Ich persönlich war gestern schon ein wenig enttäuscht. Als Deutscher. Als Fan der deutschen Nationalmannschaft, aber diese Enttäuschung hielt sich bei mir persönlich nach den vergangenen Wochen arg in Grenzen.
Was gestern passiert ist, war für mich wie eine selbsterfüllende Prophezeiung. Löw adaptierte die bayrische Arroganz und ließ vor dem Turnier erst mal mit einem vergifteten Pfeil in Richtung BVB aufwarten. Alle Aussagen trieften nur vor Arroganz, Selbstherrlichkeit und Ignoranz. Das zog sich vom Trainerteam, über die Spieler hinweg bis zu den Medien wie ein roter Faden durch das Turnier.
Man vernahm Aussagen wie "Trainer ist keine Idiot", "Wir werden Italien schlagen" und schließlich gehe der Turniersieg ja nur über Deutschland.
Letztendlich was das prätentiös und geheucheltes Selbstbewusstsein, das dann auf dem Spielfeld platzte wie eine Seifenblase. Auch die Medien stimmten mit ein. Da war von den Deutschen die Rede, die besser als Spanien seien. Da war vom Bundestrainer mit dem goldenen Händchen die Rede und Rethy erklärte Gomez zu einem Spieler mit "herausragenden fußballerischen Fähigkeiten". Ich glaube nicht, dass er das selbst glaubte. Das war Masche, das war das Konzept. Angelegt auf Hype, Hype, Hype, hurra, Trallala. Man wollte den gemeinen ZDF-Fernsehgartenzuschauer nicht verprellen, indem man realitätsnahe Analysen liefert, die den Resultaten widersprechen. Das hätte Verwirrung ausgelöst. Braucht keiner. Passt nicht rein.
Von daher für mich komplett verständlich, dass MS darauf rumreitet. Ich nehme es ihm auch ab, dass das ein Grund für seine Missgunst gegenüber der deutschen Nationalmannschaft ist. Man hat doch vollkommen vergessen, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Auf das Spiel selbst. Man wurde das Gefühl nicht los, dass Spieler und Trainerteam in Gedanken schon lange beim Finale waren. Zumindest teilweise. Besonders fatal, dass dann ein Reus, von dem ich sehr viel halte, der ungleich talentierter als Podolski ist, aber international noch nichts gerissen hat, plötzlich große Töne spuckt.
Das spricht Bände und steht für das Konstrukt DFB und DFB-Team. Ein gigantischer Bayernblock, Überheblichkeit noch und nöcher und dann ein Hauch von nichts, als es darauf ankam. Reus muss man in Dortmund auch erst mal wieder einfangen.
Als Sahnehäubchen mischt sich der DFB in den Kleidungsstil von Frau Khedira ein. Das ist alles nicht immer so wichtig, alles nicht immer entscheidend. Aber es steht symbolisch für das Ganze. Und da finde ich mich überhaupt nicht mehr wieder. Sind lediglich meine persönlichen Eindrücke und kann MS komplett verstehen. Damit will ich überhaupt nicht sagen, dass in Dortmund alles besser ist oder ich alles besser weiß. In Dortmund gibt es auch noch viel Luft nach oben, aber die Conentance, der Demut und der Blick auf die elementaren Dinge gefällt mir einfach besser. Es ist ja nicht so ganz abwegig, wenn man sich davon einfach mal eine Scheibe abschneidet.
Richtig und wichtig, dass es da gestern zur rechten Zeit einen Schuss vor den Bug gab. Hätte man sich zum Titel gerumpelt, wäre die ganze Chose auch noch gnadenlos abgefeiert worden.
Jetzt der Knackpunkt. Man muss jetzt nicht alles an fehlenden Leitwölfen festmachen. Es ist nicht an den Haaren herbeigezogen, wenn man sagt, einigen fehle das Siegergen. Manche sind zudem zu grün hinter den Ohren und Schweinsteiger hat einfach auch gar nicht das Talent, um das Spiel aus der Zentrale zu mit Geistesblitzen zu delegieren. Fitnesszustand hin oder her.
Es war eine Mischung aus einem nicht ganz passenden Offensivkonzept, einem legendären Taktikfauxpas und der fehlenden Abgezockheit. Pech kam auch noch hinzu, was im Fußball einfach immer ein Faktor ist.
Außerdem bin ich nicht der Meinung, dass Löw bis zum gestrigen Spiel alles richtig machte und ihm gestern ein einmaliger Aussetzer unterlaufen ist. Dieser Aussetzer hat sich angedeutet und war die logische Folge. In der Vorrunde hatte man gegen Portugal vorne große Probleme. Aus der Retrospektive heraus muss man sagen, dass man gegen desaströse Niederländer wenig gezeigt hat. Gegen Dänemark war auch vieles fragil und das Spiel gegen Griechenland darf man nicht zu hoch hängen, auch wenn hier endlich mal Rochade und Kombinationsspiel stattgefunden hat. Ein guter Griff von Löw, den man letzten Endes nicht überbewerten darf.
