Ich habe gestern in der ZEIT einen, wie ich finde, sehr guten Artikel zum Thema Ballbesitz gefunden. Da werden mMn einige Dinge ganz gut thematisiert. Endlich mal etwas tiefgründiger als die oberflächlichen Aussagen, dass der Ballbesitzfußball (der in seiner Ausprägung sowieso höchst vielfältig sein kann) tot sei. Interessante Stellen habe ich mal hervorgehoben.
Das größte Problem des Ballbesitzspiels ist, dass es zwar die für ästhetisch veranlagte Betrachter vollkommenste Form des Fußballs ist, aber eben auch die schwierigste. Verteidigen kann jeder, angreifen nicht. Um Ballbesitzfußball erfolgreich zu betreiben, benötigt man elf (ja, auch der Torwart muss mit seinen Füßen umzugehen wissen) ballsichere Spieler, die gewillt sind, sich permanent zu bewegen, ihre Position zu verändern und einander zu helfen. Dreiecke bilden heißt das im Fachjargon. Der Ballführende muss immer mindestens zwei Anspielstationen in unmittelbarer Nähe haben. In hohem Tempo ausgeführt entsteht eine Ballzirkulation, die nicht zu verteidigen ist. Dann fehlt nur noch eine entscheidende Komponente. Ein Spieler, der den Ball ins Tor befördert. Im Idealfall ist das ein kombinationssicherer, dribbelstarker Spieler, der einen Abwehrverbund durch eine Einzelaktion knacken kann.
Ganz gut beschrieben. Es ist sehr anspruchsvoll im Spiel ohne Ball. Man muss sich immer wieder freilaufen und anbieten.
Genau diese Stellenbeschreibung war es, die Deutschland eine stürmerlose Gegenwart bescherte. Traditionelle Strafraumstürmer sind in diesem Konzept nicht vorgesehen, weil sie den Kombinationsfluss hindern. Joachim Löw experimentierte zur Hochzeit des Ballbesitzstils mit einer falschen Neun, das heißt einem Stürmer, der eigentlich ein offensiver Mittelfeldspieler ist. Mario Götze war lange der Favorit auf dieser Position. Typen vom Schlage Götze, klein, wendig und ballgewandt, wurden in den Nachwuchsleistungszentren gefördert, körperlich robuste, durchsetzungsfähige Stürmer vom Typus eines Mario Gómez abgelehnt.
Das war sicherlich eine Konsequenz, die ich auch falsch finde. Es gibt nie einen Trend, auf den man sich festlegen sollte und körperlich robuste Mittelstürmer (die im Idealfall auch technisch stark sind), werden immer gebraucht werden. Klose war ein Glücksfall für den deutschen Fußball und man merkt nun, dass er fehlt. Der konnte alles, kombinieren, kopfballstark, torgefährlich.
Ballbesitz ist nicht für jedermann, erst recht nicht bei Turnieren, wo selbst eine schlechte Halbzeit zum Verderben genügt. Der Stil ist anfällig für die Unwägbarkeiten des Spiels, ein frühes Gegentor kann das gesamte Konzept schnell ins Wanken bringen. Dazu kommt, dass Nationalmannschaften nie die gleiche Zeit der Vorbereitung bleibt wie Clubteams, die viel länger an den Feinheiten des Spiels arbeiten können.
Ein schlüssiges Argument, dass auch durch den Titelgewinn von 2014 untermauert wird. Eine kompakte Defensive war der Schlüssel, aber man hatte auch genügend Spieler, die mit dem Ball etwas anfangen konnten. Der Stil war aber deutlich ''pragmatischer''.
Sich defensiv gut zu positionieren und auf die Fehler des Gegners zu hoffen, ist der einfachere Weg, Fußball zu spielen. Dafür braucht es nicht zu viel Übungszeit und auch nicht ganz so viele Rädchen, die ineinandergreifen müssen. Für den Moment der Weltmeisterschaft wirkt dieser Stil überlegen. Wer daraus ableiten möchte, dass die Zeit des Positionsspiels vorbei ist, der muss in die Bundesliga schauen. Die besteht hauptsächlich aus Konter- und Umschaltteams. Zwei Drittel aller Mannschaften verzichten lieber auf den Ball. International wettbewerbsfähig ist die Bundesliga mit dieser Art des Fußballs zurzeit nicht, das haben die Ergebnisse der vergangenen Saison gezeigt.
Die internationalen Ergebnisse der Bundesliga sprechen tatsächlich dafür, dass man hier noch Nachholbedarf hat und die reine Fokussierung auf den Konterfußball, nicht zielführend ist. Ob das die aktuellen Trainer schlicht nicht anders umsetzen können oder dies nur als den leichteren Weg sehen, möchte ich mal dahingestellt lassen.
https://www.zeit.de/sport/2018-07/ballbesitz-fussball-wm-siegchancen