Noch eine Woche bis zum Draft, und Jonny Flynn gilt weiterhin als Kandidat für den
vierten Pick. Alle loben seine Schnelligkeit, seinen Zug zum Korb, seine Kämpfermentalität, sein Charisma.
Doug Gottlieb geht sogar so weit, ihn als "Kevin-Johnson type" zu bezeichnen.
Ich kann es einfach nicht nachvollziehen. Bin ich wirklich der einzige, der daran zweifelt, dass Flynn überhaupt ein Point Guard im Sinn von "Spielmacher" ist? Dass seine Spielübersicht, sein Passspiel und seine Entscheidungsfindung nicht dem Niveau entsprechen, das man von jemandem erwarten darf, der hauptamtlich den Spielaufbau eines NBA-Teams übernehmen soll? Dass er gefährlich nah dran ist, nur ein zu kleiner Scoring Guard ohne guten Wurf zu sein?
Wenn es um Flynn geht, höre ich viel von "heart", "toughness" und "leadership", und all das habe ich bei ihm auch schon sehen können. Allerdings macht ihn das nicht zu einem guten Point Guard, im Gegenteil - es verleitet ihn vielmehr dazu, 1-gegen-5 zu spielen, sich in seinen Aktionen zu übernehmen, mit dem Kopf durch die Wand zu wollen. Wer mal Stephon Marbury, Louis Williams und ähnliche Kaliber im Ego-Modus erlebt hat, weiß, was ich meine: Diese Attribute bieten ebenso viel Negatives wie Positives.
Allerdings sind diese Spieler allesamt größer als Flynn; so ziemlich jeder ist es, und wer es nicht ist, kann meist besser werfen als Flynn - Nate Robinson zum Beispiel, ebenso Aaron Brooks. Robinson war allerdings Nr. 21 im Draft, Brooks Nr. 26 - beide also späte Erstrundenpicks, weit entfernt von den Top-10, egal wie stark ihr Jahrgang war.
David Thorpe fühlt sich bei Flynn an Bobby Jackson erinnert, was vielleicht kein schlechter Vergleich ist - aber Jackson war auch nur Nr. 24 im Draft. Draftexpress geht sogar noch weiter und erwartet Flynns Leistungen irgendwo zwischen denen von Earl Watson (best case) und Omar Cook (worst case) - beide waren Zweitrundenpicks.
Was also genau macht Flynn zum Top-10-Kandidaten mit Chancen auf die Top-5? Was soll er all den von mir genannten Guards, die vergleichsweise spät gedraftet wurden, voraus haben? Die Antwort ist: Ich weiß es nicht. Der diesjährige Draft mag schwach sein, aber so schwach, Flynn in die vordersten Draftregionen zu spülen, ist er nicht. Gerade auf der Position des Point Guards bietet dieser Jahrgang die größte Talentdichte, angeführt von Ricky Rubio, Stephen Curry und Jrue Holiday - doch ironischerweise könnte Flynn gerade vor diesen drei Point Guards auf dem vierten Draftplatz landen.
Flynn erinnert mich in seiner Größe, Athletik und Spielweise an Will Bynum - und Bynum wurde nicht mal gedraftet. Flynns Mentalität, Einstellung und Charakter ähneln Juan Dixons, und der wurde auch nur auf der Erfolgswelle eines NCAA-Titels mit Maryland samt MOP-Ehren in die Mitte der ersten Draftrunde getragen, wo er nicht hingehörte. Selbst wenn man Flynn mehr Talent als diesen Beiden zugesteht, was übrigens alles andere als selbstverständlich ist, bleiben die offensichtlichen Zweifel an seiner Größe, seinem Wurf und seiner Interpretation der Point-Guard-Position bestehen.
Flynn ist einer der Lieblinge dieses Drafts, und es scheint kein NBA-Team zu geben, das nicht von ihm angetan ist. Aus meiner Sicht hat das jedoch zu einem Hype geführt, der alle Grenzen der Vernunft sprengt. Solange ich die NBA verfolge, kann ich mich an keinen Point Guard erinnern, der es so wenig verdiente, als potentieller Top-5-Pick gehandelt zu werden. Es ist nicht einmal knapp.
Wir hatten hier neulich das Thema "persönliche Prognosen", und ich weiß, dass ich für diesen Post viel Kritik ernten werde, falls Flynn zum guten NBA-Spieler wird, aber ich sehe keine Chance, dass er den Erwartungen gerecht werden kann, die durch seine Draftposition entstehen. Jonny Flynn ist für mich der führende Bust-Kandidat des Drafts 2009.