Jeder Hobbyspieler hat Glücksgefühle, wenn die Sandplätze eröffnet werden. Was empfinden Sie, wenn Sie auf Sand zu trainieren beginnen?
Auch für mich sind die ersten Trainings auf Sand immer ein grosses Vergnügen. Auf dieser Unterlage bin ich gross geworden, als Junger habe ich immer auf Sand trainiert. Deshalb fühlt sich für mich alles so natürlich an. Das Rutschen, beispielsweise. Ich liebe die Sandsaison. Auch wenn sie nur kurz ist. Aber das macht sie noch spezieller.
Kommen da Erinnerungen auf an Ihren Sieg in Roland Garros 2015? Oder an Ihren Juniorentitel von 2003?
Erst wenn ich an die Turniere fahre wie nun nach Monte Carlo. Und dann natürlich in Roland Garros. Es war das Turnier, das ich als kleiner Junge immer geschaut habe. Und das einzige Grand Slam, das ich als Junior gespielt und erst noch gewonnen habe. Mit diesem Sieg machte ich in der Tenniswelt erstmals auf mich aufmerksam. Bis da hatten es ja fast alle Pariser Juniorensieger später in die Top 30 geschafft. Das sagte also etwas aus. Und 2015 war einer meiner süssesten Siege, der Final gegen Djokovic, eines meiner besten Spiele überhaupt. Selten habe ich so starke Emotionen erlebt. Das bleibt in meinem Kopf eingraviert.
Es ist nicht einmal zwei Jahre her, dass Sie in Roland Garros im Final standen. Viel ist seither passiert. Was haben Sie durch Ihre Knieoperation und den beschwerlichen Weg zurück über sich gelernt?Es ist in der Tat nicht lange her, praktisch gestern. Ich hatte zuvor Genf gewonnen, war die Nummer3 der Welt, auf dem Höhepunkt meiner Karriere. Die Operation brachte mich komplett von meinem Weg ab. Das war sehr hart. Wenn du auf der Tour bist und deinen Routinen folgst, geht alles so schnell. Nach der Operation fühlte es sich an, als bleibe die Zeit stehen. Und ich brauchte fast eineinhalb Jahre, um die körperliche Basis von vorher wieder aufzubauen. Aber voilà, ich habe das Gefühl, jetzt ist sie wieder da.
Ihr Trainer Magnus Norman schrieb in einem Blog, in jener schwierigen Phase habe man Ihre wahre Stärke erst richtig gesehen. Einverstanden?
Die wahre Stärke? Ich weiss nicht. Eine andere Stärke, würde ich sagen. Ich hätte nach der Operation auch gut aufhören können. Zumal mein Karriereende nicht mehr so weit weg ist und ich schon so viel erreicht habe. Aber ich liebe diesen Sport einfach zu sehr. Die tägliche Anspannung, den Challenge, an die Grenzen zu gehen, die Emotionen während der Spiele, vor Publikum aufzutreten.
Sie sind nun seit einem guten Jahr zurück auf der Tour. Wo stehen Sie?
Ich betrachte es anders: Für mich bin ich erst seit Beginn dieses Jahres so richtig zurück. In einer normalen Form. Natürlich spielte ich 2018 schon wieder, aber ich war immer noch im Aufbau, nie bei 100 Prozent. Erst seit der Vorbereitung des letzten Winters fühle ich mich wieder richtig gut. Und seit da sind die Resultate ja auch mehr oder weniger okay. Natürlich, ich habe auch ein paar bittere Niederlagen einstecken müssen. Aber ich habe das Gefühl, das Puzzle fügt sich langsam wieder zusammen. Meine Rangierung brachte es mit sich, dass ich oft früh auf sehr gute Spieler traf wie in Indian Wells auf Roger. Deshalb gewann ich etwas weniger Matches, und deshalb konnte mein Selbstvertrauen noch nicht so richtig wachsen. Aber ich habe den Eindruck, dass ich sehr nahe dran bin, wieder etwas ganz Grosses zu erreichen. Ob das in der Sandsaison ist, im Sommer oder im Herbst, weiss ich nicht. Das war bei mir schon immer so. Ich arbeite hart, tue die richtigen Dinge, aber die Resultate folgen manchmal nicht sofort. Aber plötzlich passt es.
Die SonntagsZeitung tippte, dass Djokovic 2019 das Australian Open gewinnen wird, Thiem Roland Garros, Federer Wimbledon und Sie das US Open. Einverstanden?
(lacht) Das ist nett von euch! Ich glaube auch, dass ich in der zweiten Saisonhälfte am besten spielen werde, wenn ich so weiterfahre und körperlich keinen Rückschlag habe. Dann habe ich schon sechs Monate und viele Matches hinter mir und werde höher klassiert sein. Es wäre für mich nur schon ein Traum, an einem Sonntag dazustehen mit dem Pokal. Das möchte ich nochmals erleben. In Rotterdam fehlte mir ja nur ein Sieg. Aber das Wichtigste ist, welche Mentalität du in der täglichen Arbeit hast.
