Auf Rhodos geht alles.
Aber in Deutschland geht auch viel: Blutsport, Blutgeld, die Tour de France und die Fernsehzuschauerquote
Von Werner Franke
Bei einer Diskussion im Schweizer Fernsehen vor einigen Jahren erfuhr ich zum ersten Mal, wie viel plötzliche, unerklärliche Todesfälle es bei jungen, leistungsfähigen Radrennfahrern gab - damals schon 19 an der Zahl, vornehmlich in den Benelux-Staaten, die in der Sportöffentlichkeit aber weitgehend totgeschwiegen wurden. Häufig ereilte diese jungen Sportler der Tod in der Ruhe - vor oder nach einem Rennen. "Die plötzlich Eingeschlafenen" wurden und werden sie - meist raunend - genannt, und seit 2003 nehmen diese Fälle plötzlich wieder zu: Schon wieder neun endgültig "eingeschlafene" Radrennfahrer! In den wenigen Fällen, in denen überhaupt so etwas wie eine Autopsie durchgeführt wurde, war das mitgeteilte Ergebnis so albern wie makaber und nichtssagend: "Plötzlicher Krippentod" zum Beispiel.
Vor einigen Monaten hat nun der australische Autor Robin Parisotto in seinem Buch Blood Sports, in dem er die Entwicklung der Dopingkontrolltests auf Erythropoietin (Epo) und heterologes Blutdoping schildert, diese Fälle wieder aufgeführt. Und auch der Direktor der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada), der Kanadier Dick Pound, hat den internationalen Radsport-Verband auf das Fehlen einer überzeugenden, fachlich belegten Erklärung für solche Todesfälle öffentlich hingewiesen. Der Verdacht, dass es sich bei dieser "Epodemie" (eine satirische Wortschöpfung von Parisotto) um eine Folge des Missbrauchs von Epo beziehungsweise von direktem Blutdoping handelt, einem sogenannten "Verschlammungsinfarkt", ist in der Luft. Wie auch die Erinnerung an das Horror-Szenario, das der frühere Chefarzt des Nationalen Olympischen Komitees der USA, Robert Voy, in seinem Buch Drugs, Sports and Politics schilderte, nachdem er aus Verzweiflung über das Doping-Unwesen von seinem Amt zurückgetreten war: Ramada Inn, Los Angeles, Olympische Spiele 1984, die Radsport-Olympiamannschaft der USA liegt in den Hotelbetten und erhält Infusionen von roten Blutkörperchen (Erythrozyten), einige ihre eigenen (genannt "autologes Doping"), andere die von sozusagen passenden Spendern ("heterologes Doping"). Letzteres wurde ja erst kürzlich wieder dem US-amerikanischen Olympiasieger von 2004, Tyler Hamilton, nachgewiesen: Ein krimineller Blut-Wahnsinn, und viele bekannte Ärzte sind dabei, eine Reihe davon sogar schon verurteilt. Doch die Öffentlichkeit will von dieser makabren Seite des Radsports möglichst nichts erfahren, vor allem im Fernsehen nicht.
Laut dem Landgericht München darf man sagen, dass die ARD sich an einem Radsport-System "beteiligt, welches insgesamt dem Doping günstig ist, und dass sie in der Sportberichterstattung das Thema Doping ausklammert". Daran ändern natürlich auch gelegentliche Mitternachtssendungen ohne Neuigkeitswert nichts, wie sie zum Beispiel in der vergangenen Woche, wenige Tage vor dem Tour-de-France-Start ausgestrahlt wurde.
Aber die ARD ist nicht allein, wenn es um eine letztlich dem deutschen Doping günstige Ausklammer-Berichterstattung geht. Die korrumpierende Hemmung sieht man auch im Zweiten, manchmal sogar besser. Vor mir liegt zum Beispiel die Bitte eines ZDF-Redakteurs aus dem politischen Bereich um wissenschaftliche Hilfe beim Entschlüsseln und Deuten von handschriftlichen Dokumenten mit der Bezeichnung "Rennstall Gerolsteiner". Dabei geht es um ein offenbar auch bei Gerolsteiner-Radrennfahrern vorhandenes kriminelles System von Körperverletzung und massenhaften Verstößen gegen Arzneimittelgesetze.
