Wenn man Tyson in ATG Rankings einordnen will muss man meines Erachtens drei Dinge tun.
1.) Den medialen Hype der bis heute andauert komplett ausblenden. Keine "Tysons most brutal Knockouts" oder imponierende Meidbewegungen um die Maisbirne aus irgendeiner 80er Jahre Doku im Kopfkino.
2.) Auch mal seine schlechteren Kämpfe in seiner ersten Karriere genauer beleuchten. Die schlechten Bewertungen sind in der Regel diejeniegen, die entscheiden, ob man das Küchengerät kauft oder nicht.
3.) Seine Knastzeit nicht zwingend als negativ für seine Karriere betrachten.
Tyson war auch in seiner selbstverschuldeten frühen "Prime" von 1986 bis vor den Brunokampf kein völlig unschlagbarer Überboxer. Das ist einfach Legende. Unschlagbare Boxer gibts sowenig wie unsinkbare Schiffe. Dem geneigten Boxfan seien die Kämpfe gegen Mitch Green, Quick Tillis oder Tony Tucker ans Herz gelegt, die zeigten dass man in den ersten brandgefährlichen Runden gegen Tyson mit solider Defensivarbeit wie schnellen Beinen, konsequentem Abklammern im Infight und vor allem Eiern in der Hose, indem man in die schnellen Attacken von Tyson selber Konter reinschlägt und trifft, gute Chance gegen ihn hatte. Styles make fights und diese Gegner waren jetzt keine boxerischen Genies, Tyson aber in weiten Teilen ebenbürtig. Tucker ist allerdings generell unterschätzt und ein Fall für sich. Tysons bester Sieg in seiner Karriere meiner Meinung nach. Schwerer Kampf.
In diesen Kämpfen hat young Tyson einige schwere Hände kassiert die ihm gegen schwere Puncher das Licht ausgemacht hätten. Zugegeben, Tyson hatte ein ordentliches Kinn und das hat ihn auch durch schwierige Situationen getragen. Es entwickelte sich aber eine Blueprint gegen ihn und die hat letztlich Buster Douglas dann final umgesetzt. Dessen Sieg war kein Zufall oder böse Machenschaften, böse Ringrichter oder ein schwacher Tyson, sondern ein Ergebnis der gemachten Hausaufgaben und der disziplinierten Umsetzung der Gameplans die eben insbesondere Tucker und Tillis gegen Tyson vormachten. Tyson war, auch in seiner Prime, trotz allem ein weitestgehend berechenbarer Boxer. Er prägte zwar den Spruch, "und was will mein Gegner mit seinem Gameplan, wenn ich ihn voll treffe?", aber gleiches galt auch umgekehrt. "Was will Tyson mit seinem Plan A, wenn ich ihn in seinen nicht vorhandenen Plan B zwinge"? Man wusste was er machen wird.
Tyson war in manchen Bezügen absolute Weltklasse, insbesondere was sein Lateral Movement, Kombos, Schlagkraft und Schlagschnelligkeit anbetraf, ohne jeden Zweifel ganz oben in der Historie des Schwergewichts, aber er hatte eben auch boxerische Schwächen, die aufgrund der relativ schwachen Gegnerschaft der 80er Jahre und seinem geschickten Management nicht so zum tragen gekommen sind und bis heute gerne ausgeblendet werden.
Tyson, auch in seiner Prime, hatte letztlich den "Fehler", dass er eigentlich nur diesen Plan A hatte. Der hieß in den ersten Runden den finalen KO-Schlag zu setzen. Gelang das nicht, weil der Gegner die oben benannten defensiven Tugenden hatte, zog sich der Kampf jedes Mal und es ist kein Zufall, dass Tyson in seinen 58 Kämpfen nur ein einziges Mal in der zweiten Kampfeshälfte einen Kampf vorzeitig gewinnen konnte. Das stimmt wirklich! (nur Ruddock 1 1991 kurz vor dem Knast, TKO7 und der Kampf war auch sehr eng). Alle anderen Kämpfe die in die zweite Hälfte gingen, verliefen in seiner ersten Karriere manchmal mühselig mit viel Geklammere und am Rande der psychischen Überforderung über die Punkte (Tillis, Green, Bonecrasher Smith, Tucker, Ruddock2), wobei er in der zweiten Hälfte oft einige Runden verlor, oder gingen in seiner zweiten Karriere nach dem Knast allesamt ohne Ausnahme fünfmal durch KO/TKO verloren.
Wäre Tyson letztlich fünf bis zehn Jahre später geboren worden, er wäre meines Erachtens in den 90ern nur in etwa in der Tua-/ Ibeabuchi-Liga gelandet. Ein unterhaltsamer Infighter, den die Leute sehen wollen und der auch passable KO´s eingefahren hätte und verrückte Dinge macht, aber für ganz oben hätte es vor allem mit der Dominanz die er in den 80er hinlegen konnte, wohl nicht gereicht. Der Hype wäre nicht entstanden. Holyfield und Lewis hätten ihn, wie ohnehin geschehen, nur früher, ausgeboxt und ausgeknockt. Die breite zweite Reihe der 90er hätte ihm in diesen Jahren 50-50 Kämpfe geliefert. Und hier kommen wir zur Knastzeit 1991-1995. Viele meinen, das habe Tyson geschadet und sehen das als Entschuldigung für spätere Niederlagen. Ich meine eher, es hat ihm einige schmerzhafte weitere frühere Niederlagen neben Buster Douglas erspart. In der Zeit hätte er als Nicht-WM wohl auch gegen Leute wie Prime-Bowe, Foreman 2.0, Prime-Ray Mercer, Ibeabuchi, Tua, Moorer, Corrie Sanders, Oliver McCall usw. boxen müssen. Alles Kämpfe, die keine Selbstläufer gewesen wären und alle mit hoher Wahrscheinlichkeit in die unangenehmen späten Runden gegangen wären. Tyson wäre da mental extrem gefordert gewesen. Die waren alle besser als seine 80er-Gegner. Ich würde schätzen, dass er Anfang der 90er gegen Bowe und Foreman auch ohne Knast, definitiv verloren hätte und gegen die anderen sehr enge Kämpfe gehabt hätte und die ein oder andere Punktentscheidung nicht bekommen hätte, insbesondere Mercer und Moorer. McCall wäre eine abgefuckte Psychonummer geworden. Axel Schulz wäre dann auch noch gekommen.....meine Güte.
Alles in allem sehe ich Tyson daher nicht in einer All Time HW Top10. Zwischen 10-15 geht meines Erachtens ok. Er hat ein schwaches HW als blutjunger Boxer eine Zeit lang dominiert, dafür Mega-Props, aber seine Schwächen, die bei neutralem Hinsehen einfach auch vorhanden waren, wären ihm in anderen Zeiten zum Verhängnis geworden. Dazu seine teilweise vielleicht sogar ein bißchen peinliche zweite Karriere nach dem Knast und den Holyfieldkämpfen in der er regelmäßig Skandale suchte....da fehlt irgendwie die Wiederauferstehung des Young Tysons, die wohl bei gewisser Disziplin vielleicht kurzzeitig drin gewesen wäre. Deswegen insgesamt boxerisch und mental groß, aber meiner Meinung nach nicht unter den Allergrößten in einer Top10.