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Deutschland ist in der Geschichte des Fussballs und insbesondere der Weltmeisterschaften die Top-Nation neben den Brasilianern. Man verpasste nur zwei der bislang zwanzig (inkl. WM 2014) WM-Turniere. Beide nicht aus sportlichen Gründen. 1930 konnte man sich aufgrund der Weltwirtschaftskrise die Reise nach Uruguay nicht leisten. 1950 war man aufgrund des 2. Weltkriegs ausgeschlossen. Neben drei Weltmeistertiteln wurde man noch vier Mal Zweiter, stand also insgesamt sieben Mal im Finale. Dazu wurde man auch vier mal 3., unter anderem an den letzten beiden Turnieren.
Ende der 90er und zu Beginn der 00er rutschte der deutsche Fussball aber in eine tiefe Krise, die in den beiden extrem schlechten EM-Turnieren 2000 und 2004 gipfelte. Jürgen Klinsmann übernahm mit Joachim Löw zusammen die Nationalmannschaft, um das Team auf die WM im eigenen Land vorzubereiten. Reformator Klinsmann leistete gute Arbeit. Die deutsche Nationalmannschaft spielte eine erfolgreiche WM, verlor aber leider im Halbfinale nach Verlängerung gegen die Italiener, so dass am Ende nur der 3. Platz übrigblieb.
Klinsmann ging, Löw blieb und wurde Chef. Dieses Jahr werden sich die beiden gegenüberstehen, wenn Klinsmann mit "seinen" Amerikanern auf die deutsche Auswahl trifft. In der Zeit nach Klinsmann und mit Löw erlebte die deutsche Nationalmannschaft einen Aufschwung und fand wieder zurück zu alter Stärke. An der WM 2008 stand man im Finale, verlor dort allerdings gegen Spanien. Bei der WM 2010 konnte man Australien, sowie mit England und Argentinien auch zwei Topteams deklassieren, unterlag im Halbfinale aber erneut den Spaniern und wurde wieder 3. Bei der EM 2012 holte man in der Todesgruppe gegen Portugal, die Niederlande und Dänemark 9 Punkte, bezwang im Viertelfinale Griechenland, musste sich im Halbfinale allerdings Italien geschlagen geben. Im Endeffekt war man an den letzten 4 Turnieren stets mindestens im Halbfinale. Das kann keine andere Nation so vorweisen. Andererseits konnte man aber in der Zeit keinen einzigen Titel gewinnen, was den Spaniern gleich drei mal hintereinander gelang. Deswegen werden Kritiken an Joachim Löw laut. Tatsache ist, dass Löw beispielsweise mit seiner taktischen Ausrichtung gegen Italien 2012 die Niederlage mitverschuldet hat. Fakt ist aber auch, dass man Titel an solchen Turnieren nicht planen kann und manchmal auch das nötige Quäntchen Glück benötigt. So mussten beispielsweise die Spanier auf dem Weg zu ihren Titeln auch zweimal durch Elfmeterschiessen, welche gut und gerne auch verloren gehen hätten können.
Auf dem Weg zur WM 2014 hatte Deutschland mit Irland, Schweden und Österreich (neben Kasachstan und den Färöer-Inseln) gleich drei Gegner, welche nach Brasilien schielten. Die DFB-Elf liess aber nichts anbrennen und beendete die Qualifikation nach 10 Spielen mit 9 Siegen und einem Unentschieden. Dieses Unentschieden war allerdings kurios, da man zu Hause eine 4-0 Führung gegen Schweden noch aus der Hand gab. Der Mannschaft wird oft ein gewisser Schlendrian unterstellt, besonders auch einzelnen Spielern. Häufig werden auch alte deutsche Tugenden wie Kampfgeist, Disziplin etc. gefordert, ebenso wie echte "Typen" auf dem Feld, wie früher Matthäus, Sammer, Beckenbauer, Breitner, Effenberg, Kahn etc.
Im Tor hat Deutschland zumindest kein Problem. Man gilt seit jeher als Torhüternation. Aktuelle Nummer 1 ist Manuel Neuer, welcher seine Fähigkeiten schon bei Schalke (man denke an die Champions League-Duelle gegen Porto oder Manchester United) und beim FC Bayern unter Beweis gestellt hat. Er kommt der Forderung nach einem "Typen" vielleicht sogar am nächsten. Als er im Champions League-Finale 2012 als Schütze zum Elfmeterschiessen antrat, oder als er im EM-Halbfinale 2012 zuletzt fast auf Höhe der Mittellinie stand und den Libero gab, bewies er Nerven aus Stahl. Hinter ihm wird vermutlich Dortmunds Weidenfeller zur WM mitfahren. Um die Position der Nummer 3 streiten sich Adler, Zieler und ter Stegen. Allesamt gute Torhüter, allerdings hin und wieder für einen Patzer gut. Die Nummer 3 wird aber ohnehin kaum eingesetzt und wenn man realistisch bleibt, muss man sehen dass andere Nationen (hier ein hallo nach England) für Leute wie Zieler und ter Stegen morden würden.
