Was ich widerrum sehr geil finde ist daß man heutzutage jeden Kampf gucken kann, ob live in der Nacht oder als download.
Nur um noch einen versöhnenden "Anti-Nörgel" Schlußpunkt zu setzen. Uns gehts schon net schlecht
Finde ich auch top - aber vielleicht haben wir hier auch einen kleinen Teil des Problems!
Dank moderner Medien wie Twitter & Co und Dank überall und jederzeit verfügbarer Live-Streams geht so ein wenig das Besondere verloren. Man kann heute so ziemlich jeden Kampf live sehen. Früher? Da wurden die Highlights auf Premiere gezeigt. Ab und an hat sich auch mal RTL eingeschaltet. Und Kämpfe, die man hier nicht im TV sehen konnte, musste man sich als bekennender Box-Freak bei den noch größeren Freaks auf VHS für ein paar Mark/Euro kaufen. Und ich erinnere mich noch daran, wie sehr ich mich nach meiner ersten VHS-Order darauf gefreut habe, endlich mal Bowe-Golota I zu sehen. Denn über die Prügelei im Madison Square Garden hatte ich damals schon einiges gehört - und das nicht unbedingt von brennenden Box-Fans.
Generell mag die Gesellschaft heute Dank 24/7-Medien völlig übersättigt sein - aber das ist hier nicht das Thema. Im Boxen, finde ich, findet aber diese Übersättigung ebenfalls statt. Natürlich meine ich damit nicht nur die modernen Möglichkeiten, sämtliche Kämpfe irgendwie und irgendwo zu sehen. Ich bin schon seit ewigen Zeiten glücklicher Kunde bei einem eher semi-legalen Streaming-Service für einen läppischen Zehner im Monat. Ich habe Castillo-Corrales I auf einem völlig überforderten PC über einen total verspixelten WinAmp-Stream gesehen - und bin vor dem Computer auf und ab gesprungen (wofür ich heute allerdings wohl auch etwas zu alt werde - so langsam zeigen sich die grauen Haare!). Aber es sind ja nicht nur die Übertragungswege, es ist ja auch die Verarsche am Fan. Tausende Verbände haben abertausende Titel. Und im Fernsehen, ganz besonders bei uns in Deutschland, wird das alles als ganz großes Kino verkauft. Da sind plötzlich Kämpfe "WM-Kämpfe", die vor etwa 15 Jahren noch Duelle um die deutsche Meisterschaft oder - wenn es hochkommt - um die EM gewesen wären. Heutzutage würden Kim Weber und Willi Fischer wahrscheinlich um den WBO-Super-Duber-Titel kämpfen und nicht um den nationalen Titel. Deren Kämpfe waren übrigens damals Quotengaranten für Premiere & Co. Ohne Möchtegern-WM-Titel. Soweit es der Boxsport zulässt mag man sogar von ehrlichem Sport sprechen.
An dieser Stelle fällt mir ein: was ist eigentlich aus Kim Weber geworden? Als Co-Kommentator bei Premiere fand ich ihn ziemlich großartig. Zum Teil zusammen mit Bernd Bönte (erinnert sich da noch jemand dran?) kommentiert. War eigentlich ziemlich cool.
Was läuft also falsch? Man ist irgendwie übersättigt, aber leider nicht auf höchstem Niveau. Die besten Kämpfe kommen oft nicht - oder viel zu spät. Hierzulande ist das Boxen eigentlich purer Blödsinn, weil die Verantwortlichen die Fans einfach völlig für dämlich verkaufen. Aber was will man auch machen, wenn das Talent für ganz Oben nicht reicht und man sich in besseren Zeiten zu diesem hohen (WM-)Anspruchsdenken manövriert hat. In Deutschland schauen die Jungs und Mädels an der Spitze einfach zu sehr auf das schnelle Geld. Superlative hier, Superlative da. Blöd nur, wenn die Sportler einfach nicht das Niveau dafür haben. Und das meine ich absolut nicht abwertend. Boxen ist ein harter, brutaler Sport. Jeder, wirklich jeder, der in den Ring steigt, verdient großen Respekt. Deswegen habe ich mich hier auch einst über den inzwischen - leider - etablierten Begriff "bum" aufgeregt. Der wird einem jeden Boxer, egal wie schlecht, egal auf welchem Level, nämlich einfach nicht gerecht. Und wenn dann auch noch Leute, die selber Boxer im Amateurbereich trainieren, diese Wortwahl treffen - dann stört mich persönlich das ziemlich. Aber egal, zurück zum Thema. Ich sprach eben Weber und Fischer an - das hat damals auch ohne konstruierte WM funktioniert. Man kann auch nationale Titelkämpfe zu Highlights machen, wenn sie das denn sind. Schaffen die Briten ja auch oft genug. Aber hier? Da zählt dann der WM-Titel - egal welcher. Und diese Entwicklung ist keine 20 Jahre alt. Ganz großes Problem, in meinen Augen, in Deutschland. Das Anspruchsdenken ist gestiegen, das Niveau gesunken - also nimmt man wiederum die Geschenke der Verbände an und macht - wahrscheinlich auch gerne mit einer netten Finanzspritze - aus allem auf irgendeine Weise eine WM.
