Eher das Gegenteil. Zu oft stehen Boxer im Ring und haben sich anscheinend nix ausgedacht, um die gängige Taktik ihrer Gegner zu überwinden.
Das scheint nur so und außerdem stellt sich der Gegner ja auch irgendwie auf einen ein. Oft macht man sich nur verrückt im Vorfeld auf der Suche nach den sog. Lücken oder Stärken des möglichen Kontrahenten. Zudem bleiben die eigenen Möglichkeiten ohnehin beschränkt. Außer mehr Beweglichlichkeit und mehr Explosivität hätte Chagaev nicht mehr viel Neues oder Überraschendes bringen können. Was nützt also die beste Taktik, wenn er sie technisch oder boxerisch nicht umsetzen kann?
Schmeling hat Louis Schwachstelle durchaus gut erkannt. Er hat für das Gelingen aber erst durchs Feuer gehen müssen und auch davon profitiert, dass Louis ihn ein wenig unterschätzt hat. Außerdem hat Louis auch später noch die Linke fallen lassen, nur komischerweise konnten es nicht mehr viele ausnützen. Das Gerede von Taktik und „wir haben uns etwas ausgedacht“, ist überwiegend reiner Bluff oder ne Art psychischer Strohhalm, um an sich zu glauben und sich zu motivieren.
Meist merkt man erst im Kampf, was oder ob etwas wirklich funktioniert. Das Entscheidende passiert im Training, beim Sparring und wenn man seinem Gegner gegenübersteht. Wenn man merkt, wie schnell er wirklich ist. Wenn man merkt, wie viel Schlagkraft er wirklich hat. Wenn man merkt, wie er atmet, vorbereitet ist oder auf Aktionen reagiert. Viel wichtiger als das sog. Videostudium ist die Vorbereitung im Gym. Man muss im Sparring, am Sandsack und bei der Pratzenarbeit möglichst viel Erfahrung machen, möglichst viele Situationen und Gegner "durchspielen". Das und die Konditionsarbeit sind meist entscheidender als das Studieren des Gegners im Vorfeld. Nach dem Motto: was hilft es, wenn ich sehe, dass der Gegner oben offen ist, ich aber keine Kraft und Kondition habe dort hinzuhauen?
Natürlich kann ein Videostudium durchaus Vorteile mitbringen, möchte ich gar nicht bestreiten. Ich wollte nur anreißen, dass andere Sachen kampfentscheidender sind als die Suche nach der besten Taktik. Außerdem ist das auch eine subjektive Sache. Es gibt Boxer, die möchten schon im Vorfeld möglichst viel über den Gegner wissen und herausfinden. Und es gibt Boxer, denen ist das völlig egal, denen reichen die ersten paar Minuten eines Kampfes. Erfolg oder Misserfolg kann beides bringen