CFD-Analyse der 2019/2020er gegen die 2021er:
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Nach den Feiertagen komme ich mal dazu, hier etwas – wie ursprünglich geplant – dazu zu schreiben. Von diesen ersten Analysen und den Reaktionen der CFD-Experten hierauf lassen sich einige interessante Schlüsse ziehen. Fangen wir mal mit dem "Big Picture" an. Die 2021er-Philosophie dreht sich einzig und allein darum, das Hinterherfahren zu erleichtern, indem Turbulenzen (Wirbelschleppen) reduziert werden. Zu einem guten Stück wird dies auch erreicht, da die Strömungen geradliniger sind. Etwas zu meinem Erstaunen sind die Turbulenzen aber etwas breiter als bei einem 2019er Modell und weniger erstaunlich, weil der Heckspoiler so designed wurde, werden die Turbulenzen schneller nach oben katapultiert, wo sie dem hinterherfahrenden Boliden weit weniger schaden. Ob das reicht, wird sich noch zeigen. Eine Verbesserung ist es allemal.
Die Downforce-Generierung ist ab 2021 anders. Das liegt aber nicht daran, dass die Venturi-Tunnel jetzt sehr viel mehr DF generieren als alle Komponenten zusammen, sondern dass die Flügel eigentlich überdimensioniert sind. Der Frontflügel generiert ca. 1/3 des DF (zuvor ca. 25%), der Heckflügel ca. 1/4 des DF (zuvor ca. 20%). Der Groundeffekt-Unterboden generiert hingegen "nur" ca. 50%, wo es zuvor ca. 55% waren. Dies wird sich aber voraussichtlich noch etwas Richtung Unterboden verändern, wenn die ersten echten Designs kommen (siehe unten). All das geht mit einem gravierenden Anstieg des Luftwiderstandes (Drags) einher und führt nicht zu mehr Gesamt-DF. In Summe bedeutet dies, dass Aero-Effizienz als Verhältnis von Downforce zu Drag wieder massiv wichtig wird. Zur Erinnerung, das als "Bus" verschriene Design des Mercs mit seiner flachen Plattform war alles andere als aero-effizient. Sogar RB ging im Verlauf der Jahre mit seinen aggressiven Frontflügeln immer mehr davon weg.
Daraus lassen sich schon ein paar nette Entwicklungstendenzen ableiten. Wenn Aero-Effizienz ab 2021 wieder der King ist, dann werden die Teams versuchen, vorteilhaftere DF-Drag-Verhältnisse zu erreichen und mangels erlaubter Bereiche und vieler Standardteile wird dies wohl aktuell betrachtet auf eine Drag-Reduktion hinauslaufen. Hierbei ist der Frontflügel scheinbar im Fokus, produziert er doch eigentlich zu viel DF und Drag. Etwas DF zugunsten einer besseren Balance und viel weniger Drag zu opfern, scheint hier das primäre Ziel. Aktuell wären die Boliden massiv am Übersteuern, da ihnen hinten DF im Vergleich zu vorn fehlt. Eine Möglichkeit wären also einfachere Frontflügel, eine andere Low Rake. Zur Erinnerung: Bei einem High Rake-Boliden ist der Anstellwinkel größer, wodurch der Frontflügel eine größere Angriffsfläche (Angle of Attack, AoA) bietet und mehr DF generiert. Mit Low Rake reduziert sich dieser Winkel und der Frontflügel produziert weniger DF. Genau das ist, was Merc seit 2014 nun tut und wofür ihre Aufhängung ausgelegt ist. Sie sollten also am wenigsten Anpassungsschwierigkeiten haben. Mit weniger Front-DF und gleichem Heck-DF wird dann auch der Groundeffekt-Unterboden mehr Bedeutung erhalten, was auch hier Entwicklungsoptionen bietet. Ich bin gespannt, ob ein Team den anderen Weg geht und die Balance durch mehr Heck-DF verbessern kann.
Damit einhergehend wird die Aufhängung ein noch bedeutsameres Entwicklungsfeld als es durch die sensitiven Reifen eh schon ist. Das Absenken und Aufbäumen der Aufhängung beim Bremsen und wieder Herausbeschleunigen wird dann noch kritischer. Dieses Verhalten unter Lastwechsel wird dann noch wichtiger. Und wer kann gute Aufhängung momentan? Merc, RB (aber eigentlich nicht 2019), McL, weniger SF und ganz besonders nicht Haas und FW. Mich würde es daher nicht wundern, wenn die SF hier schon 2020 massiv aufrüstet und gute Leute abwirbt. Für die Fahrer bedeutet dies aber ein ebenso spannendes Entwicklungsfeld, denn wenn man das als Team im Basis-Setup nicht gut hinbekommt – besonders auf den welligeren Kursen der Saison – dann fühlt man sich wohl schnell wie RUS & KUB (2019), GRO & MAG (2019) oder STR & SIR (2018) in ihren pitchsensiblen FWs und Haas. Hier vermute ich einen deutlichen Vorteil für erfahrene Fahrer, die damit besser umzugehen wissen (HAM, VET, RAI, falls die noch fahren) oder jene, die einfach vom Talent her damit umgehen können (insb. VER und NOR). Wenn die Balance schlecht bleibt, wird dies womöglich eine harte Zeit für die Pirouettenkönige der F1, allen voran VET.
Natürlich ist all das aus der Sicht der heutigen Kenntnisse geschrieben. Geniale disruptive Innovationen kann keiner im Moment abschätzen. Newey wird die Rückkehr der Aero-Effizient-Dominanz begrüßen, aber auf der anderen Seite auch nicht gerade viel Spielraum vorfinden (zusammen mit Marshall & Fallows). Auf andere Topdesigner wie Allison & Sassi & Owen (Merc), Key & Oatley & Prodromou (McL) oder Mekies/Binotto & Cardile & Sanchez (SF) kommen ebenso spannende Zeiten zu. Ich würde an deren Stelle schon mal eine Gehaltserhöhung durchblicken lassen.