Um diese Frage genau beantworten zu können, muss zunächst geklärt werden, was Draftstock überhaupt ist. Blickt man auf die Medien (oder die Übersetzung des Wortes aus dem Englischen), könnte man meinen, dass sich jeder Spieler wie eine Aktie verhält. Spielt er gut, steigt sein Wert. Performt er schlecht, fällt sein Kurs. Genau so lassen sich die Bewegungen der einzelnen Namen auf den vielen Draftboards oberflächlich erklären. Schaut man aber genauer hin, lassen sich Lücken in diesem Vergleich finden: Beispielsweise müssen doch Vier-Jahres-Spieler in den meisten Fällen in 120+ Partien mehr gute und damit wertsteigernde Spiele absolviert haben, als dies College-Frischlinge in ihren knapp 30 Begegnungen schaffen. Dennoch stehen Top-Freshmen in der Regel vor Top-Seniors. Die Börsenanalogie hinkt vor allem an dieser Stelle. Es ist eine andere Betrachtungsweise nötig.
Vielmehr besitzt jeder Spieler einen ihm innewohnenden, recht festen Wert, den er für die Dauer seine Karriere auf dem Basketball-Parkett haben wird. Dieser setzt sich grob aus körperlichen Voraussetzungen, basketballerischen Fähigkeiten und der zu erwartenden Entwicklung dieser beiden Faktoren zusammen. Genau diesen potentiellen Wert, den ein Spieler für eine NBA-Franchise haben kann und mit einer gewissen eingerechneten Varianz auch haben wird, versuchen General Manager mit Hilfe ihrer Scouts zu ergründen. Ziel ist, eine Basis für eine Entscheidung zu schaffen, die im Optimalfall ermöglicht, den Spieler mit dem höchsten Wert zu verpflichten. Eine solche Entscheidungshilfe stellt beispielsweise auch
unser Draftranking dar.
Der Draftstock stellt in diesem Konstrukt das Bild dar, das die NBA-Entscheider in einem bestimmten Moment vom potentiellen Wert eines Spielers haben. Diese Vorstellung von einem Athleten ist zunächst unscharf, wird jedoch mit zunehmender Anzahl an absolvierten Partien/Saisons immer klarer, da mehr und mehr Daten gesammelt werden. Für Prospects sollte es im Hinblick auf die Draft immer darum gehen, die Uni an genau dem Punkt zu verlassen, an dem die Wahrnehmung des eigenen potentiellen Leistungsvermögens ihren Höhepunkt erreicht hat, also der Draftstock am höchsten ist (sofern überhaupt NBA-Chancen bestehen) – ein Drahtseilakt. Denn es gilt dabei zu beachten, dass fehlende Daten mehr Interpretationsspielraum lassen. Genau dies wirkt sich zumeist positiv für jüngere Spieler aus. So sieht man beispielsweise einem 18-Jährigen einen fehlenden Wurf noch recht einfach nach. Es besteht ja noch die Chance/das Potential, dass er sich einen besseren Schuss antrainiert. Ein 22-Jähriger hingegen wird Probleme haben, seine seit 48 Monaten auf grottigem Level stagnierende Dreierquote zu rechtfertigen und einen GM davon zu überzeugen, dass er in den kommenden Jahren doch noch ein treffsicherer Shooter wird. Diese Dynamik erklärt, wie Freshmen vor Seniors stehen können.
Eine Anmeldung zur Draft aufzuschieben, lohnt sich mit Blick auf den Stock eines Talents nur dann, wenn sich die Einschätzung eines Spielers und sein wahres Leistungsniveau fundamental zu Ungunsten des Prospects unterschieden – also beispielsweise ein potentieller Starter (Lotterypick) nur als durchschnittlicher Rollenspieler (Ende Erste/Anfang Zweite Runde) wahrgenommen wird. Nur dann ist ein Jahr später, bei für die Franchises etwas klarerer Datenlage und dem dadurch schrumpfenden Interpretationsspielraum bezüglich der Fähigkeiten des Spielers, eine klare Verbesserung seiner Draftposition zu erwarten. Nur am College zu bleiben, um zu beweisen, dass man ein besserer Spieler in der gleichen Kategorie ist – ein sehr guter Rollenspieler (Mitte/Ende Erste Runde) anstelle des bisherigen Rufs als überdurchschnittlicher Roleguy (Ende Erste Runde) etwa – lohnt sich eher nicht, da sich dadurch die ungefähre, zu erwartende Draftregion nicht drastisch verändert.
http://go-to-guys.de/2015/05/15/should-i-stay-or-should-i-go/