Da schreibt etwa ein Spitzenfahrer an seinen Doping-Berater ausdrücklich, er sei zu "allen Schandtaten bereit", und fragt nach "neuen und interessanten" Präparaten wie zum Beispiel: "Testosteron - wie lange positiv? Welches Präparat?" Und teilt besorgt sein derzeitiges Drogen-Versorgungsproblem mit: "Das HGH (ein zurzeit nicht kontrolliertes, gentechnisch hergestelltes menschliches Wachstumshormon) ist nur noch bis zum . . . haltbar, da schon gemischt." Er informiert auch, wie er sich auf die Hauptrennsaison vorbereitet, wobei er jetzt noch einige Tage zum "Urlaub mit Rad und Freundin auf Rhodos, auch zum ,Einkaufen"", nutzen will, und stellt dazu mit Vorfreude fest: "Auf Rhodos geht alles!" In der Tat ist der griechisch-türkische Raum eine bekannte Schmuggelschneise für illegalen Dopingdrogendreck nach Deutschland (man erinnere sich nur an das große Dopingdrogen-Versorgungslager unter türkischer Leitung, das vor einigen Jahren in Deggendorf ausgehoben wurde).
Doch dann beruhigt der Gerolsteiner Spitzenfahrer seinen Drogenberater wieder etwas: "Das HGH bekomme ich Donnerstagabend gegen 21:00 Uhr" - und teilt auch noch die Namen und Geheimkürzel der mehr als 25 derzeit bei ihm vorhandenen Präparate zur Leistungssteigerung mit. Darunter befinden sich mehrere Hormonpräparate, einschließlich Insulin zum Injizieren (nach allgemeiner Bodybuilder-Erfahrung eine unerlässliche Zusatzbehandlung beim HGH-Doping). Und was sein Blut-Doping betrifft, fragt er kennerhaft: "Wie lange hält sich mein Hämoglobin (16,9 bei 49,4 Hämatokrit)?" Und fragt abschließend: "Wie sähe eine Erhaltungsdosis Epo aus?" (Gemeint ist dabei die minimale Epo-Dosis, die vor und bei einem Wettkampf gerade ausreichend ist, um die Konzentration der roten Blutkörperchen erhöht zu halten, andererseits aber so niedrig, dass sie bei Dopingkontrollen nicht auffällt.) Und das Gerolsteiner Radsport-Vorbild der Jugend schließt freundlich: "Vielen Dank für Deine Mühe. P.S.: Kleine Kostenregelung liegt bei." Man hat's ja. Von Gerolsteiner!
Die ZDF-Aufklärungsreportage zu diesem Vorfall wurde aber nie gesendet. Auch die zuständigen Staatsanwaltschaften wurden von dieser kriminellen Radsport-Zelle offenbar nie informiert. Allerdings meldete im vergangenen Jahr ein medienpolitisches Fernseh-Magazin mit Namen Zapp, dass Sportreportern - auch des ZDF - als Moderatoren von Firmenveranstaltungen Honorare um die 50 000 Euro und mehr angeboten werden. Da erfährt angesichts des Epo- und des Blut-Dopings und der erstaunlich vielen "plötzlichen Eingeschlafenen" Radsportler der Begriff "Blutgeld" natürlich eine Bedeutungserweiterung. Das erklärt dann vielleicht auch die für all die Doper günstige Sportberichterstattung der deutschen öffentlich-"rechtlichen" Fernsehkanäle. Do ut des! Dies alles auf den Gebeinen der plötzlich Eingeschlafenen. Und auf denen der Wahrheit sowieso. Bloody sports.
Werner Franke gilt als der führende deutsche Anti-Doping-Experte. Er ist Professor für Zell- und Molekularbiologie in Heildelberg. Foto: dpa
Quelle: Süddeutsche Zeitung
Nr.150, Montag, den 03. Juli 2006 , Seite 2