Holstein Kiel
56 Zweitligaspiele machte Philipp Sander, der im Jahr 2015 aus Rostock mit 17 Jahren an die Kieler Förde kam und den Sprung zu den Profis mit einem kleinen Umweg über Verl, wohin er zwischenzeitlich ein Jahr ausgeliehen war, schaffte, bisher für die Störche und es dürften noch einige mehr folgen. Denn der 25jährige Mittelfeldspieler verlängerte vor einigen Tagen seinen Vertrag bis 2027 und wurde zum neuen Kapitän von Holstein Kiel ernannt. Damit ist Sander eine Konstante in einer sich im Umbruch befindlichen Mannschaft - dazu aber gleich mehr. Holstein geht nun in die siebte Zweitligasaison hintereinander, damit gehört man schon fast zum Zweitligainventar.
Die sechste Saison nach dem Aufstieg 2017 verlief reichlich unspektakulär. Also abgesehen von der 2:7 Niederlage in Paderborn am 5. Spieltag, wo Torwart Thomas Dähne in der 38. Minute schon das fünfte Mal hinter sich greifen musste. Dabei war die Anfangsphase der abgelaufenen Saison die beste der Kieler, die seit Oktober 2021 von Marcel Rapp trainiert werden. Zwei Unentschieden zu Beginn folgten zwei Siege, danach kam das angesprochene Spiel gegen Paderborn, was man aber ganz gut wegsteckte, wie man am darauffolgenden 1:0 Heimsieg gegen Sandhausen sehen konnte - eins von nur fünf Spielen, bei dem man sich kein Gegentor gefangen hat. Drei davon fallen in den Zeitraum bis zum 7. Spieltag, was auch ganz gut zeigt, warum Kiel trotz des ordentlichen Starts nie ernsthafte Ambitionen in Richtung Aufstiegsränge entwickeln konnte. Man hat sich einfach viel zu viele Tore gefangen. Mit 61 Gegentoren gab es nur zwei Mannschaften, die hier schlechter waren. Beide - nämlich Sandhausen und Bielefeld - mussten am Saisonende den Weg in die 3. Liga antreten. Gegen Saisonende war dann auch die Luft mehr oder weniger raus. Drei 0:3 Niederlagen hintereinander (29. - 31. Spieltag) dürfen natürlich trotzdem nicht passieren. Mit einem 5:1 in Hannover konnte man Fin Bartels, der in dem Spiel zweimal traf, zumindest noch ein schönes Karriereende auf Profiebene bereiten und nach Platz 9 in der Saison 2021/22 sich um einen Platz steigern.
Wie weiter oben angesprochen, hat Holstein einen ziemlichen Umbruch im Kader zu verzeichnen. Fin Bartels, der ein Angebot zur Vertragsverlängerung ablehnte und im zarten Alter von 36 Jahren zu seinen Anfängen und der SpVg Eidertal-Molfsee zurückkehrte, um dort in der Kreisklasse bei der Zwoten noch ein bisschen zu kicken, habe ich gerade schon erwähnt. Bartels wird am 08.09.2023 im Holstein-Stadion mit einem Abschiedsspiel gebührend verabschiedet. Nach über 200 Zweitligaspielen endet auch die Zeit von Alexander Mühling bei Holstein Kiel. Der gebürtige Oberhausener kam nach Jahren, in denen er absoluter Stammspieler und Leistungsträger war, in der letzten Saison immer häufiger nur als Einwechselspieler oder gar nicht zum Einsatz. 23 Einsätze sind jedenfalls deutlich unter den üblichen Werten für den Mittelfeldspieler, der in der nächsten Saison Sandhausen dabei helfen soll, die Rückkehr in die zweite Liga zu schaffen. Ebenfalls auf über 200 Einsätze im Trikot der Kieler kommt Hauke Wahl. Der 29jährige langjährige Kapitän und Abwehrchef wird in Zukunft das Trikot des FC St. Pauli überstreifen und in seiner Geburtsstadt spielen. Mit Aleksandar Ignjovski (noch vereinslos) und Stefan Thesker (St. Pölten) verlassen zwei Spieler, die ebenfalls lange bei den Störchen spielten, den Verein. Beide waren aber nur noch Ergänzungsspieler und kamen nur noch sporadisch zum Einsatz. Top-Scorer Fabian Reese (11 Tore/10 Vorlagen) machte früh klar, dass er seinen auslaufenden Vertrag nicht verlängern wird und wechselt zum Ligakonkurrenten Hertha BSC. Obwohl Mittelfeldspieler Ahmet Arslan eine überragenden Saison bei Dynamo Dresden, wo er leihweise spielte, hatte, wurde er nicht gehalten, sondern für eine Ablöse von 400.000 Euro an Magdeburg abgegeben. Mit Innenverteidiger Simon Lorenz (Ingolstadt), Linksverteidiger Mikkel Kirkeskov (vereinslos) und Kwasi Wriedt (ausgeliehen an Osnabrück) haben drei weitere Spieler, die auf mindestens 25 Einsätze in der Vorsaison kamen, den Verein verlassen. Bei Torwart Robin Himmelmann hat man sich entschieden, die Option auf ein weiteres Jahr nicht zu ziehen. Er verlässt damit ebenso wie das ausgeliehene Torwarttalent Tim Schreiber (RasenBallsport Leipzig, jetzt nach Saarbrücken verliehen) die Kieler. Beide kamen in der vergangenen Saison fast auf genauso viele Spiele wie der eigentliche Stammtorwart Dähne, der aufgrund von Krankheit, Verletzungen und kurzfristiger Bankrolle auf lediglich fünfzehn Einsätze kam. Ungewöhnliche Konstellation. Bei Marvin Obuz haben sich alle drei Seiten (Spieler, Kiel und Stammverein 1. FC Köln) von der Leihe mehr versprochen. Nach zehn (Kurz-)Einsätzen geht es für den 21jährigen Offensivspieler wieder nach NRW, wo er die nächste Saison bei Rot Weiss Essen bestreiten wird.
