Der große Bluff
Wie sich
der um Armstrongs Ruf bemühte Radsport-Weltverband austricksen ließ und ungewollt zum Doping-Belastungszeugen wird.
Von Thomas Kistner
München – Nun also der Rücktritt vom Rücktritt vom Rücktritt: Radprofi Lance Armstrong schließt ein Comeback bei der Tour de France 2006 aus. Der in schweren Dopingverdacht geratene siebenmalige Sieger der Frankreich-Rundfahrt erklärte nun, er habe voreilig gehandelt, als er Anfang September einen eventuellen Tour-Start für nächstes Jahr ankündigte.
Tatsächlich wäre das ziemlich unüberlegt – mit der Rückkehr in den Sport würde sich Armstrong auch wieder dessen Regeln unterwerfen, dann könnte ihn ein sportgerichtliches Verfahren doch noch treffen.
Ein solches, zumindest aber eine anständige Untersuchung strengt nun die Weltantidoping-Agentur Wada an. Sie wird bei der Vorstandssitzung am nächsten Dienstag darüber beraten. Wada- Chef Richard Pound hatte am Donnerstag bei einer Telefon-Pressekonferenz öffentlich gemacht, dass der Radsportweltverband UCI und dessen Präsident Hein Verbruggen selbst es gewesen seien, welche die Armstrong belastenden Doping-Dokumente an Medienvertreter weitergereicht hätten.
Auf Anfrage der SZ konkretisierte Pound am Freitag: „Nach dieser Telefon-Konferenz hat mir Verbruggen mitgeteilt, dass nicht er die Dokumente an den Journalisten weitergereicht habe, sondern der UCI-Chefmediziner Schattenberg.“
Übergroßer Eifer
Leon Schattenberg bestätigte diesen Vorgang am Freitag auf SZ-Anfrage. Der Arzt, Niederländer wie UCI-Chef Verbruggen, erklärte folgendes: In der Zeit „um den 20. Juli“ – also noch während die vergangene Tour de France lief – sei ein Journalist der französischen Sporttageszeitung L’Equipe bei der UCI aufgekreuzt unter dem Vorwand, er wolle „einen Artikel schreiben über die Frage, ob die UCI Armstrong eine Erlaubnis gegeben hätte für die Benutzung von Testosteron aufgrund seiner früheren Krebsoperation“.
Der Verband habe geantwortet, er habe so eine Erlaubnis noch nie erteilt, auch nicht an Armstrong. Um dies zu beweisen, „hat uns Armstrong erlaubt“ (Schattenberg), dem Journalisten eines seiner Doping-Formulare auszuhändigen.
Der Rechercheur allerdings hatte ein ganz anderes Interesse: Die Zeitung benötigte dieses Dokument, um über die darauf befindliche Code-Nummer Armstrongs die passende Querverbindung zu brisanten Papieren herzustellen, die ihr von anderer Seite bereits vorlagen: Die – verschlüsselten – positiven Dopingbefunde, die das Labor von Chatenay-Malabry nachträglich zur Tour de France 1999 ermittelt hatte.
Ein Bluff also, dem die UCI-Offiziellen und Armstrong prompt auf den Leim gegangen waren; ironischerweise in dem übereifrigen Bemühen, die Sauberkeit des größten Radsport-Helden mit dessen eigenen Formularen nachzuweisen. Chefarzt Schattenberg jedenfalls fühlt sich „ausgetrickst“ und klagt, der Journalist habe ihn nie über sein wahres Vorhaben informiert.
Brauchte er nicht, was zählte, war der Besitz des Dokuments. Als L’Equipe dann am 23. August jenen Artikel abdruckte, der die Radsportwelt in Atem hält, fand sich das von der UCI ausgehändigte Papier auf der Seite wieder. Dazu wurden fünf weitere Armstrong-Dokumente abgelichtet, die allerdings so präsentiert sind, „dass man den Absender nicht erkennen kann“ (Schattenberg).
Weshalb die UCI glaubt, dass es noch eine andere undichte Stelle gab – vielleicht sogar im französischen Sportministerium. Aber der Radweltverband hat ja nun genug Probleme im eigenen Haus. Vergangene Woche erst hatte die UCI ihre Untersuchung zum Fall Armstrong vertagt, kurioserweise geißelten die frommen Funktionäre das Pariser Labor und empörten sich über einen Sachverhalt, der Schattenberg weiter bewegt: „Wie können Untersuchungsberichte aus dem Labor an die Öffentlichkeit gelangen?“
Beweise auf dem Postweg
Wie diffizil der Umgang mit persönlichen Unterlagen sein kann, weiß der Verband indes ja selbst seit längerer Zeit. Es verwundert, dass sich die UCI nicht gleich nach Erscheinen des Artikels in L’Equipe als Zulieferer zumindest eines Dokuments bekannte.
Schattenberg bestätigte der SZ indirekt, dass „in einem Fall“ der Befund Armstrong zuzurechnen ist. Eine Erkenntnis, der man nachgehen wolle, jedoch habe die UCI „nie die Laboranalyse der Positivbefunde bekommen; was wir haben, ist unser Formular und der Artikel“. Eine Anfrage an die Wada sei ergangen, sagt Schattenberg, eine Antwort liege ihm noch nicht vor.
Hier erwächst der nächste Konflikt. Wada-Chef Pound nämlich sagte am Freitag, Armstrongs Positiv-Resultate seien sehr wohl bereits an die UCI geschickt worden. Ohnehin verwundert, dass die UCI, die ja seit 23. August an der Authentizität zumindest eines der von L’Equipe präsentierten Armstrong-Papiere keinen Zweifel hatte, weil sie est ausgehändigt hatte, noch immer mit bürokratischen Problemen ringt.
Für Pound ist klar, „dass ein Link zwischen dem Athleten und der Codenummer nur über Dokumente herzustellen war, die die UCI besaß“. Er wunderte sich daher, „warum die UCI die Quelle für diese Doping-Enthüllung außerhalb ihres Hauses suchte“.
So oder so, wenn das Labor-Resultat endlich vorliegt, dürfte der Rest nur noch Formsache sein – es sei denn, der Weltverband wollte die Korrektheit der Untersuchungen des beim IOC akkreditierten Labors anzweifeln. Insofern wird es nun eng für UCI-Chef Hein Verbruggen, die Aufarbeitung des Falles Armstrong wird schon ein Thema bei der Direktoriumssitzung am Dienstag in Madrid sein.
Und Pound hat am Freitag von der UCI gefordert, dass sie spätestens jetzt ein offizielles Verfahren in der Sache einleiten soll.
Allerdings findet in Madrid am nächsten Freitag auch die Präsidentschaftswahl der UCI statt. Dann will Verbruggen wohl wieder kandidieren – nachdem er bisher monatelang den unbekannten Iren Pat McQuaid als Nachfolger gepuscht hatte.
Seit einigen Wochen gibt es Widerstand gegen braven den Iren, der angeblich auf den für den UCI-Präsidenten reservierten Platz im wichtigen Internationalen Olympischen Komitee (IOC) verzichten will, damit Verbruggen dort weiter bleiben kann. Vom Tricksen und Bluffen versteht jedenfalls auch Verbruggen eine ganze Menge.