Scott ist die ersten zwei Runden ausschließlich gerannt und wurde folgerichtig ermahnt. Aber dann hat er irgendwann angefangen auch boxerisch etwas zu versuchen, zwar immer noch zu wenig, um nennenswert Runden zu gewinnen, aber immerhin. Man kann ihm nicht vorwerfen die einzig sinnvolle Strategie zu wählen.
Ab der fünften Runde gewann er mehr und mehr an Selbstvertrauen. Er merkte, dass Ortiz ihn nicht überraschen konnte. Er konnte viel meiden, vieles blocken und das, was landete, sah er immer noch kommen. Scott hat zwölf Runden lang keine wirklich harten Treffer genommen, okay ein paar vereinzelte klare Treffer, die den Quit-Reflex ab und an haben aufblitzen lassen, aber nichts Wildes. In der siebten Runde hatte er auch selbst zwei knackige Hände im Ziel, eine davon brachte Ortiz ins Stolpern. Die sechste Runde hab ich ihm gegeben und eine Runde danach, weiss nicht mehr genau welche, hätte man ihm auch gegeben können.
Jetzt kann man sich fragen, warum ich Scott hier am laufenden Band lobe, obwohl er klar verloren hat. Ganz einfach in Relation zum tatsächlichen Leistungsvermögen gesehen! Ich wüsste nicht, wieso ich Scott hier zum Buhmann machen sollte. Der Kampf war als unnötiges Mismatch verschrien und die meisten, ich auch, haben erwartet, dass der als Quitter bekannte Scott direkt aussteigt, wenn ein paar harte Hände geflogen kommen. Dem war aber absolut nicht so.
Ortiz wurde dagegen bisher als absoluter Oberruler des HWs gehypt, teilweise bis zu dem Grad, dass auch ein Klitschko quasi nur noch ein "Walk in the Park" wäre. Die Performance heute hat den "King Kong" allerdings wieder sehr menschlich aussehen lassen.
Und das bestätigt auch meinen Eindruck extrem, dass Leute wie Klitschko und vor allem Fury richtig miese Matchups für Ortiz wären. Wie
@Dirrell bereits sagte, wenn der Gegner ihn "zieht" wirkt Ortiz´ Offensive einfallslos und berechenbar. Und das auch als Scott nicht mehr so übertrieben gerannt ist und teilweise auch in der Ringecke gestellt wurde. Keine klaren Treffer für Ortiz! Und wenn was traf, Scott sah es kommen! Den Ring konnte Ortiz auch nicht wirklich abschneiden. Thompson hat Ortiz´ Offensive, angesichts seines Alters und dem Mangel an professionellem Training, auch relativ gut neutralisiert und sogar regelmäßig selbst gelandet. Wie sieht Ortiz gegen den 2008er Thompson aus?
Fury ist extrem mobil auf den Beinen, gepaart mit der Beweglichkeit im Oberkörper, dem guten Jab, dem ständigen Fintieren und der schlichten Körpergröße wird es für Ortiz noch viel schwerer entscheidende Treffer zu landen. Genauso dürften ihm Ringeinlagen mit Fury deutlich weniger schmecken als die mit Scott. Ähnlich sehe ich es bei Klitschkos starkem Jab und der Infightvermeidung. In beiden Kämpfen kann er auch nicht nach Lust und Laune aufs Gaspedal und wieder runter, wie es gegen Leute wie Scott und Thompson der Fall war. Ich vermute er kann nicht lange hohes Tempo gehen. In beiden Fällen würde ich auf eine TKO-Niederlage für Ortiz in der zweiten Kampfhälfte tippen.
Für mich Kämpfe, die Ortiz verliert und auch von den anderen Top-HWs hebt er sich für meinen Geschmack nicht ab. Wären alles gute Kämpfe, aber nichts, wo man ihn zwingend gewinnen sehen muss. Ortiz ist ein sehr guter Boxer, aber eben nicht der Ruler, zu dem er in letzter Zeit gerne gemacht wird. Boxer die ihm liegen sind vermutlich Leute wie Haye, Parker, Povetkin, Stiverne, Chisora, Whyte,...
Aber auch bei einem Joshua bin ich relativ sicher, dass er womöglich bald einen "Hype-Dämpfer" erhält.