Ein langer Absatz zu den Abgängen bedeutet zumeist einen langen Absatz zu den Neuzugängen. Mal sehen, wie lange dieser kurz nach Mitternacht wirklich wird. Was auf jeden Fall auffällt, mit wenigen Ausnahmen sind die Neuzugänge sehr jung. Alterspräsident ist Torwart Marcel Engelhardt (30), der bei seinem letzten Arbeitgeber dem FSV Zwickau Ersatzmann war. Davor stand er anderthalb Jahre bei Maritzburg United unter Vertrag. Kennern wie euch muss ich natürlich nicht sagen, dass das ein südafrikanischer Verein ist. Innenverteidiger Carl Johansson ist mit 29 Jahren nur unwesentlich jünger als Engelhardt. Der 1,94 m große Schwede beim Randers FC in Dänemark und soll die löchrige Abwehr verstärken. Der flexible Offensivspieler Ba-Muaka Simakala spielte ein fantastisches Jahr für den VfL Osnabrück, wo er neunzehn Toren und neun Vorlagen großen Anteil am Aufstieg hatte. Für den Japaner Shuto Machino ist das Kapitel Holstein Kiel das erste Auslandsabenteuer. Der 23jährige Mittelstürmer war bei der WM im Kader, wurde jedoch nicht eingesetzt. Mit dem Südkoreaner Jae-sung Lee (mittlerweile bei Mainz) hat man in Kiel sehr gute Erfahrungen gemacht. Nun hofft man, dass auch der nächste Einkauf aus Asien einschlägt. Neuzugang Marko Ivezic feierte nicht nur Anfang des Jahres sein Debüt in der serbischen Nationalmannschaft, er war bei seinem Ex-Verein FK Vozdovac auch Kapitän - mit Anfang 20 wohlgemerkt. Ivezic ist vornehmlich im defensiven zentralen Mittelfeld zuhause, kann aber auch weiter hinten in der Innenverteidigung spielen. Er wurde für 250.000 Euro verpflichtet und mit einem Vierjahresvertrag ausgestattet. Nicolai Remberg (23 Jahre) war Leistungsträger bei Preußen Münster und mit sieben Treffern für einen Mittelfeldspieler sehr torgefährlich. Mit Rechtsverteidiger Lasse Rosenboom und Aurel Wagbe hat man sich zweimal bei anderen Vereinen aus dem Norden bedient. Rosenboom spielte in der zweiten Mannschaft von Werder, während der 19jährige Offensivspieler Wagbe für den VfL Wolfsburg in der Jugendbundesliga aktiv war. Der jüngste der Neuzugänge ist aber nicht Wagbe, der zwei U18 Länderspiele für Deutschland absolvierte, sondern Tom Rothe. Rothe wird für ein Jahr vom BVB ausgeliehen, wo er viermal in der Bundesliga und dreimal in der Champions League zum Einsatz kam. Der großgewachsene Linksverteidiger wird im Oktober 19.
Kiel geht einen interessanten aber keinesfalls risikoarmen Weg. Langjährige Leistungsträger sind weg und von den besten Torschützen der Vorsaison ist nur noch Steven Skrzybski (15 Tore) da. Kann dieser das Niveau halten? Wer ersetzt die Tore und Vorlagen von Reese und Bartels? Können die meist unerfahrenen Neuzugänge in die Bresche springen? In der Abwehr ist es auch noch etwas dünn. Insbesondere da Timo Becker mit gerissenem Syndesmoseband ausfällt. Kiel macht mindestens einen Schritt zurück und rutscht in die zweite Tabellenhälfte. Floppen die Neuzugänge könnte auch Abstiegsgefahr drohen.