Mal meine ausführlichere Einschätzung zu Wolf, weil ich bei ihm tatsächlich ein wenig Hintergrundwissen habe:
Grundphilosophie:
Wolf bevorzugt ein sehr dicht gestaffeltes Zentrum. Im Idealfall bespielen nur 2 Spieler die Flügel, dafür aber den ganzen Flügel (und sie halten natürlich die Linie, sorgen für Breite). Er hat bei Dortmund häufig ein 3-5-2 spielen lassen. Aber das Mantra "nur 2 Spieler auf dem Flügel" lässt sich auch in einem 4-3-2-1 Tannenbaumsystem durchsetzen, deswegen ist die Dreierkette nicht die einzige Option. Was ich (perspektivisch) unter Wolf ausschließen würde sind offensivschwache Außenverteidiger. Das widerspricht seiner Philosophie. Aber der VfB ist dahingehend ja gut aufgestellt. Insua, GK, Zimmer, Klein - man kann über deren Qualität diskutieren, aber als Spielertypen passen sie. Werner als defensivstarker Winger ebenso.
Ansonsten ist Wolf, wie er auch öffentlich sagt, sehr von Klopp und Tuchel geprägt. D.h. er wird ein hohes Pressing spielen wollen. Ob es bei eigenem Ballbesitz dann eher das Kloppsche Direktspiel in die Tiefe oder eher das Tuchelsche Ballbesitzsystem wird, muss man abwarten. Da kann ich ihn (a) nicht einschätzen und (b) wird er das auch vom Spielermaterial abhängig machen. Wolf war in den Länderspielpausen quasi Dauergast beim Training der Profis. Er hat, allermindestens, eine extrem ausführliche Hospitanz bei zwei absoluten Toptrainern gehabt.
Wolf ist einer gewagten, aggressiven und offensiven Ausrichtung nicht abgeneigt. Im Finale um die U-19 Meisterschaft (man könnte argumentieren, dem wichtigsten Spiel seiner bisherigen Karriere) hat er totales Pressing und seine Dreierkette Manndeckung gegen die Hoffenheimer Offensivspieler spielen lassen. Wenn man so will aus dem Playbook von Marcelo "El Loco" Bielsa. War entsprechend ein verdammt wildes Spiel, das am Ende gewonnen wurde. Man muss aber natürlich abwarten, ob er solche Dinge dann auch im Seniorenbereich probiert. Ist ja sowohl von der fußballerischen Qualität als auch vom Druck der Öffentlichkeit etwas ganz anderes. Im College Basketball wird die Full-Court-Press ja auch deutlich häufiger gespielt als in der NBA, weil es in der NBA aufgrund der deutlich höheren Ballhandling Skills der Spieler nicht so gut funktioniert.
Und generell muss man natürlich abwarten. Nicht nur, dass es seine erste Station im Seniorenbereich ist, er kommt Mitten in der Saison, ohne Vorbereitung. Kann mir vorstellen, dass man seine Grundphilosophie erst Schritt für Schritt erkennt. Er wird sich sicher auf die Länderspielpause freuen, wo er dann zum ersten Mal richtig mit der Mannschaft arbeiten kann. In seiner PK hat er gesagt, dass sein Trainerteam den Mut braucht, in dieser kurzen Woche auf Regeneration zu setzen. Gibt ja auch nur eine richtige Trainingseinheit vor dem Spiel. Gerade gegen Bochum dürfte es also keine taktische Revolution geben.
Wenn ich wetten müsste würde ich sagen, dass Wolf Maxim als Fixpunkt seiner Offensive sehen wird und ihn entsprechend einsetzen will.
Coaching an der Seitenlinie:
Mit einem Wort: fantastisch. Habe ich in dieser Form live noch nicht gesehen. Rein optisch steht er da Tuchel und Pep in Nichts nach. Unheimlich engagiert und immer stehend und gestikulierend. Dabei aber, und das fand ich herausragend, immer konkret und konstruktiv, aber auch sehr deutlich in seinen Ansagen. Der Klassiker beim BVB war: "[Vorname des Spielers], ein, maximal zwei Sätze, mit einer ganz konkreten Aufgabe.". Ein allgemeines "Jungs, so geht das nicht" oder irgendein sinnloses Fluchen habe ich nie vernommen. Nachdem Wolf einen Spieler im Spiel gecoacht hat kann er zumindest nicht sagen, er habe nicht gewusst was der Trainer will.
