Den allgemeinen Tenor der Kommentare hier teile ich durchaus: Es war ein sehr unansehnlicher Kampf, Wladimir häufig sehr unfair...großenteils ein Gewürge anstatt Boxen usw. Das muss man auch nicht dauernd in ähnlicher Form wiederholen, denn 90% aller Beiträge sagen doch im Prinzip dasselbe aus...
Nun möchte ich aber auch einige Aspekte anführen, die bisher noch nicht genannt wurden:
1. Povetkin war für mich insgesamt eine große Enttäuschung, Gut, er ist stehen geblieben, hat vielleicht "Herz" bewiesen - aber sonst? Er war Olympiasieger, als Profi-Boxer bislang ungeschlagen. Dafür hat er verdammt wenig gezeigt, kaum Beinarbeit, kaum mal ein Schritt zurück und wenig variabel, ein dankbares Opfer für Wladimirs Klammerei und Drauflehnen. Wer mit dem Kopf voraus auf Höhe der Gürtellinie des sehr viel größeren Gegners agiert, muss sich auch nicht wundern dass dieser sich drauflehnt. Was mir auch aufgefallen ist, ist die Eindimensionalität von Povetkin nicht nur im Boxring sondern auch in seinem Interview: Er möchte weiter boxen und härter und besser trainieren...aha. Wenn er dies nicht im Vorfeld des Klitschko-Kampfes getan hat, wann dann? Povetkin scheint mir insgesamt ein recht einfältiger Zeitgenosse zu sein, mit mehr Herz als Hirn. Es ist einfach ein sturer Bock, und so boxt er auch.
2. Wladimir war für mich auch eine Enttäuschung, allerdings die kleinere im Vergleich zu Povetkin. Wladi ist ja immerhin der klare Sieger, was bei einigen Kommentaren hier irgendwie untergeht...Die erste Kampfhälfte war in der Tat grottig, da hätte man durchaus 2-3 Runden an Povetkin geben können. Danach gab es - immerhin - einige Momente in denen Wladis' Können offensichtlich wurde. Da gab es Momente, wo er Povetkin mit seinem linken Jab und sogar einigen Haken ziemlich dominierte und aus der Distanz ausboxte. Zeitweise schien er regelrecht mit ihm zu spielen. Da war zwischendurch Grabesstimmung in der Arena, als Wladi Povetkin quasi nach belieben traf...da blitzte sein Können schon deutlich auf und es war ein Klassenunterschied zu erkennen.
Allerdiings war dies nur kurzzeitig der Fall, zumeist dominierte bei Wladimir der safety-first-modus, garniert mit unfairen Aktionen. Er kann bzw. will seine boxerische Klasse offensichtlich nur sporadisch einsetzten, nämlich dann wenn er sich sicher ist nicht selbst in Gefahr zu geraten.
Der Kampf hinterläßt bei mir ein sehr zwiespältiges Gefühl. Irgendwie bringt Wladimir sein Potenzial im Ring nicht voll zum Tragen, andererseits muss er dass auch nicht - und was wäre wenn er es könnte? Dann wäre die Meckerei auch wieder groß und würde großenteils wieder mehr auf der mangelnden Klasse seine Gegner abgeladen als auf sein Können. Denn eine zu große Dominanz und Überlegenheit eines Boxers möchte der Box-Fan nun auch wieder nicht. Das hängt aber auch wesentlich von der Qualität seiner Gegner ab. Ein Povetkin hat vielleicht "Herz", aber ansonsten? Und wer soll das denn bitteschön besser machen? Insofern ist es wahrscheinlich, dass Wladimir noch 2-3 Jahre an der Spitze steht. Die "anderen" bringen es einfach nicht...