[...]speziell in den USA[...]
Das ist aber auch nur die halbe Miete. Der Osten schläft z.B. nicht. Ich glaube, der Amerikazentrismus spielt bei der Wahrnehmung des Schwergewichts eine entscheidende Rolle; viele Osteuropäer, die sich in den Ranglisten tummeln, sind hochdekorierte Amateure gewesen, selbst ein recht unspektakulärer Chagaev deutet immer wieder an, dass er ein hervorragend ausgebildeter Boxer ist. Mit einem Mangel an amerikanischen Nachwuchsleuten ist für mich per se kein Qualitätsverlust verbunden. Andernfalls müsste ich eingestehen, dass die amerikanische Boxschule bei ähnlichem Talentpool der Russischen prinzipiell überlegen ist, aber soweit würde ich nicht gehen wollen. Was wiederum nicht heißt, dass der beschriebene Mangel an amerikanischen Top-Leuten unproblematisch wäre. Das ist er ganz gewiss nicht.
Diese Verschiebung verändert natürlich den Sport. Die russische Schule ist vorherrschend und aus diversen Gründen vermutlich weniger "unterhaltsam". Außerdem bleibt durch das Fehlen eines dominanten US-Schwergewichtlers die Rückkopplung mit der (amerikanischen) Pop-Kultur aus - die durch ihre 'Erzählungen' die Rezeption eines Sportlers oder einer Sportart erheblich beeinflusst. Kurz: Nach reiflicher Überlegung gehört für mich das Schwergewicht zu den schwächeren Gewichtsklassen, ist aber beileibe nicht die Schwächste; dass die Klasse derzeit so negativ beurteilt wird, liegt in Teilen auch an der Aufmerksamkeit, die der Königsklasse zukommt.
Ich würde eher von einem grundsätzlichen Problem des Sports sprechen, das nichts mit der Herkunft der Sportler zu tun hat. Ich erinnere einmal an die Kämpfe Adamek vs. Arreola, Chambers vs. Dimitrenko, Dimitrenko vs. Sosnoswski, Chagaev vs. Povetkin, Helenius vs. Lyakhovich u.a. - das sind Kämpfe zwischen Top-15-Boxern, die ich recht ansprechend und stellenweise sehr unterhaltsam finde. Das Problem daran, und zusätzlich mein Problem mit dem Schwergewicht: Solche Ansetzungen kommen viel zu selten zustande.