Auch hier muss man aber natürlich abwarten, wie er sich dem Seniorenbereich anpasst. Vor 2.000 Zuschauern ist es einfacher, verständliche Ansagen zu machen als vor 40.000 Zuschauern. Liegt alleine schon am Lautstärkepegel.
Persönlichkeit:
Wenn Wolf nicht Trainer geworden wäre hätte er in einem anderen Beruf erfolgreich gearbeitet, da bin ich mir sicher. Er kann wahnsinnig gut mit Menschen (auch ganz unterschiedlichen Charakteren) und hat eine sehr einladende, offene Art. Er ist alles andere als introvertiert und schüchtern, aber er ist dabei authentisch und wirkt nicht arrogant oder prollig. Hat einfach sehr viel Charisma. Gibt aus meiner Sicht einfach Menschen, die diesen Balanceakt zwischen Arroganz und Zurückhaltung gehen können und dabei immer echt, ehrlich und authentisch wirken, Wolf zählt da ganz klar dazu. Jeder, den ich kenne und der Wolf kennt, fand ihn direkt sympathisch.
Und Wolf ist auch sehr wissbegierig und tauscht sich gerne mit anderen über Fußball aus (da passt die Geschichte, wie er den BVB Job bekommen hat, die Tony gepostet hat, wunderbar). Er redet grundsätzlich gerne mit anderen. Wenn ich mir bei einem Trainer charakterliche traits, die eine erfolgreiche Arbeit als Trainer
wahrscheinlicher machen, wünschen kann, bringt Wolf sie alle mit. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass Wolf innerhalb seiner Mannschaft ein "Menschenfänger" ist, dahingehend vergleichbar mit Klopp, den seine Spieler sehr mögen und die deswegen für ihn (und die Mannschaft) durchs Feuer gehen würden.
Was kann schief gehen?
Nunja, da ist natürlich vor allem die Erfahrung zu nennen. Passen Wolfs taktische Vorstellungen in den Seniorenfußball, noch dazu in die spielerisch raue 2. Liga? Hat der VfB das passende Spielermaterial dafür (spontan fällt mir ein: die IVs für eine sehr hoch pressende Mannschaft)? Kann er auf adjustments von erfahrenen 2. Liga Trainern entsprechend reagieren? Ich traue es ihm (locker) zu, aber wissen kann man das nicht.
Dazu kommt natürlich die Komponente Menschenführung. Wurde Wolf ja auch schon auf der PK gefragt: kann er auch mit älteren Spielern umgehen, die zum Teil nur ein bisschen jünger sind als er selbst? Kann er Profis, die zum Teil schon Millionen verdient haben, genauso erreichen wie 16, 17, 18-jährige, die erst ihre Millionen verdienen wollen? Wolf sagt selbst, dass er sehr anspruchsvoll ist, was sportliche Leistung angeht und so sehr er (vielleicht...) vor der Öffentlichkeit gute Miene macht, so sehr kann es in der Kabine krachen, wenn er unzufrieden ist. Ganz ohne Konfliktpotential ist das nicht. Einen Weltmeister wie GK oder einen zweifachen deutschen Meister wie Gentner zusammenzufalten ist etwas anderes als einen 17-jährigen No-Name. Bei Dortmund hatte er zudem den Luxus, dass er einen enormen Konkurrenzkampf im Kader hatte, weil sehr viel Qualität da war. Das hilft anspruchsvollen Trainern natürlich, die Spieler bei der Stange zu halten. Der Konkurrenzkampf ist beim VfB nicht automatisch gegeben, sagen wir so. Die Stars muss er anders motivieren.
Was mich allerdings positiv stimmt ist, dass ich Wolf zutraue, das zu wissen. Er hatte beim BVB mit Passlack und Pulisic zwei herausragende Jugendspieler - mit denen konnte er gut, obwohl die sicher nicht ersetzbar waren. Er hat bei seiner PK schon gesagt, dass alles, was er von seinen Spielern will, Offenheit für ihn und sein Trainerteam sei. "Respekt müssen wir uns dann erarbeiten, durch unsere tägliche Arbeit, das ist klar." Das ist genau der richtige Ansatz aus meiner Sicht. Wenn ein 35-jähriger ohne Profierfahrung Gentner und GK direkt erklärt, wie Fußball funktioniert, würde das nicht gut ankommen.
Es gibt ja auch Beispiele dafür, dass es funktioniert. Nagelsmann, Streich, auch Tuchel vor seiner Station als Profitrainer in Mainz, hatten alle mehr oder weniger nur Erfahrungen im Jugendbereich, haben den Sprung aber wunderbar geschafft - in ähnlichen, zum Teil schwereren Situationen als Wolf im Moment.