Kondition ist vorausgesetzt.
Zuletzt: Klitschko ist nicht nur verwundbar, sondern auch sehr cut-anfällig. Wer Povetkins Gesicht nach dem Chambers-Fight gesehen hat, weiß, dass Chambers zwar nicht mit übermäßigem Punch, dafür aber mit einem hinterhältigen Pop ausgestattet ist. Ich schätze ihn zudem schlagstärker als Calvin Brock ein, obwohl die Statistik etwas anderes sagt. Entscheidend wird also vor allem Chambers’ Timing sein, denn Wladimir wird den Infight schon im Ansatz abklammern wollen.
Für mich steht jedenfalls fest: Ein Chambers in Top-Form ist einem Brock in Top-Form in einigen Punkten überlegen. Und wenn Brock etwas zeigen konnte, dann doch den Sachverhalt, dass selbst ein eher moderat bis langsam und etwas ungelenk schlagender Mann gegen Klitschko durchaus zum Zuge kommen kann.
In der nächsten Runde (Freitag) werde ich noch mal Klitschko vs. Byrd I o. II betrachten, um zu schauen, wie man es gegen Wladimir nicht machen sollte. Beim Chagaev-Kampf wird es vornehmlich um Klitschkos optimiertes Meidverhalten gehen.