Du behauptest, Djokovic ist nur am Rumwuseln, was ich mal frei mit "rumlaufen und Bälle zurückspielen" übersetze. Um zu widerlegen, dass Djokovic eindimensional ist, müsste er allerdings nicht zwingend ein Alleinstellungsmerkmal haben. Hat er aber, es springt einen nur nicht so an wie vielleicht bei einem Federer.
Was gegen Deinen vorgestrigen Vorwurf der Eindimensionalität spricht, ist schon mal der Erfolg allein: 22 Grand Slam Titel und Top 3 bester Spieler aller Zeiten. Und die Chancen sind günstig, dass man von ihm in 1, 2 Jahren als bester Spieler aller Zeiten sprechen wird. Wie soll das gehen, ohne dass man in vielen Bereichen herausragend ist?
Auf flashscore könntest Du Dir mal die Stats der letzten Monate von Djokovic zur Gemüte führen. Dann würdest Du sehen, dass er in den meisten Spielen mehr Winner schlägt als sein Gegner. Um mal nur bei den AO zu bleiben: in seinem Spiel gegen De Minaur, jemand der eher so spielt wie Du es von Djokovic behauptest, war die Winner Statistik: 26:9. Also Faktor 3 mehr Winner für Djokovic. Die winner müssen ja irgendwo her kommen, oder?
Wenn alles, was Djokovic macht, ist, dass er nur rumwuselt und die Bälle zurück spielt, dann frage ich mich, warum ein Michael Chang 1 und nicht 22 GS auf seinem Konto hat, oder warum ein Alex De Minaur 0 GS Titel hat? Hier muss es also schon mal beträchtliche Unterschiede in der Spieler Qualität geben. Darauf kann man übrigens auch kommen, wenn man nicht so häufig Tennis schaut. Ich geh ja auch nicht in ein Formel 1 Forum und motz dann rum, dass Michael Schuhmacher ja immer nur im Kreis fährt.
Hier mal die Stärken, die ich bei Djokovic sehe:
- Mental Top 3 ATP ever, evtl. sogar stärkster mentaler Tennis Spieler aller Zeiten.
- Fitness: Auch mit 36 der fitteste auf der Tour. Kann ohne Qualitätsverlust mehrmals hintereinander 5 Satz Spiele spielen.
Diese beiden Punkte sind kein Gegenargument gegen den Vorwurf der spielerischen Eindimensionalität, aber schon hier könnte man ihm 2 x ohne Verrenkungen ein Alleinstellungsmerkmal andichten. Gab es jemals einen fitteren Spieler als Djokovic, gab es jemals einen mental besseren Spieler als Djokovic? Im Endeffekt Haarspalterei, er ist auf jeden Fall in beide Kategorien ganz ganz ganz weit oben.
- Return:
Bester Return-Spieler aller Zeiten. Hier hast Du gleich ein spielerisches Alleinstellungsmerkmal! Es gibt niemanden, der bessere Returns schlägt als er. Und in dieser Kategorie gibts starke Konkurrenz, z. B. ein Agassi, der vielleicht nen Zacken spektakulärer in diesem Bereich war. Aber die Konstanz von Djokovic ist unerreicht. Er geht bei seinen Returns, etwas anders als Agassi, nicht so viel auf Winner. Aber die Konstanz mit der er a) unmögliche Aufschläge returniert b) Aufschläge extrem nah an die Grundlinie returniert und somit komplett den Aufschläger-Vorteil aufhebt, ist konkurrenzlos.
- Verteidigung: Ich würde sagen, er ist zusammen mit Nadal, der beste Verteidigungsspieler aller Zeiten. Womit seine Verteidigung auf jeden Fall auch ein Alleinstellungsmerkmal ist. Aber er ist eben nicht auf Verteidigung limitiert! Wenn Djokovic hinten den Gummimann mimt, dann macht er das meistens freiwillig aus taktischen Gründen und nicht weil er dazu gezwungen ist. Beispiele, dass Djokovic jederzeit seine taktische Marschroute ändern kann, gibts unzählige.
Ein Paradebeispiel für eine von Anfang an aggressive Taktik war das AO Finale 2020 gegen Nadal. Hier stand Djokovic 3 Sätze lang nah an der Grundlinie oder sogar auf der Grundlinie, hat die Bälle extrem früh genommen und Nadal mehr oder weniger kurzrundig weggeschossen. Da war nix mit wuseln. Djokovic hat eindeutig die Option, ob er ein Spiel defensiv oder offensiv spielt.
Man muss auch sehen, dass Djokovic den Gummiwand Modus häufig auch praktiziert, um seine Gegner zu demoralisieren. In den seltensten Fällen ist es wirklich so, dass er gezwungen ist, defensiv zu spielen. Üblicherweise hat ein Spieler, der seinen Gegner hin und herschickt, in die Defensive zwingt, den spielerischen Vorteil und eine deutlich über 50%ige Chance, den Ballwechsel zu gewinnen. Gegen Djokovic wird dieses Prinzip ad absurdum geführt. Die Gegner "beherrschen" scheinbar den Ballwechsel, kriegen den Ball aber nicht tot und mit der Zeit ist das extrem demoralisierend. Wenn Djokovic merkt, dass das mal nicht so fkt., ändert er auch die Taktik. Außer er ist wirklich schlecht drauf, dann verliert er eben auch mal. So wie Djokovic das macht, kann man das nur mit Nadal vergleichen.
- Taktik/Ball placement:
Hier ist Djokovic ganz groß. Denn man muss nicht nur fragen, was er gut, toll und super macht, sondern was er NICHT macht. Und was er nicht macht ist, dass er sich extrem selten selber ausplaziert in einem Ballwechsel. Das ist die große spielerische Intelligenz, die er eben auf obersten Niveau praktiziert.
- Rückhand Stop Ball:
Der Rückhand Stoppball ist eines der wichtigsten Elemente geworden in seinem Spiel. Er spielt ihn ansatzlos und perfekt. Keiner spielt ihn besser. Einige sind auf einem ähnlichen/gleichen Level.
Man könnte über Elite Spieler wie Djokovic, Nadal und Federer, bzw. warum sie dem Feld so weit voraus sind/waren, dicke Bücher schreiben. Gerade über die Grundschläge gibts sicher auch noch jede Menge zu sagen. Ich wills aber jetzt mal gut sein lassen mit dem Fazit, dass DJokovic wie oben beschrieben einige bestechende Stärken hat und überhaupt nicht eindimensional ist. Man muss bei ihm vielleicht nur ein bisschen genauer hingucken.