Löw profitiert meiner Meinung nach sehr stark davon, dass der über Jahrzehnte in Deutschland vorhandene und für den größten Fussballverband der Welt auch gerechtfertigte Anspruch den Titel zu holen und Halbfinals als Mindestanspruch zu haben inzwischen einer kollektiven Feierarie und Lobhudelei für einstmalige Selbstverständlichkeiten gewichen ist.
Wo bleibt das Anspruchsdenken, wenn man nach Siegen gegen Fussballzwerge wie Costa Rica, Ecuador, Österreich oder Südafrika hupend durch Straßen fährt, Fussballfeste feiert und das ganze medial hyped bis zum Erbrechen? Wo ist Kritik an der allerorts nur als grandios gefeierten WM 2010? Gab es neben den Spielen gegen England und Argentinien nicht auch eine Niederlage gegen Serbien, das Zitterspiel gegen Ghana und die wiederholte Gratis-Lehrstunde gegen Spanien, wo dann auf einmal nur das knappe Ergebnis bewertet wird - gilt dann urplötzlich nicht mehr "Der Weg ist das Ziel", weil die Titel früher immer so hässlich erstolpert wurden? Wo ist die Kritik daran, dass Spiele immer nur dann so "attraktiv offensiv" laufen, wenn man in den ersten 15 Minuten einnetzt?
Im Zuge dieser Lobhudeleien lässt sich dann eben auch menschlich durchaus diskutables Auftreten leichter rechtfertigen, denn Druck durch die Medien gibt es ohnehin kaum noch. Messen mit zweierlei Maß für ungebürliches Verhalten wird akzeptiert (Poldi - Kuranyi), von Löw selbst manifestierte Leistungskriterien (Spieler müssen Stammspieler in ihren Vereinen sein) können problemlos zum Wohle der eigenen Lieblinge über Bord geworfen (Poldi, Klose) werden und nun im Falle Ballack ist es schon so weit, dass dessen aufgrund einer Verletzung eingeleitete und sich wie Kaugummi ziehende und unwürdige Aussortierung in großen Teilen als eine Art Erlösung abgefeiert wird.
Und jeder, der es bei der medialen Amerikanisierung (Alles ist geil und über den Rest hüllen wir den Mantel des Schweigens und damit eine 180°-Drehung zu "Wir suchen immer das Haar in der Suppe", mit dem sich jahrzehntelang jeder deutsche Fussballer herumschlagen musste) wagt, Kritik zu äußern ist ein Hater, den man ohnehin nicht Ernst nehmen kann. Ich bin der Meinung, wenn schon Amerikanisierung, dann bitte ganz konsequent und damit auch "The second is the first loser". Den Anspruch mussten bis 2004 alle Beteiligten des DFB über sich ergehen lassen - aber das war vor "wir erwarten nichts und feiern dafür jeden noch so selbstverständlichen Sieg gegen Fussballzwerge umso mehr".
Von Ballack habe ich nie sonderlich viel gehalten, diesen Abschied auf Raten empfinde ich aber als unverdient. Ich hoffe er bleibt dabei gegen Brasilien nicht zu spielen - Sommerfussball zur Stadioneinweihung gegen Brasilien B, C oder im "Idealfall" Brasilen A auf dem Zahnfleisch (nach der Copa und vor dem Saisonstart) mit der von Lahm geliehenen Binde. Tolles Angebot, aber ich muss leider ablehnen!