Meine Sicht zum Finale:
Weder Deschamps noch Fernando Santos haben mir ihren Aufstellungen überrascht. Frankreich auch nicht mit ihrer Formation: Sie liefen im 4-2-3-1 mit Sissoko auf dem rechten Flügel und Griezmann über das Zentrum auf, so wie sie es schon getan haben, um das Spiel gegen die Irländer zu drehen und den Weltmeister aus dem Turnier zu kicken. Portugal hingegen hatte eine kleine Veränderung: statt das 4-4-2 mit Adrien Silva auf der Doppelsechs neben William Carvalho, formierten sie sich in der 4-1-3-2 Raute, mit Silva vorne und Carvalho hinten, was die Anfangsphase Richtung Gastgeber kippte.
Frankreich hatte ein klares 3 gegen 1 vor der portugiesischen Abwehrreihe. Sissoko, Griezmann und Payet tauchten dort kaum ohne Gegenwehr auf. Irgendeinen Plan hatte Santos mit dem Vorrücken von Adrien Silva, aber ich konnte keinen entdecken noch es irgendwie kompensieren, dass William Carvalho - vielleicht einer der langsamsten 6er Europas - alleine gelassen wurde. Mit Sissoko im Superstar-Modus konnte das Austragungsland fast jedes ihrer Angriffe abschließen und daraufhin ein Gegenpressing spielen, das Ballgewinne in hohen, gefährlichen Zonen ermöglichte. Faktisch war da keine hohe Fußballkunst im Spiel, viel mehr handelte es sich um einen Überfluss an Leidenschaft, das sehr gut vom taktischen Vorteil gegenüber des Gegners profitierte, und sobald ersteres verblich oder letzteres korrigiert würde, sollte sich das Spiel wieder angleichen.
Und beides traf zu. Nach einer Viertelstunde fiel Cristiano Ronaldo verletzt aus, weinte, verließ das Feld humpelnd, kam zurück und ging letztendlich in der Trage raus. Wenn sowas in einem Finale passiert, kann es die ganze Partie zum erschlaffen bringen. Beide Mannschaften litten darunter. Frankreich sah wie dessen Flamme der Leidenschaft erlosch und Portugal verlor ihre Hoffnung auf ein Tor. Und es war eine Stunde, in der man ohne Chance war, Llorris' Tor zu gefährden. Aber immerhin konnte Fernando Santos etwas neues dazu gewinnen. Er stellte die Mannschaft um und verringerte seine grundsätzlichen Probleme.
Im 4-1-4-1 wurde das Spiel bis zur 79. Minute zur schweren Kost. Man könnte sagen, dass es Portugal voll in die Karten spielte, die darauf aus sind die Stärken der Gegner so zu minimieren wie möglich, selbst wenn man die eigenen opfert, und das steckt sicher Wahrheit hinter, aber selbst das muss man relativieren, denn selbst dann war Frankreich näher am Titel dran als die Iberer. Vielleicht nicht nah, aber trotzdem näher. Vor allem nachdem Deschamps etwas am Baum gerüttelt hat mit den Einwechslungen von Coman und Gignac, die mehr gerissen haben als ihre Gegenstücke. Zum Glück der Portugiesen, hat Rui Patricio in einem seiner besten Abende allem entgegengehalten. Und dann schaute Fernando Santos auf seiner Bank und schickte Eder auf das Feld. Lilles Mittelstürmer hatte nie zuvor irgendwas im internationalen Dress gezeigt, aber er war die letzte Kugel im Lauf des Trainers. Und unzufrieden mit dem Risiko einen limitierten Spieler ins Grüne zu schicken, nahm er Renato Sanches raus und versetzt einen Nani auf dem Flügel, der ausgelaugt aussah. Der Zug sah nicht besonders furchteinflößend aus, aber es war der einzig verbliebene.
Ab der ersten Minute der Verlängerung bis zum Traumtreffer des Jokers, konnte Portugal eine Chance, ein Aluminiumtreffer, 55% Ballbesitz und die Sicherheit, dass Frankreich nie bis zum herausragenden Pepe für sich verbuchen. Das Spiel kippte folgenschwer für Portugal. Das direkte Spiel Richtung Eder gab ihnen überall Räume. Noch mehr wenn er sich in den Zonen von Umtiti bewegte, dessen fehlende Erfahrung bemerkbar wurden. Die Arbeit von Eder gegen die gegnerischen IV erlöste Nani von eben solcher und obwohl er zuvor noch fertig aussah, fing er an, einen Unterschied auszumachen. Er schien noch schneller als zu beginn, mit dem Gesicht zum Tor spielen zu können, kam ihm wunderbar entgegen. Das 1-0 war kein Zufall, sondern die Folge, dass die Portugiesen, als sie sich beschlossen haben anzugreifen, das besser taten als die Franzosen.
Deschamps reagierte so eilig wie es ging, unter anderem weil er wusste, dass es schon zu spät war. Das Risiko, das Fernando Santos mit der Auswechslung Sanches' einging, stand im Gegensatz zur konservativen Strategie des Franzosen, der mit einem Wechsel in der Hinterhand weder Martial zeitig einwechselte, noch wagte Kanté für Sissoko zu bringen, um Pogbas - einen der Stars - Position nach vorne zu schieben. In der EM, in der Trainer für ihren Mut für offensive Wechsel belohnt wurden, war es passend, dass die Portugiesen letztlich den Pokal stemmen durften.
Jedenfalls konnte Frankreich zunächst mal den Ball wiedergewinnen, versuchte das Mittelfeld zu überbrücken und in der vorletzten Minute der Verlängerung schafften sie das. Aber dort war wieder ein Mal Pepe, imposant im entscheidenen Spiel, wie in den anderen KO-Spielen, um den Schuss von Martial abzublocken, sich als MVP zu untermauern und einer der dominantesten Figur der EM 2016. Die des ersten internationalen Titels Portugals, das wie der CL Sieg von Chelsea 2012 gezeigt hat, dass es nie zu spät ist. Meistens begleicht der Fußball seine Schulden.