Rein äusserlich ist Stefanos Tsitsipas mit seinen Locken und dem beeindruckenden Sixpack der Typ Surfer. Doch eine "Sun, fun, and nothing to do"-Attitüde passt nicht zum Charakter des Griechen. Der 21-Jährige verdankt den rasanten Aufstieg zur Weltnummer 7 nicht zuletzt seinem Trainingseifer und der schon in seiner Jugend ausgeprägten Professionalität. Er ordnete dem Tennissport alles unter, was zu grossen Erfolgen wie zum Beispiel dem Sieg am Australian Open gegen Roger Federer führte, aber letzlich auch zu einem Burn-out-ähnlichen Zustand, wie er in Basel zugibt.
"Ich wollte immer mehr, mehr und noch mehr. Diese Einstellung machte mich verrückt", erzählt er und begründet damit seine Gefühlsausbrüche während der Matchs. Doch Tsitsipas litt nicht nur auf dem Court, sonder auch - oder eher: vor allem - daneben. "Es gab im Sommer eine Phase, da zweifelte ich an mir. Ich dachte, ich sei keine gute, keine interessante Person. Ich wollte jemand anderes sein." Ausgerechnet de bittere Erstrundenniederlage am US Open gegen Andrei Rublew leitete die Wende zum Guten ein.
Rückblickend sagt er, das Ausscheiden sei etwas vom Besten gewesen, das ihm je widerfahren sei. Der Tennisprofi blieb etwa eine Woche lang in New York und stellte fest, dass er sich zwar lange auf dem Erfolgspfad, aber gleichzeitig auch auf dem Holzweg befunden hatte. "Die Niederlage gab mir Zeit, Neues zu entdecken." Und in sich reinzuhorchen. "Ich realisierte, dass die Ernsthaftigkeit, ja diese Kälte, nicht nötig war. Ich machte mir viel zu viel Druck. Ich dachte, nur diese Seriosität würde mir Titel und Pokale einbringen, mich meine Ziele erreichen lassen." Er entschied sich, sein Leben so zu leben, wie es ihm entspricht, und nicht, wie es andere für richtig halten.
Das heisst freilich nicht, dass ihm Ehrgeiz und Zielstrebigkeit abhanden gekommen sind und er nun vorwiegend dem süssen Nichtstun fröhnt. Doch Tsitsipas ist bewusst geworden, nicht immer nur gewinnen zu können. Er versucht nun, entspannter ans Werk zu gehen und mehr auf seine persönlichen Bedürfnisse zu achten. So setzt er sich nicht mehr dem Stress aus, ständig online zu sein. Er hat alle Social-Media-Apps von seinem Mobiltelefon gelöscht. Die Einträge macht mittlerweise sein Agent, Tsitsipas nickt sie vor der Veröffentlichung nur noch ab.
All das wirkt sich positiv auf seine Psyche aus. "Derzeit geht es mir so gut wie noch nie. Ich geniesse das Leben, und das spiegelt sich in meinem Spiel", berichtet er. In der Tat: In China fand er seine Form und qualifizierte sich dank einem Endspiel (Peking) und einem Halbfinal (Shanghai) für die ATP-Finals. Das sei eine grosse Erleichterung und erlaube ihm, in Basel und Paris-Bercy ohne Zusatzdruck anzutreten. An den Swiss Indoors hat er das Halbfinale erreicht und trifft heute auf Lokalmatador Roger Federer.
Die Resultate sind für ihn vorerst zweitranging. Er arbeite an den Elementen seines Spiels, die für seine Leistung in London entscheidend sein würden. Dort will Tsitsipas auf der Erfolgswelle surfen - mit Sixpack und wehendem Haar, aber auch der nötigen Lockerheit. Typ Surfer halt.