Stefanos Tsitsipas schwärmt vom Käsefondue, das er am Laver-Cup in Genf kennen lernte. Und weshalb kommen Sie gern in die Schweiz?
Nicht wegen des Essens. Aber ich habe in meiner Kindheit viel Zeit an Turnieren in der Schweiz und auch Österreich verbracht. Das Schönste an der Schweiz ist für mich die Erinnerung, dass wir im Sommer jeweils an ein Turnier fuhren, wo es einen See hatte. Wir badeten und spielten mit anderen Kindern, das Wetter war gut, die Berge waren schön. Ich probierte hier auch erstmals eine Sommerrodelbahn aus.
Die Schweizer Luft scheint Ihnen gutzutun: Sie haben in Genf das ATP-Turnier gewonnen und am Laver-Cup den entscheidenden Punkt geholt.
Ja (lacht). Hoffentlich geht es in Basel so weiter. In Genf holte ich meinen bisher einzigen Titel der Saison. Und wie ich am Laver-Cup den entscheidenden Punkt gewann, mit Roger, Rafa und allen anderen im Rücken, war etwas sehr Besonderes für mich.
Hat Ihnen dieser Erfolg einen Kick gegeben? Auch in Asien spielten Sie stark und stehen auf Rang 7 der Saisonwertung.
Ja, sehr. Es war ein unglaubliches Gefühl, zumal ich dieses Jahr viele schwierige Matches verloren habe. Der Laver-Cup war Druck pur: Bei einer Niederlage (gegen Raonic) hätte Europa ihn erstmals verloren – meinetwegen. Ich spielte nicht nur für mich, sondern auch für meine Mitspieler, mein Team, die Zuschauer.
Kommen sich die Spieler am Laver-Cup viel näher?
Extrem. Auch dem Captain (Björn Borg). Wir sind füreinander da, das ist ganz anders als an einem normalen Turnier. Zum Beispiel meine Beziehung mit Stefanos (Tsitsipas) – die gab es vorher gar nicht. Jetzt sprechen wir miteinander, haben Kontakt.
Ist es dafür schwieriger, wenn man sich dann wieder an einem Turnier gegenübersteht?
Es ist schon etwas merkwürdig. Aber ich habe auch schon Matches gegen meinen Bruder oder meinen besten Freund Marcelo Melo bestritten, deswegen kenne ich solche Situationen.
Die Schweiz ist ein kleines Land. Das kam Federer entgegen, er konnte sich hier in Ruhe entwickeln. In Deutschland ist es für Sie schwieriger. Wie gehen Sie mit den hohen Erwartungen um?
Deutschland hatte Spieler wie Tommy Haas, Nicolas Kiefer, Rainer Schüttler, die waren alle in den Top 5 –und doch wurde immer auf einen neuen Boris Becker oder eine neue Steffi Graf gewartet. Und es gab auch noch Michael Stich. Es ist schwierig, nochmals etwas Vergleichbares zu erreichen. Aber das deutsche Tennis ist mit Angie (Kerber) und mir stark gewachsen, und ich hoffe, dass es weiter wachsen wird. Wenn wir Turniere gewinnen, weiss die ganze Nation davon. Es gibt also auch Positives.
Vor einigen Jahren schrieb das Hamburger Tennismagazin, Sie seien der neue Messias. Fanden Sie das nicht übertrieben?
Doch (lacht). In Deutschland suchen wir halt immer nach der nächsten grossen Sensation. Das sieht man auch im Fussball. Wir konnten den WM-Titel 2018 zwar nicht verteidigen, aber wir haben immer noch unglaublich gute Spieler. Doch plötzlich soll der Fussball nicht mehr so gut sein. Wir sind doch immer noch eine der besten Mannschaften der Welt! Wir brauchen eben immer jemanden, der gewinnt, der zweite Platz ist uns nicht so wichtig. Ich habe das selber erlebt: Ein Turnier zu gewinnen, bedeutet mir alles. Aber ob ich im Final oder in der 1. Runde verliere, ist kein grosser Unterschied.
Täuscht das Gefühl, dass Sie in Deutschland nie genügen? Wenn Sie ein Turnier gewinnen, heisst es, Sie müssten nun einen Grand-Slam-Titel holen.
Diesen Satz habe ich in den letzten drei Jahren sicher 500-mal gehört. Aber letztlich sind die anderen halt noch besser als ich an den Grand-Slam-Turnieren. Und ich muss mich fragen: Wie verbessere ich mein Spiel so, dass ich solche auch gewinnen kann? Darum geht es für mich. Was in Deutschland geschrieben wird . . . (hält inne) Okay, es ist mein Land, es interessiert mich schon. Ich möchte schon, dass man mich mag. Aber es ändert nichts an meinem Weg.
