Bin ich der einzige hier, der denkt, dass in 1-2 Wochen kaum einer mehr darüber redet (sollte Favre zeitnah eingetütet werden) und spätestens zum Confed Cup wieder Normalität herrscht?
Das hätte ich bis gestern auch gedacht: Bei Tuchels Abfindung werden nochmal ein paar Scheine draufgepackt. Dafür verpflichten sich beide Seiten, ein halbes Jahr lang abgesehen von ein paar warmen Worten für den Ex nichts mehr zu der Trennung zu sagen.
Aber jetzt? Die Vorwürfe in dem offenen Brief lauten: Tuchel war respektlos, nicht authentisch, hat sich nie mit dem Verein identifiziert, war unzuverlässig, illoyal, weder team- noch kommunikationsfähig. Das ist so ziemlich das miserabelste Zeugnis, das du deinem Arbeitnehmer ausstellen kannst, ohne offen zu schreiben: Er war ein dummes *********. Ich glaube nicht, dass Tuchel das auf sich sitzen lässt. Das bietet imo durchaus Stoff für eine Schlammschlacht, die den BVB noch über den ganzen Sommer beschäftigen könnte. Ob es zum Wohle des Vereins die richtige Entscheidung war, nachzutreten oder ob man besser die Füße stillgehalten hätte, wird man daran bemessen können, wie ruhig der BVB die Vorbereitung über die Bühne bringt.
Die Behauptung, Watzke habe richtig gehandelt, denn er habe ja nur die Wahrheit gesagt, finde ich falsch. Vielleicht sagt er die Wahrheit, vielleicht ist es eine Teilwahrheit, vielleicht nur seine subjektive Sicht auf die Dinge. Im schlimmsten Fall hat er bewusst übertrieben oder nur das gesagt, von dem er glaubt, dass es ihn besser dastehen lässt und Tuchel den größtmöglichen Schaden zufügt. Den Spieß kann Tuchel nun aber umdrehen. Er kann sagen, Watzke sei machthungrig, ein eitler Pfau, selbstgefällig, stelle persönliche Abrechnungen über die Ruhe im Verein. Sein Interview vor dem Spiel gegen Hoffenheim zeige außerdem, dass nicht er, Tuchel, sondern Watzke selber respektlos und illoyal handele. An dieser Sicht auf die Dinge ist vielleicht ebenso etwas dran. Dennoch glaube ich nicht, dass die Leute die bei Watzke meinten, er sage doch nur die Wahrheit, das in diesem Fall genauso sehen würden. Und da sind wir bei etwas angelangt, was ich L-James-Syndrom nenne. Was die Wahrheit ist, machen wir von unserer subjektiven Meinung abhängig, davon, welche Personen uns sympathisch oder vertrauenswürdig erscheinen und welche nicht. Da spielt es auch keine Rolle, wie aggressiv ich mit substanzlosen Phrasen wie "Es ist doch so offensichtlich, dass...", oder "Wer nicht erkennen will, dass ... der ist wohl ..." um mich werfe.
Unabhängig davon, wer die Wahrheit sagt oder wer näher dran ist, finde ich Watzkes offenen Brief unclever. Mindestens riskant. Der Mehrwert des Briefes - dass die Menschen die Trennung eher nachvollziehen können, wenn sie seine Sicht auf die Dinge erfahren - steht das Risiko gegebüber, dass der Verein nicht zur Ruhe kommt und das Thema sogar durch die Vorbereitung schleppt. Die Medien werden wohl schon darauf geiern, eine schöne Reaktion von Tuchel zu bekommen.
Ebenso unnötig war imo auch das Watzke-Interview vor Hoffenheim. Nein, ein Interview ist kein Arbeitszeugnis. Aber es gibt auch hier eine gewisse Chiffre. Wenn jemand sagt: "In der gegenwärtigen Situation stellt sich die Trainerfrage bei uns noch nicht" - heißt das: Galgenfrist, die Kacke ist gewaltig am Dampfen. Wenn sich Watzke nun hinstellt und von einem offenen Dissens spricht, ist das eine der größten Bomben, die du im Fußballer-Jargon zünden kannst. Damit hat er die Weichen damals schon ganz klar auf Trennung gestellt. Welche Sprengkraft diese Aussage hat, war nicht nur der PR-Abteilung absolut klar. Einwände wie "Was wollt ihr denn. Die Ziele sind doch trotzdem erreicht worden", "Das sind Profis, die lassen sich von sowas nicht aus der Bahn werfen", oder "Der Aki wollte nochmal Reize setzen", halte ich für totale Grütze.
Auch in diesem Fall frage ich mich: Was war der Plan, was war der Mehrwert, diese Aussage vor einem extrem wichtigen Spiel wie Hoffenheim rauszuhauen? Warum nicht nach der Saison? Die Begründungen in diesem Thread fand ich wenig überzeugend.
Da so viele User hauptsächlich damit hausieren gehen, was sie glauben, tue ich das an dieser Stelle auch: Ich glaube, Watzke hat die Ziele des Vereins mit dem Zeitpunkt und der Form seiner Kritik gefährdet. Dass die Trennung bei dem zerrütteten Arbeitsverhältnis sehr wohl Sinn macht und Tuchel offenbar eine unausstehliche Kackbratze ist, steht auf einem anderen Blatt.