Es ist schon auffallend , dass wenn man sich die Größen der Klassik so anguckt kaum einer aus den letzten 100 Jahren dabei ist. Woran das liegt weiss ich nicht, vielelicht wird heutzutage einfach weniger darüber berichtet.
Es gibt in der Musikwissenschaft sicher tiefgehende Analysen dieser Veränderung, aber ich als Laie erkläre sie mir so:
Ich denke, es liegt daran, dass die Gesellschaft als solche sich von der Klassik abgewendet hat. Sie ist seit vielen Jahrzehnten nicht mehr die bestimmende Musikrichtung. So viele Talente, so viel Zeit und Geld und so viel Publikum sind an andere Musikarten verlorengegangen. Dazu kommt, dass der Freizeitsektor, von dem die Musik ja nur ein Teil ist, enorm gewachsen ist: Viele junge Menschen, die vor 150 Jahren noch Musiker wurden, sind heutzutage z.B. als Sportler aktiv. Auch das allgemeine Nichtstun hat, so scheint mir, in unserer Gesellschaft zugenommen, denn früher war es selbstverständlich, dass man als Kind ein Instrument spielen und notenlesen konnte.
All das hat zur Folge, dass es bei der Beschäftigung mit der klassischen Musik zum letzten, bedeutendsten Schritt meist gar nicht mehr kommt: dem Komponieren. Es gibt nachwievor hervorragende Dirigenten (z.B. Abbado, Rattle) und Interpreten (Brendel, Mutter etc.), die sich mit den besten der Geschichte messen können, aber bei den Komponisten ist die Zunft qualitativ radikal eingebrochen. Auch wenn sich einige Leute für neugeschaffene Werke einsetzen, kommen einfach keine Sinfonien oder Orchesterwerke mehr nach, die es mit den großen der Vergangenheit aufnehmen können. Die heutige Klassik-Szene ist nicht ohne Grund so rückwärtsgewand.
Hab grad folgendes mal wieder gehört: Schubert: Symphony #8 In B Minor, D 759, "Unfinished" - 1. Allegro Moderato
Hat Schubert noch mehr solch großartige Synphonien gemacht?
Diese hat mir sehr gefallen.
Von Schuberts Sinfonien ist die achte schon die beste, einfach weil sie den meisten Tiefgang hat. Die ihr vorangegangenen Sinfonien sind wirklich hörenswert, doch sie erinnern sehr an die ersten beiden Sinfonien Beethovens, und wie diese sind sie nett, abwechslungsreich und verspielt, aber es fehlt es ihnen einfach an Ausdruck und Charakter. Das ist zumindest mein Eindruck. Bei Tschaikowsky war es ähnlich; auch er brauchte im Bereich der Sinfonie sechs Versuche, ehe ihm mit der
Pathétique etwas wirklich Bedeutsames gelang, und dieses Werk ist schon fast Tschaikowskys eigener Abgesang.
edit: Wo wir schonmal dabei sind, finde die Herr der Ringe Filmmusik auch sehr, sehr gelungen
Ich finde sie auch sehr, sehr gelungen, aber sie ist auch sehr, sehr abgekupfert. Ich verweise als Beispiel auf die offensichtliche Ähnlichkeit zwischen dem
"Shire"-Thema und dem
Largo aus Dvořáks neunter Sinfonie. Wenn man sich näher mit Howard Shores Musik befasst, dürften einem etliche Verbindungen zu bekannten Werken bzw. Kompositionsstilen auffallen.