Sie haben ein schwieriges Jahr hinter sich, in Ihrem Umfeld gab es grosse Unruhe mit dem Wechsel des Managements. Was haben Sie davon gelernt?
Es hört sich blöd an, aber es stimmt: Ich bin viel erwachsener geworden. Ich musste viele Dinge machen, die ich noch nie gemacht hatte, ich kam in neue Situationen und hatte Probleme, für die ich keine Lösung kannte. Es war wirklich ein schwieriges Jahr, bezüglich Management, im Privatleben und auch auf dem Tennisplatz, auf dem es nicht ganz so gut lief wie in den Jahren zuvor. Trotzdem bin ich noch die Nummer 7 im Race. Das gibt die Gewissheit, dass ich selbst mit Problemen einer der Besten der Welt sein kann.
Liegen die Probleme nun definitiv hinter Ihnen?
Sie sind in den Hintergrund getreten, ja. Ich bin nun bei Team8, mit meinem alten Manager bin ich immer noch vor Gericht, und das dauert wohl noch ein bisschen. Andere Dinge im Privatleben haben sich gelegt. Und vor allem weiss ich nun, wie ich mit kleineren Sachen, die wieder passieren können, umgehen muss. Da hatte ich keine Ahnung, weil ich nur Tennis gespielt und nie ein anderes Leben gesehen hatte. Das ist auch ein Faktor, der mir nun vieles erleichtert.
Eine Erleichterung war offenbar für Sie auch, dass Sie eine Weile aufs Handy verzichteten.
Ja, drei Monate lang hatte ich gar keines! Die Leute von der ATP sind fast durchgedreht, weil sie mich nicht erreichen konnten (lacht). Jetzt habe ich wieder ein Handy, irgendwann ging es einfach nicht mehr ohne. Letztlich bist du auch dein eigenes Business und musst mit den Menschen in Kontakt bleiben, sonst wird es schwierig.
Denken Sie manchmal: Nadal, Djokovic und Federer könnten nun endlich abtreten?
(lacht laut) Nein. Ich habe immer gesagt: Wenn wir jüngeren Spieler grosse Titel gewinnen wollen, müssen wir uns auch gegen diese Spieler behaupten. Sie haben den Tennissport in den letzten 15 Jahren dominiert. Wenn einer von uns anderen einen Grand-Slam-Titel holt, sollte das nicht sein,weil die drei weg sind, sondern weil jemand besser war. Ich möchte nicht, dass sie aufhören. Ich möchte ein Grand-Slam-Champion werden, weil ich der Beste bin. So fühlte ich mich letztes Jahr am ATP-Finale, als ich gewonnen hatte. Es war ein unglaubliches Gefühl, im Halbfinal Roger und im Final Novak geschlagen zu haben. So hätte ich mich nicht gefühlt, hätte ich andere Spieler bezwungen.
Inzwischen hat Sie Daniil Medwedew als Bestklassierter der Jungen abgelöst. Ändert dies etwas für Sie?
Seine Erfolge zeigen anderen Jungen, was möglich ist. Viele sind angesichts der Legenden etwas zu sehr beeindruckt. Es sind ja auch Legenden. Ich habe selber auch den grössten Respekt vor Leuten wie Roger, Rafa und Novak. Das sind die besten Spieler, die wir je gesehen haben. Trotzdem musst du, wenn du auf den Platz gehst, dein Spiel zeigen, um eine Chance zu haben. Ich denke, dass ich es den anderen in den letzten zwei Jahren oft vorgemacht habe, und jetzt klopfen weitere an die Tür.
War Federer der Schlüssel, dass Sie zu Team8 gegangen sind?
Vielmehr war der Schlüsselfaktor, dass Roger schon seit über zehn Jahren bei Team8 ist. Mit ihm zu arbeiten, ist einerseits sehr einfach, andererseits auch sehr schwierig, weil von ihm alle etwas wollen. Ich dachte: Wenn Roger mit dieser Agentur schon so lange zusammen ist, muss es sich um die beste handeln.
Was erhoffen Sie sich von der Showtour mit ihm durch Südamerika im November?
Zuerst einmal, dass wir zusammen viel Spass haben werden. Zudem ist es schön, Länder zu besuchen, in denen ich noch nie war. Und von Roger zu lernen und mit ihm eine Woche über alles Mögliche sprechen zu können, ist für einen jungen Spieler wie mich unbezahlbar.