Positiv muss man sicherlich das Defensivkonzept in den ersten vier Spielen und einige Personalentscheidungen sehen. Bender hat überzeugt, Gomez passte auch gegen Portugal und die Niederlande. Dass die Maschine in ihrer Gesamtheit vorne nicht läuft, hat sich in der Vorrunde allerdings abgezeichnet. Man kann es auf den Punkt bringen: Löw will Kombinationsfußball spielen, stellt partiell aber gar nicht das Spielermaterial dafür auf. Das muss man ihm ankreiden. Für mich ist das Kind schon vorher in den Brunnen gefallen, weil es klar war, dass Löw in seiner Betriebsblindheit an falschen Säulen nicht rütteln würde.
Die rechte Seite ist gestern verwaist, Özil konnte mit Gomez und Poldi gar nicht kombinieren. Kroos ist technisch hoch veranlagt, bringt aber sonst nichts mit, was ihn für so ein Spiel prädestiniert. Er besitzt kein Tempo und ist am Strafraum oft hilflos. Ein Defensivkönner, der Pirlo ausschalten kann, ist er auch nicht und dazu hat er noch die Ausstrahlung einer Ikealampe.
Es kam dann eins zum anderen. Die Mannschaft spürte, dass vorne und hinten nichts passt, verweigerte die Bewegung in der Arbeit nach hinten und Hummels, Badstuber und Boateng kamen zwischenzeitlich gar nicht mehr in Zweikämpfe. Beim 1:0 waren sie alle überfordert. Aber die Fehlerkette fing schon vorne an, als Pirlo Platz hatte ohne Ende und alle die Verteidigung verweigerten. Wenn ich mich richtig erinnere. Wie viel Schuld Löw daran trägt, weiß ich nicht genau. Man kann das sicher aber besser einstellen.
Als Reus und Poldi gekommen sind, war es zu spät. Sie hätten besser gepasst, als die Italiener den Deutschen anfangs noch mehr Platz ließen und kein mentales Oberwasser hatten. Was falsch gemacht wurde, konnte nicht mehr korrigiert werden. Dass Reus bei tiefstehenden Mannschaften noch nicht alle Schlüssel parat hat, hat auch jeder gesehen. Er kann das aber lernen.
Es ist jetzt nicht alles schlecht. Ich fordere auch nicht Löws Kopf. Wenn man 4 x in Serie in ein Halbfinale einzieht, muss Qualität vorhanden sein und auch das Trainerteam kann nicht alles falsch gemacht haben. Bloß ist auch längst nicht alles so rosarot, wie es die Medien uns suggerieren wollten. Will man in den entscheidenden Spielen endlich einige Schippen draufpacken, muss vieles hinterfragt werden. Talent ist auf den meisten Positionen noch und nöcher da. Löw muss bei sich selbst anfangen, bei den Personalentscheidungen weitermachen. Bei den Spielern selbst muss es sich fortsetzen. Wenn ein Gomez meint, er sei am Ende seiner Entwicklung, ist das kein Signal, das mich optimistisch stimmt. Er ist ein guter Stürmer, mit Bombenabschluss, aber keiner, der Technik oder Beweglichkeit besitzt. Ein weiteres Beispiel für das momentan deutsche herrschende Selbstverständnis, das ich schon an Reus illustriert habe.
Podolski wird Probleme kommen in seinem Alter als ein Spieler, der vom Antritt lebt. Schweinsteiger darf auch keinen Persilschein bekommen. Die Kombination Özil, Götze/Reus oder Müller muss mal länger eine Chance erhalten, sich zu erweisen und das einem passenden System. Das sind Spieler für Kombinationsfußball. Wenn Gündogan seine Leistungen bestätigt, könnte er von der Sechs mehr Input bringen. Aufgrund seiner fehlenden internationalen Erfahrung darf man natürlich ein Fragezeichen dahintersetzen.
En bloc hat Löw zu wenig einspielen lassen, zu viele durchgewürfelte Mannschaften im Vorfeld der EM auf den Platz geschickt, um sie dann mit scheinbaren Finessen im Halbfinale zu überfordern. Dass die unbeweglichen Gomez, Kroos und Poldi kein Kombinationsfeuerwerk abliefern, war klar. Es war kein Feuerwerk, sondern nur Nebelkerzen. Die chirurgische deutsche Präzision war keine, weil man vielleicht in zu vielen Videoanalysen und dem Festhalten an den alten Stammkräften am Ende den Überblick verlor. Im Gefühl, man wäre so gut, dass man mit allen anderen Katz und Maus spielen könnte, ging man unter. Löw erlebte sein taktisches Waterloo und zeigte, dass deutsche Akkuratesse und Ingieneurskunst nicht auf allen Feldern funktioniert.