Das Prinzip Esswein
Vom 1. FC Nürnberg können Klubs wie Werder Bremen den Umgang mit jungen Spielern lernen
Bremen/München – Vielleicht ist es tatsächlich so, dass Fußballtrainer sich zu oft den Kopf über Taktik zerbrechen. Wobei: Es war ja eigentlich schon lobenswert, dass Dieter Hecking, der Coach des 1. FC Nürnberg, nichts dem Zufall überlassen wollte beim Auswärtsspiel in Bremen. „Wir haben eine sehr gute Marschroute gehabt“, sagte Mittelfeldspieler Hanno Balitsch nach dem überraschenden 1:0 des Außenseiters aus Franken, „wir haben versucht, die Bremer im Mittelfeld und damit in einer torungefährlichen Zone spielen zu lassen und den Pass in die Tiefe zu verhindern.“ Das sei „sehr gut gelungen“, meinte Balitsch, aber nach dem Spiel durfte man die Frage stellen, ob die fußballerischen Feinheiten überhaupt den Ausschlag gegeben hatten. Oder ob es nicht eher die kleinen Grobheiten waren, die Werder-Torwart Tim Wiese unters Volk gebracht hatte.
„Wir gewinnen 5:0“, mit diesem Satz hatte sich der Keeper vor dem Spiel zitieren lassen, was die Nürnberger – Taktik hin, Taktik her – dankbar zur Kenntnis nahmen. „Wenn man sowas hört, strengt man sich noch mehr an“, sagte nach dem Spiel Club-Verteidiger Philipp Wollscheid. Und Dieter Hecking, der Trainer, schlug verschmitzt vor, man könne sich „künftig ja die Prämien sparen, wenn so ein Spruch schon zur Motivation reicht“.
Analyse in der Kabine
Das Spiel im Weserstadion hatte seine folkloristischen Elemente, aber hinter der Folklore hatte dieses Spiel einen ernsten Kern, und dieser Kern dürfte den Nürnbergern eher gefallen haben als den Gastgebern aus Bremern. Lange Jahre hatte ja jeder Erstligist, der etwas auf sich hielt, Werder als Vorbild angegeben; die Kontinuität in der Klubführung, die guten Spieler, der Offensivfußball. Inzwischen wirkt es eher so, als orientiere sich Werder Bremen – notgedrungen – an den Nürnbergs der Liga. Der aktuelle, noch nach Champions-League-Maßstäben finanzierte Kader ist zu schwer und zu teuer geworden, weshalb die Bremer auch immer mehr dazu übergehen, ihre Elf mit Jünglingen namens Hartherz oder Trybull aufzufüllen. Über den Umgang mit jungen Spielern kann ihnen kaum jemand kompetenter Auskunft erteilen als die Nürnberger Verantwortlichen. „Er begreift jetzt langsam, dass Jugendfußball out und Profifußball angesagt ist. Und wenn er dann so arbeitet, belohnt er sich selber“, hat Hecking später über Alexander Esswein gesagt, jenen 21-Jährigen, der das Siegtor erzielte (65.).
An Esswein zeigen sich alle Chancen und Risiken, die ein radikaler Jugendkurs birgt. Der Flügelstürmer zählt zu den aussichtsreichsten Begabungen in Deutschland, aber er kann manchmal auch den Ernst des Lebens vergessen, weshalb Hecking ihn vor zwei Wochen demonstrativ aus dem Team nahm. Seitdem hat Esswein in zwei Spielen zwei Tore geschossen, und fürs Erste sieht es so aus, als habe Heckings Erziehungsprogramm gewirkt. „Ob mein Tor abgezockt war, weiß ich nicht“, sagte Esswein bescheiden, „der Ball kommt unverhofft zu mir und ich schiebe ihn halt gegen die Laufrichtung vom Torwart.“
Das ist die Erkenntnis, die die Nürnberger den Bremern kostenfrei zur Verfügung stellen können: Man hat durchaus Arbeit mit den jungen Leuten – und wer dem Prinzip Esswein vertraut, kann keine Konstanz erwarten. Thomas Schaaf, der Werder-Coach, macht längst eigene Erfahrungen mit der Unberechenbarkeit seines verjüngten Kaders. Er hat die Elf direkt nach Schlusspfiff in die Kabine befohlen, er hat sofort das Spiel analysiert, „heute war der Moment, um die Dinge auf den Punkt zu bringen“, sagte Schaaf: „Aber wir wissen auch: Selbst wenn man verliert, muss nicht alles schlecht sein.“
Wenn man gewinnt, ist dagegen alles gut: „Wir haben die Qualität für den Klassenerhalt und steigern uns fußballerisch von Spiel zu Spiel“, lobte Dieter Hecking, „das waren drei Punkte, die bei der Konkurrenz Eindruck machen werden.“ Von ihm kann Thomas Schaaf lernen: Die Arbeit mit den jungen Leuten kann auch viel Spaß machen.