Die Verbände haben sowieso ein Rad ab. Auch da: schnelles Geld. Das die Politik den Sport irgendwann zerstört - geschenkt. Und dann gibt's keinen Cent mehr. Nachhaltig arbeiten wäre doch viel sinnvoller. Zwar gäbe es dann nicht auf einen Schlag die schöne Kohle, aber dafür deutlich länger. Aber das kapieren Menschen ja in vielen Gebieten nicht. Nachhaltigkeit ist - in der Regel - mehr Wert als schneller, kurzer Erfolg. Die WBA war in meinen Augen auf dem richtigen Pfad, als es hieß, man wolle diese dämlichen Interim-, Super- und Gigantic-Titel eliminieren und nur noch einen Champ pro Gewichtsklasse haben. Das ist sehr wichtig! Mit drei, vier Weltverbänden kann man ja in der Theorie leben, auch wenn es nicht Ideal ist. Aber das hat ja in den 70ern, 80ern, 90ern auch funktioniert. Aber die Konstruktion von zig Titel pro Verband ist echt bitter. Außerdem nervt es, dass man sich bei Vereinigungskämpfen so quer stellt und oft die Boxer auffordert, sich für einen Gürtel zu entscheiden. Dabei wäre es das Beste für den Boxsport, wenn jede Gewichtsklasse einen klaren Champion hätte. Aber das dürfte inzwischen eine Utopie sein. Achja, wer war eigentlich der letzte absolute "Undisputed Heavyweight Champion of the World"? Wenn mich nicht alles täuscht - Lennox Lewis. Klar, Wladimir war die klare Nummer eins? Aber als Undisputed angesehen? Ich meine, daran ist er im Endeffekt knapp gescheitert - allerdings muss man ihm zu Gute halten, dass das lange daran lag, dass sein Bruder den WBC-Titel inne hatte. Trotzdem: der letzte Undisputed-Champ ist 13 Jahre her. In der, so leid es mir tut, für die Weltöffentlichkeit wichtigsten Gewichtsklasse. Das ist nicht gut. Genauso wenig wie Wladimir, und ich mag den Kerl und habe großen Respekt vor ihm, mit seinem Stil dazu beigetragen hat, dass das Boxen wieder richtig populär wird. Wenn wir, und das klingt blöd, heute den Mike Tyson aus den 80ern ins Schwergewicht setzen - dann redet keiner davon, dass das Boxen stirbt. Dann laufen plötzlich wieder Leute in die Elektronikläden (bzw. klicken sich ins Internet ein) und schließen Donnerstags Sky-Abos ab, weil in der Nacht von Samstag auf Sonntag Tyson boxt. Aber wie bereits jemand gesagt hat: die Ära Tyson/Holyfield/Bowe/Lewis könnte man gut und gern als Zweitbeste aller Zeiten bezeichnen. Das kann man einfach nicht alle paar Jahre erwarten - aber irgendwann wird es solche Lichtgestalten schon wieder geben.
Unabhängig von den vielen Problemen im Profibereich... das Amateurboxen ist ein fast größeres Problem. Man schaut sich nur mal die olympischen Spiele und die Verbrecher der AIBA an. Das werden ehrliche Teenager beschissen, weil irgendwelche politische Interessen gewahrt werden sollen. Die Korruption im Amateurbereich ist ja beinah schon größer als bei den Profis - und das soll schon etwas heißen. Problem: so bekommt man mit Sicherheit keinen Nachwuchs. Gute, talentierte Sportler haben bessere Alternativen. Warum sollte man sich auch auf die Schnauze hauen lassen, das härteste Training der Welt durchstehen, kämpfen wie ein Irrer - und am Ende wird man von irgendwelchen alten Herren um den verdienten Lohn gebracht? Mal im Ernst - wofür? Da muss man schon eine gewisse Beziehung zum Boxsport haben, aber die entsteht ja auch nicht aus dem Nichts.
Jetzt habe ich hier einen viel zu langen Text verfasst. Großer Dank an dieser Stelle an die Flasche Wein (ach, wem mache ich denn etwas vor, inzwischen habe ich die Zweite geöffnet). Der Beitrag hat höchstwahrscheinlich keinen roten Faden und ist eine Zusammenstellung aus wirren Gedanken. Aber ich glaube dennoch, dass ich in etwa die Quintessenz meiner Denke getroffen habe. Ich liebe das Boxen. Aber zurzeit macht der Sport sich kaputt. Wobei das auch falsch ist - das Boxen wird nie sterben. Legends never die und so. Aber es könnte für die wirklichen Fans eine harte Zeit kommen - doch irgendwann geht es mit Sicherheit wieder aufwärts. Denn wenn der aktuelle Weg beibehalten wird, dann gehen die Verantwortlichen - einer nach dem anderen - unter. Und das birgt Möglichkeiten für frisches Blut.
Ich bin selber seit über zehn Jahren im Boxsport aktiv. Zunächst als Amateur mit Ambitionen, die leider durch körperliche Einschränkungen zunichte gemacht wurden (warum musste ich auch Fußball spielen?!). Dann in verschiedenen anderen, unterstützenden Bereichen. Ich habe durchaus ein paar Mark mit diesem Geschäft verdient - und ja, ich habe mich auch der Maschinerie angepasst. Aber nicht immer - und das hat mich wiederum ein paar Mark gekostet. Heute bin ich woanders unterwegs. Das ist gut, denn in den letzten Jahren als Aktiver habe ich meine Liebe für den Sport Dank des vielen Blödsinns verloren. Seitdem ich mich distanziert habe, macht mir der Sport wieder deutlich mehr Spaß. Und wie gesagt, das Boxen wird nicht sterben. Aber um wieder nach oben zu kommen, müssen sich echt viele Dinge ändern. Denn gerade im Moment ist es für den Liebhaber eine echt anstrengende Nummer.
Gute Nacht.