Schön, dass es auch noch kritischen Jourlanismus gibt:
King, Kohl und der Geist von Schmeling
Am 100. Geburtstag der deutschen Boxlegende kämpft Luan Krasniqi in Hamburg um die WM im Schwergewicht
von Oskar Beck
Böse Zungen und andere Ehrabschneider verbreiten über den früheren Preisboxer Graciano Rocchigiani die schrecklichsten Dinge, zum Beispiel, daß er einen Kampf zuviel haben soll. Aber man kann über ihn sagen, was man will, den Begriff Ballyhoo hat er einmal perfekt ins Deutsche übersetzt: "Es ist vor dem Kampf immer det gleiche Jequatsche."
Das jüngste Beispiel ist der tollste Beweis. Don King und Klaus-Peter Kohl, die k.u.k.-Gardegrenadiere des K.o.-Geschäfts - kaltschnäuzig und knallhart - haben am Samstag im ZDF-"Sportstudio" als Meister der lärmenden Boxpropaganda den WM-Kampf zwischen Lamon Brewster und Luan Krasniqi in die Köpfe des deutschen Volks gehämmert.
Der Fight steigt am 28. September in Hamburg. Zwar wird mittwochs normalerweise Fußball gespielt, aber in diesem Fall geht es nicht anders, denn es muß der 100. Geburtstag von Max Schmeling sein. "Der Geist von Max", haben wir Don King geschichtsbewußt trommeln hören, "wird dabeisein." Er muß dabeisein. Er wird fürs große Geschäft dringend benötigt. Jedenfalls hat das ZDF unter der tosenden Vorfreude des Studios auch noch gleich den neuen Schmeling dazustoßen lassen: Luan Krasniqi, unseren albanischen Schwarzwälder.
Im glaubhaftesten Schwäbisch hat er erzählt, wie er Schmeling vor drei Jahren versprochen hat: "Ich hole uns den Titel zurück." Flankierend hat auch der Promoter Kohl den erwähnten Geist derart strapaziert, daß unserem Maxe selig vermutlich selbst da oben auf Wolke sieben noch das Trommelfell gescheppert hat - womit der Tatbestand der vorsätzlichen Körperverletzung erfüllt wäre. Das StGB, § 168, sagt: Die Störung der Totenruhe wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft.
Doch ein gutes Geschäft gibt es nun einmal nicht umsonst.
Im übrigen gilt in dieser Branche nicht das Bürgerliche Gesetzbuch, sondern der Paragraph eins der Drahtzieher: Das Klappern gehört zum Boxen. Spontan erinnern wir uns eines Kampfes der Mittelgewichtslegende Marvin ("Marvelous") Hagler, der als "The War" vermarktet wurde - zur Einstimmung bekamen die Journalisten einen Stahlhelm geschenkt. Den Stahlhelm ersetzt diesmal der Schmeling. Die Werbetrommel wird mit dem größten Toten des deutschen Boxens gerührt, und Kohl macht das so perfekt, daß King ihn lobt: "Mein Bruder."
Da haben sich zwei Brüder im Geiste getroffen. Der Geist von Schmeling wird uns jedenfalls bis in den September verfolgen, allein schon dank King. Der Simultandolmetscher hat kaum Schritt halten können mit dem Redefluß dieses haarigen Kameraden, von dem Kohl behauptet, er kenne "alle Sachen, die es in diesem Geschäft gibt."
Der Moderator Poschmann hätte nachfragen können, ob er mit Sachen die Tricks meint, mit denen King seine Strippen zieht, doch das ZDF sitzt als übertragender Sender mit im Boot, also hat der Leichtmatrose Poschmann nicht übertrieben gebohrt - nicht einmal, als Kohl die Kingsche Macht im Schwergewicht mit dem Satz andeutete, daß es von den Klitschko-Brüdern ein grober Fehler ist, auf die Dienste von King und Kohl zu verzichten. Kohl süffisant: "Beide boxen kaum, sie haben keine Kämpfe." Kurz: Abstellgleis. Totalblockade. Man kann sich lebhaft vorstellen, wie das Duo Kingkohl im stillen Kämmerlein feixt. Sie verstehen sich blind. Sie wittern jedes Geschäft, und aus dem kleinsten machen sie notfalls ein großes - denn sie kennen die nötigen Zutaten.
Im jüngsten Fall ist es das deutsche Gefühl. Also wedelt Don King im Studio mit dem deutschen Fähnchen, schwärmt vom Schmelingschen Geist und vom Ergometer, auf dem unser Max bis ins hohe Alter tapfer geradelt hat - und daß es Krasniqi nur machen muß wie Schmeling gegen Joe Louis: Die Chance nutzen, die er nicht hat. Als Underdog - als bissiger Rottweiler.
Der neue Schmeling - dieses zündende Spiel, diese Wiederbelebung eines großen Gefühls, funktioniert hierzulande immer wieder. Erst durfte sich Karl Mildenberger als strammer Max versuchen, gegen Ali. Dann sollte Schulz, der nette Axel, den neuen Maxl machen. Sogar den hessischen Gastwirt Willi ("de Ox") Fischer hat man vom Tresen geholt, wo er normalerweise den Äpplwoi zapfte - wenigstens hat er das Beste daraus gemacht und sich, statt zurückzuschlagen, schnell auszählen lassen. So ist mit Schmelings großem Namen schon zu seinen Lebzeiten Schindluder getrieben worden - und neuerdings schwebt nun eben sein Geist über allem. Wie kann sich ein Toter wehren?
PS: Soeben erreicht uns das unbestätigte Gerücht, daß King und Kohl noch in der Nacht zum Sonntag via Satellit bei Max Schmeling angefragt haben sollen, ob sie für den 28. September mit seiner geistesgegenwärtigen Schirmherrschaft rechnen dürfen - doch er soll sich bockig im Grab umgedreht und gesagt haben: "Nur wenn auch Joe Louis kommt." Don King wird vermutlich seine Drähte glühen lassen - und alles versuchen.
http://www.welt.de/data/2005/08/01/753619.html?s=2