Novak Djokovic sagte, er habe auf dem Weg zurück aufhören müssen, sich zu vergleichen mit früher. Wie ist das bei Ihnen?
Für mich war seit der Operation immer klar, dass ich mich nicht vergleichen kann mit vorher. Dass ich, überspitzt ausgedrückt, ein neuer Spieler bin. Das muss nicht heissen, dass ich weniger stark bin. Sondern nur, dass ich einen anderen Weg finden muss, um auf mein bestes Niveau zu kommen. Und das Tennis hat sich auch entwickelt. Roger ist heute nicht der gleiche Spieler wie vor drei Jahren. Nicht nur wegen seiner Verletzungen, sondern auch wegen der Evolution des Sports. Und weil das Alter einen Einfluss hat, man in gewissen Bereichen davon profitiert, in anderen Abstriche machen muss.
Nadal und Federer veränderten ihr Spiel, spielen seit ihren Comebacks angriffiger. Ist das auch Ihr Ziel?
Ich versuchte in all den Jahren stets, mein Spiel weiterzuentwickeln. Mein Ziel war immer, noch aggressiver zu spielen, die Punkte zu verkürzen, mir zusätzliche Optionen zu geben. Aber aktuell liegt mein Fokus darauf, mich auf dem Court gut zu fühlen. Ich weiss, wenn ich mein bestes Tennis spiele, spiele ich aggressiv. Das bedeutet nicht, dass ich Aufschlag-Volley spiele oder «Chip and Charge». Sondern, dass ich meine Schläge durchziehe, die Ballwechsel diktiere.
Welche Bedeutung hat die Rückkehr von Magnus Norman seit der Sandsaison 2018?
Ich bin sehr froh, ist er zurück. Mit dem Team, das wir nun wieder haben, haben wir sehr schöne Dinge erlebt, Grand-Slam-Titel gewonnen. Magnus kennt mich und mein Spiel am besten. Er weiss, wie er mit mir umgehen muss an den Turnieren, in Stresssituationen.
Redeten Sie schon mit seiner Tochter, die für ihn der Auslöser war, zu Ihnen zurückzukehren? Die ihm sagte, er könne Sie doch nicht alleinlassen?
Seit dieser Geschichte noch nicht. Aber ich kenne seine Töchter gut, sie reisten früher ja eine Weile mit uns. Ich verstehe mich sehr gut mit seinen Töchtern und seiner Frau. Es ist für uns wichtig, dass wir die Zusammenarbeit so gestalten, dass es auch für die Zwillinge stimmt.
2016 sprachen Sie nach Ihrem US-Open-Sieg ausführlich über Ihren Umgang mit Schmerzen. Ist das eine Qualität, die man als Tennisprofi haben muss?
Ich denke schon. Man muss mental so stark sein, dass man sich von Schmerzen nicht stoppen lässt. Wenn du diesen Sport so viele Jahre auf höchstem Niveau betreibst, tut dein Körper einfach weh.
Sind Sie stark darin, auf die Zähne zu beissen?
Das war ich schon immer. Das Problem bei mir ist eher, dass ich mich nicht zu sehr pushe, wenn es mir wehtut. Dass ich merke, wann ich aufhören muss, um eine Verletzung nicht zu verschlimmern.
Haben Sie nun weniger Schmerzen als vor der Operation?
Ja. Wenn ich nur das Knie betrachte, bin ich sehr zufrieden. Holz anfassen! Vor der Operation hatte ich zehn Monate lang mit dieser Verletzung, mit Schmerzen gespielt. Da musste ich einfach durch. Anfangs war eine Operation noch kein Thema. Aber sie war nötig, damit ich die Karriere fortsetzen konnte.
Haben Sie das Vertrauen in Ihren Körper wiedergefunden?
Wenn ich nur das Knie betrachte, dann habe ich wieder 100 Prozent Vertrauen. Aber es gibt ja noch viele andere Dinge, die reinspielen. Nach so vielen Jahren auf der Tour zwickt es immer ein bisschen. Es ist wichtig, das so gut wie möglich zu managen. Man darf nicht zu viel spielen, muss dem Körper Zeit lassen, sich zu erholen. Gleichzeitig muss man dranbleiben.
Wenn Sie zweifeln, schauen Sie auf Ihren linken Unterarm und lesen Samuel Becketts Quote: «Immer versucht. Immer gescheitert. Egal. Versuch es wieder. Scheitere wieder. Scheitere besser»?
(lacht) Nein, ich muss nicht meinen Unterarm anschauen. Diesen Spruch habe ich im Kopf. Er bringt meine Karriere auf den Punkt. Ja das Leben an sich. Man muss immer weiterkämpfen, immer Lösungen suchen, um weiterzukommen. Und wenn es nicht gut läuft, man Zweifel hat, muss man probieren, zu verstehen, woran es liegt. Das war immer meine Stärke.
