Dass der Heimvorteil existiert ist ja unstrittig. Das sieht man in allen Ligen und Sportarten anhand der Ergebnisse.
Die einzelnen Einflussfaktoren rauszufiltern und isoliert zu betrachten ist aber schwierig. Gibt dazu auch etliche Studien und Ideen aber keine wirklich klaren Antworten. Ich finde nur albern, dass soviele Fans davon ausgehen, dass sie einen echten Einfluss auf das Spielgeschehen haben. Und das klingt ja auch hier im Forum immer wieder durch wenn Leute einen gewaltigen Nachteil sehen, weil bei Geisterspielen der tolle Fan Support wegfällt und der zwälfte Mann fehlt. Das ist letztendlich einfach Wunschdenken weil man sich als Fan gerne einredet, dass das eigene Anfeuern zum sportlichen Erfolg beiträgt.
Reisestress ist da schon eher ein Thema obwohl das heute bei den Profis schon sehr luxuriös organisiert wird und sich die Distanzen in der Bundesliga in Grenzen halten. Die müssen nicht mehr für viele Stunden im Bus sitzen. Aber klar: Du hast bei großen Entfernungen manchmal auch unterschiedliche Zeitzonen oder heftige Veränderungen der Umweltbedingungen. Wenn ein Team in der Championsleague nach Russland muss oder in den USA die Cardinals aus der Wüste Arizonas nach Boston reisen und im Schneesturm spielen.
Man kann natürlich untersuchen ob die Bilanz bei weiteren Reisen stärker leidet als bei Kurztrips. Aber selbst wenn man sieht, dass die Teams aus Kalifornien bei den Auswärtsspielen im Osten eher underperfomen als in Texas: Die Spielpläne sind ja nicht zufällig ausgewürfelt sondern so gebastelt, dass man bei weiten Reisen häufig direkt mehrere Spiele in kürzeren Zeitabständen hat. Es ist kaum möglich hier valide Aussagen zu treffen
Gibt natürlich Extremfälle wie zum Beispiel Stadien in großer Höhe. Denver ist da ja noch vergleichsweise harmlos. Bei Auswärtsspielen in Ecuador ist das echte Folter. Ich habe einmal ein Quali Spiel der Argentinier im TV gesehen. Alle Spieler wirkten träge und langsam. Sie klagten, dass sie kaum Luft bekommen und es gab auch Auswechlungen weil Spieler einfach nicht mehr genug Sauerstoff aufnehmen konnten. Das ist schon grenzwertig wenn man einfach anreist und keine Zeit zum akklimatisieren vorhanden ist.
Aber genau wie den Zuschauern gilt auch hier: Wenn das der Hauptfaktor wäre, müsste der Heimvorteil in den unteren Ligen viel kleiner sind. In der Kreisliga hast du weder lange Anreise, noch Wetterschwankungen und auch keine zehntausend Zuschauer. Trotzdem holen die Heimteams mehr Punkte. Auf dem Level sind vielleicht die unterschiedlichen Platzverhältnisse (Kunst oder Naturrasen) natürlich ein Thema welches du bei den Profis dann eher weniger findest.
Ein großes Thema unabhängig von der Spielklasse ist die räumliche Wahrnehmung. Auf dem eigenen Sportplatz bzw in der eigenen Arena hat das Hirn schon viele Flugbälle ankommen sehen und die Flugbahn berechnet. Man orientiert sich schneller im Raum und die gesamte "Datenverarbeitung" läuft im bekannten Umfeld einfach schneller. Das macht defintiv einen Unterschied.
Man kann ja auch beobachten, dass Teams beim Umzug in ein neues Stadion erstmal einen Teil der Heimstärke "verlieren" obwohl natürlich die gleichen Fangruppen dabei sind und man in der gleichen Stadt spielt. Aber das gewohnte Umfeld ist eben nicht mehr vorhanden.
Letztendlich würde ich einfach von "Routine" sprechen. Das Schlafen im eigenen Bett oder bekannten Hotel, das gewohnte Frühstück, der übliche Platz in der Kabine, weniger Störfaktoren im Ablauf...
Und ähnlich ist es auch bei den Fans. Die meinen zwar immer, dass sie direkten Einfluss haben aber letztendlich geht es auch nur um Routine und Gewohnheit. In der Türkei kennen die Spieler den Lärmpegel und die Lautstärke. Für ein Team aus einem anderen Land ist das eine Ablenkung und ein Nachteil.
Den größten Effekt hätten die Fans eigentlich wenn man die Routine des Gegners maximal stört. Also vielleicht sollten die Ultras bei irgendeinem Club die gesamte Saison für 90 Minuten sanfte Schlaflieder singen oder Tiergeräusche machen. Je absurder desto besser. Das hätte einen positiveren Heimeffekt als die üblichen Sprechchöre und die gewohnte Dauerbeschallung. Denn die eigene Mannschaft gewöhnt sich an den Quatsch während die Gegner von dieser seltsamen Kulisse eher abgelenkt wären. Will ich aber als Zuschauer nicht erleben. Da haben schon diese Tröten bei der WM in Südafrika genug genervt.
Gibt natürlich auch direkte Einflussfaktoren im Stadionumfeld: Im eigenen Stadion hat man immer das gewünschte Aktivitätslevel bei den Balljungen in der Schlussphase und im eigenen Stadion entscheidet man selbst ob der Rasen gewässert oder möglichst stumpf, langsam und trocken sein soll.
Wenn die Saison jetzt startet wird es auch für alle eine Umstellung. Es wird wichtige Spiele geben aber die Spieler erleben das eher mit der "Freundschaftsspiel Atmosphäre". Da werden sich alle auf die Geisterspiele einstellen müssen. Aber sportlich wird da niemand benachteiligt werden.