Sehr spannender Artikel über Lucas Braathen und sein "Anders sein", als wohl fast alle anderen Fahrer im Ski-Weltcup. Krass und traurig welche Anfeindungen er in den sozialen Medien immer noch bekommt und wie sehr er sich früher noch verstellen musste.
In den drei Wintern, in denen er in der Weltspitze mitgefahren ist, hat er schon dreimal im Slalom und zweimal im Riesenslalom im Weltcup triumphiert, und mit jedem guten Ergebnis erarbeitete er sich auch ein Stück Unabhängigkeit. „Jetzt sind mir die Erwartungen anderer egal“, sagt er, „ich bin jetzt einfach ich selbst.“
Doch mit dem Erfolg – und der medialen Aufmerksamkeit – schwoll auch die Kritik an. „Ich war plötzlich sichtbar. Die Meinungen anderer wurden extremer und präsenter. Das ist schon unheimlich“, sagt Braathen. „Leute sagen, ich sei zu feminin. Ich sei schwul, ich solle mich umbringen, sei kein gutes Vorbild.“
Braathen hält nicht viel vom „ABC, wie ein Athlet zu sein hat“, wie er das nennt. Er will die Buchstaben neu mischen, und damit fällt er zwangsläufig auf im Skirennsport mit seinen Athleten aus Bergdörfern und Hoteliersfamilien. Leute wie Braathen hat man in den vergangenen Jahren vergeblich gesucht.
Eine Youtube-Serie zeigt ihn abseits der Rennstrecken, am Küchentisch mit seinem Vater, beim Skateboarden mit seiner Schwester. Braathen wirkt tiefenentspannt, wenn er vor der Kamera spricht. Sein Englisch so tief amerikanisch gefärbt, dass man ihn weder in Norwegen noch Brasilien verorten würde. Und gewissermaßen ist Braathen auch Kosmopolit.
Als er drei Jahre alt war, trennten sich seine Eltern. Erst lebte er bei seiner Mutter in Brasilien, dann bei seinem Vater in Norwegen; 21 Mal ist er bereits umgezogen. Schon der Vater zog früher freigeistig von Skigebiet zu Skigebiet. Seine wenigen Pausen zwischen Rennen und Training verbringt Braathen heute gerne in Paris, er ist dort auch auf der Fashion Week unterwegs.
So war es wohl nur eine Frage der Zeit, bis Red Bull auf Braathen aufmerksam wurde. Seit Januar wird er von dem Konzern gesponsert, der ebenso gerne auffällt wie Braathen. Aber passt der Konzern auch zu Braathen? Die Weltanschauung des verstorbenen Red Bull-Gründers Dietrich Mateschitz ist kein Geheimnis. In einem Interview kritisierte dieser einst die liberale Flüchtlingspolitik und das „Meinungsdiktat des politisch Korrekten“.
Das von Mateschitz gegründete Red Bull Media House zieht mit dem Sender Servus TV immer wieder den Vorwurf auf sich, es verbreite rechtes Gedankengut. (Der Sender weist das zurück und spricht von „kritischer und unabhängiger Berichterstattung“). Damit konfrontiert sagt Braathen: „Auch mit dem Bullen auf der Brust werde ich zu meinen Werten stehen, die mit all dem nichts zu tun haben.“ Bei den Verhandlungen mit dem Konzern habe er klargemacht, dass er sich nicht verbiegen lassen wolle.
Dieses Rückgrat braucht es wohl auch, um im konservativen Skisport auf Dauer anders zu sein. Und es bedurfte Mut, als Braathen einst einen in der skandinavischen Gesellschaft verankerten Verhaltenskodex, den Janteloven, anprangerte. Das erste Gebot des Kodex besagt: „Du sollst nicht glauben, dass du etwas Besonderes bist.“ Das sei „so schädlich, so eine Lüge“, sagt Braathen. „Wir sollten die Individualität feiern.“ Mit solchen Aussagen zieht er in Norwegen Kritik auf sich.
„Leute sagen, ich sei zu feminin"
Lucas Braathen ist Halb-Norweger und Halb-Brasilianer. Er sticht im Ski-Weltcup heraus, etwa weil er sich die Nägel lackiert, Röcke trägt und nicht nur durch Stangen tanzt.
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