Immer diese alte Leier, das mehr Masse die Schlagkraft automatisch erhöht und quasi eine "Wunderwaffe" darstellt. Das ist und bleibt Unsinn und verkennt völlig, worauf es beim Boxsport ankommt. Ein Kovalev oder Golovkin hätten z.B. auch ohne auf 100 Kg aufzuspecken locker die Schlagkraft, Top Schwergewichtler auszuknocken. Sie müssen sie halt nur ihren Gegner an den richtigen Stellen in der richtigen Situation treffen und das ist aufgrund ihrer körperlichen Nachteile natürlich schwieriger (Reichweite ist ein wichtiger Faktor, Ringpräsenz, Schläge absorbieren, abblocken, erdrückt werden im Clinch etc.).
Für Boxer wie Haye ist daher entscheidend, wie sie am besten klare Treffer anbringen können. In der Vergangenheit hat Haye das vor allem durch Speed, Technik und Beweglichkeit gemacht, was für kleinere Schwergewichtler in der Regel der erfolgsversprechendste Weg ist. Tyson ist dafür das Paradebeispiel. Der junge Tyson der 80er würde mit seinem Stil, seiner Beweglichkeit im Oberkörper und seiner Handspeed auch das heutige HW nach Belieben dominieren.
Haye wird ähnlich wie Tyson natürlich nicht jünger - die lange Ring- und Verletzungspause war zudem ebenfalls Gift für Speed und Beweglichkeit - und vielleicht ist er zu der Überzeugung gelangt, dass er sein altes Erfolgsrezept einfach nicht mehr umsetzen kann. Wenn man sich nicht mehr durch Speed und Beweglichkeit dem Gegner entziehen kann, kann mehr Masse natürlich hilfreich sein, Schläge besser abzublocken, zu absorbieren und im Clinch besser gegen zu halten. Zumal es zu solchen Situationen häufiger kommen wird, wenn man nicht mehr die flinken Beine von früher hat.
Der Schlagkraft Zugewinn ist eher zu vernachlässigen und hängt sowieso sehr von der Schlagtechnik ab. Haye (er legt sein Gewicht ganz gut in die Schläge) könnte von mehr Gewicht in der Tat etwas profitieren. Allerdings muss er dann auch seine Technik anpassen. Sogar in dem Kurzcomebackkampf konnte man sehen, dass er seinen Schlägen mehr nach fällt als früher, aber das nur am Rande. Selbst wenn man jedoch den "Schlagkraftzugewinn" messen könnte, würden die Gegner auch ohne diesen umfallen, wenn sie von Haye an der richtigen Stelle und zum richtigen Zeitpunkt getroffen werden, was aber durch den Alters- bzw. Gewichtszuwachs bedingten Rückgang in Sachen Schnelligkeit und Beweglichkeit eher weniger der Fall sein wird.
Lange Rede kurzer Sinn: Mit mehr Gewicht ist Haye nicht der bessere und gefährlichere Boxer, eher das Gegenteil ist erfahrungsgemäß der Fall. Zumal er so auch Gefahr läuft, selbst häufiger getroffen zu werden (gerade vor dem Hintergrund, dass er aufgrund seines früheren Stils nie eine klassische Deckungsarbeit hatte, die aber um so nützlicher ist, je häufiger man vor seinem Gegner steht) und sein Kinn ist bekanntlich nicht aus Granit. Letztlich hat er vielleicht keine andere Wahl, weil Alter und Pause halt nicht spurlos an ihm vorübergegangen sind, aber wenn er die Wahl hätte, würde er den jüngeren Haye von vor ein paar Jahren (mit kleineren Stilanpassungen vielleicht) sicher auch präferieren.
hausserdem ich als gleichaltriger hobby sportler konnte mich kraftsmässig und geschwindigkeitsmässig steigern
Sorry, aber das ist nun wirklich fast der dümmstmögliche Vergleich. Bei Hobbysportlern gibt es eigentlich immer großes Steigerungspotential, sogar im vergleichsweise hohen Alter. Leistungssportlern wie Haye hingegen dürfte es sehr schwer fallen, sich mit Ü30 noch gewaltig zu steigern. Es sei denn sie haben mit dem Leistungssport sehr spät angefangen, ihn in der Vergangenheit nicht sonderlich ernst genommen, falsch trainiert oder was auch immer. Das dürfte auf Haye jedoch nicht zutreffen. Sein Steigerungspotential (zumindest auf den Boxsport gemünzt, natürlich könnte er wahrscheinlich a la Tim Wiese noch sehr viel mehr "drauf packen", aber als Boxer bräuchte er dann nicht mehr in den Ring steigen, genauso wie Wiese bei keinem Bundesligisten mehr im Tor stehen wird) liegt daher eher in der Erfahrung, einer neuen Taktik etc. aber sicher nicht in den Bereichen Kraft oder Schnelligkeit.