Die Innenverteidigung ist trotz des Ausfalls von Holger Badstuber mehr als nur gut besetzt. Jerome Boateng, Mats Hummels, Per Mertesacker und Benedikt Höwedes werden vermutlich die vier Kaderplätze einnehmen. Zuletzt hat Löw zudem die jungen Ginter und Mustafi eingeladen, welche ebenfalls Alternativen wären. Westermann wurde in der Qualifikation teilweise nominiert, sollte aber angesichts der Alternativen und seinen derzeitigen Leistungen mit dem HSV keine Rolle spielen.
Anders als in der Innenverteidigung sieht es auf der Aussenverteidigerposition aus. Lahm ist Weltklasse, doch er kann nicht gleichzeitig links und rechts spielen. Alternativen sind Dortmunds Schmelzer, Schalkes Aogo und Hamburs Jansen, welche bislang in der Nationalmannschaft alle nicht wirklich zu überzeugen wussten. Optional könnte man Boateng oder Höwedes auf Aussen ziehen, wo beide schon gespielt haben. Allerdings wäre das, besonders im Fall von Boateng, eine Schwächung der Zentrale. Eine weitere Variante ist Dortmunds Allrounder und Kampfsau Grosskreutz, welcher momentan die Nase vorn haben dürfte.
Die Doppel-6 galt als Prunkstück der Nationalmannschaft, scheint aber zur Problemposition zu mutieren. Mit Khedira, Gündogan und Sven Bender drohen gleich drei Spieler auszufallen. Schweinsteiger ist noch nicht in Form, war lange Zeit immer wieder angeschlagen. Übrig bleiben Kroos und Lars Bender. Eine Variante wäre, dass Lahm auf dieser Positon spielt. Unter Guardiola hat er das des Öfteren bei den Bayern und das sogar sehr gut. Allerdings würde man dadurch die Problemzone Aussenverteidiger zu einem noch grösseren Risiko machen. Die Variante, dass Lars Bender den RV gibt, erscheint insofern wenig vernünftig, da man einem DM auf RV ziehen würde, um einem RV auf DM zu ziehen. Als weitere Optionen stehen Reinartz, Rolfes, Rode oder Neustädter zur Verfügung. Qualitativ müsste man da aber Abstriche machen. Es besteht allerdings noch Hoffnung, dass Khedira, Gündogan und Sven Bender noch fit werden. Für die offensive Dreierreihe hat Löw die Qual der Wahl. Mit Özil, Kroos, Müller, Götze, Schürrle, Reus, Podolski, Nicolai Müller, Draxler Sam und Hahn hat Löw hier eher zu viele als zu wenige Möglichkeiten. Man muss hier allerdings auch beachten, dass die Spieler, denen mangelnde Defensivarbeit und Schlendrian vorgeworfen wird, meistens auf diesen Positionen zu finden sind. So viel Offensivkraft und Kreativität diese Leute auch mitbringen, Löw hat hier noch ein gutes Stück Arbeit vor sich, bevor die Weltmeisterschaft beginnt.
Die Position des Mittelstürmers ist ein weiteres Sorgenkind. Klose und Gomez sind da die ersten Optionen. Allerdings sind beide in letzter Zeit häufiger verletzt. Klose ist zudem bereits 34 und somit nicht mehr so spritzig wie in früheren Tagen. Gomez ist zwar eine Tormaschine, aber für das deutsche Spiel technisch und spielerisch fast zu limitiert. Dahinter wäre Kiessling eine Möglichkeit gewesen. Da er häufiger nicht beachtet wurde von Löw, hat er allerdings sozusagen seinen Rücktritt erklärt (mit der Anmerkung, dass er da wäre wenn man ihn dringend braucht). Die Wahrscheinlichkeit, dass ihn Löw nominiert ist allerdings allgemein sehr klein. Andere Varianten wären noch Max Kruse oder Kevin Volland. Alternativ könnte Deutschland auch die "False 9" spielen ohne echten Mittelstürmer, mit einem Götze oder Müller als vorderstem Mann.
Rein von der individuellen Qualität gehört Deutschland auch in Brasilien zu den Topfavoriten auf den Titel, zumal sie nach vier Fehlversuchen sicher hungriger sein werden, als die erfolgsverwöhnten Spanier. Die Klasse der Spieler wird auch dafür verantwortlich sein, dass man sicher mindestens bis ins Viertel- oder sogar Halbfinale kommt. Wenn es um die Wurst geht, kann aber jedes Detail entscheidend sein. Löw muss für die 3 Problempositionen (Aussenverteidigung, Doppel-6, Mittelstürmer) eine Lösung finden, dem Team eine bessere Defensivarbeit einprügeln und vor allem mutiger spielen lassen. Damit ist gemeint, dass er eine erfolgreiche Taktik nicht aus Angst vor dem nächsten Gegner opfert (siehe 2010 gegen Spanien oder 2012 gegen Italien). Gelingt ihm das, kann Deutschland Weltmeister werden. Ansonsten wird man sich damit schmücken müssen, das fünfte Mal in Folge mindestens ins Halbfinale gekommen zu sein.
http://mephmanjo-mylifewithfootball.blogspot.ch/2014/03/wm-vorschau-deutschland.html