Die junge Generation ist daran, die Top 3 herauszufordern. Wann schafft sie es endlich, die grössten Titel zu gewinnen?
Wir haben eigentlich zwei junge Generationen. Die Nextgen mit Jungs wie Tiafoe, Shapovalov oder De Minaur. Und jene mit Thiem, Zverev, Kyrgios, die schon ein bisschen älter sind. Die grosse Frage ist: Wann gewinnt erstmals einer von ihnen ein Grand Slam? Das wird bald passieren. Vielleicht in diesem Jahr. Aber momentan ist es immer noch so: Wenn Roger, Rafa und Novak bei 100 Prozent sind, sind sie noch zu stark. Doch man sieht auch, dass diese drei nicht mehr immer in Topform sind, auch manchmal eine Baisse haben.
Wer schafft es als Erster?
Thiem und Zverev sind den anderen weit voraus. Sie sind schon mehrere Jahre ganz vorne dabei. Ich dachte immer, dass Zverev der Erste sein würde. Aber bisher hat er Mühe gehabt an den Grand Slams. Wenn es bei ihm Klick macht, wird er nur noch schwer zu schlagen sein. Wenn ich mich entscheiden muss, nehme ich Zverev.
Wer gefällt Ihnen von den Jungen am besten?
Tiafoe gefällt mir sehr. Ihm schaue ich gerne zu, wenn er gut spielt. De Minaur gefällt mir auch. Er ist ein Spieler mit sehr vielen Qualitäten.
Ein Thema abseits der Courts: Sie setzen sich für Recycling ein. War Ihnen das immer wichtig?
Absolut. Ich bin auf einem biologisch geführten Bauernhof aufgewachsen. Für uns war es normal, alles zu tun, um die Erde zu bewahren. Ich war ja jahrelang Botschafter von Swiss Recycling. Um den Leuten in Erinnerung zu rufen, dass es wichtig ist zu rezyklieren. Warum man es macht. Ich bin froh, kann ich nun bei Evian diese Rolle spielen.
Sie haben vom Alter gesprochen. Sie sind ...
... alt geworden.
Nein, erst 34.
Für Tennis ist das alt.
Machen Sie sich Gedanken übers Alter?
Ja, weil mein Job ein Ablaufdatum hat. Das hat weniger mit dem Alter als mit meinem Körper zu tun. Solange der mitspielt und meine Motivation noch da ist, mache ich weiter. Aber in unserem Metier sagt der Körper irgendwann Stopp!
Es wird der Körper sein und nicht der Kopf, der bestimmt, wie lange Sie noch spielen?
Ich denke schon. Wenn es der Kopf wäre, hätte ich nach der Operation aufgehört. Ich startete ja praktisch wieder bei null, musste extrem viel Arbeit investieren. Und ich hatte keine Gewissheit, jemals wieder auf ein gutes Niveau zu kommen. Das zeigt mir, dass mein Kopf noch zu 100 Prozent mitspielt.
Wie viele Jahre haben Sie noch auf der Tour?
Ich glaube, dass ich noch ein paar Jahre auf einem sehr guten Niveau spielen kann. Ob es drei, vier, fünf oder zwei Jahre sind, weiss ich nicht. Drei wären schon sehr schön.
Gibt es Ihnen eine gewisse Ruhe, zu wissen, dass Sie schon so viel erreicht haben?
Ja, in dem Sinne, dass ich weiss: Wenn ich morgen zurücktreten würde, hätte ich trotzdem viel, viel mehr gewonnen, als ich mir je erträumt hatte, als ich jung war. Ich habe fast alles erreicht, was man im Tennis erreichen kann. Aber deswegen bin ich keine Spur weniger nervös vor den Spielen.
Versuchen Sie, es bewusster zu geniessen, weil Sie wissen, dass Ihre Zeit auf der Tour beschränkt ist?
Ich schätze es mehr, weil ich weiss, von wie weit unten ich nach meiner Verletzung gekommen bin. Ich weiss, wie hart ich arbeiten, wie sehr ich leiden musste, um wieder hierherzukommen.
Wird es einmal eine Autobiografie geben über Sie?
Eines Tages vielleicht. Wahrscheinlich schon.
Worauf sind Sie am meisten stolz?
Schon als kleiner Junge sagte ich mir: Am Tag, an dem ich aufhöre, will ich nichts bereuen müssen. Dann will ich nichts unversucht gelassen haben. Ich will mir nicht sagen müssen: Wieso habe ich dies nicht getan? Oder jenes? Ich weiss, ich habe alles unternommen. Ein Titel mehr oder weniger, das macht für mich keinen grossen Unterschied. Wenn ich weiss, dass ich das Maximum herausgeholt habe aus meinem Potenzial. Das habe ich getan. Und das tue ich weiter.
Welchen Titel würde die Autobiografie haben?
(lacht) Keine Ahnung. Geben Sie mir noch etwas Zeit. Die Geschichte ist noch nicht fertig geschrieben.