Ich glaube ich habe den Spiegel hier schon einmal zitiert, aber wir haben ja ein paar neue hier. Also zur Situaion vor Becker und während des Booms in den USA und Westeuropa.
1981 zierte Borg die Titelseite des Spiegels. Wann habt ihr zuletzt einen nicht deutschen Tennisspieler auf dem Titelblatt gesehen abgesehen vom Tennismagazin?
...Ansonsten ist Tennis leicht verständlich: Wer den Ball nicht zurückschlagen kann, verliert den Punkt. Es eignet sich vorzüglich für TV-Übertragungen. Tatsächlich berichten immer mehr TV-Stationen von den bedeutenden internationalen Turnieren.
Das Filzballspiel hat sich weltweit durchgesetzt. Es gibt kein Land, in dem Tennis völlig unbekannt ist. Der US-Präsident Jimmy Carter spielte Tennis und Papst Johannes Paul II., das französische Staatsoberhaupt Francois Mitterrand ebenso wie sein Vorgänger Giscard.
Sogar in den Ostblock schwappten einige Spritzer der Tennis-Welle. Zu den leidenschaftlichen Spielern gehört auch Wladimir Popow, der sowjetische Olympia-Organisator. Der Pole Woijtek Fibak erspielte einen Weltmeister-Titel, aus der CSSR stammt die Wimbledon-Siegerin Martina Navratilova. Die CSSR-Herrenequipe siegte sogar im Daviscup, der einer Mannschafts-Weltmeisterschaft entspricht.
An Leitfiguren für den mehr oder minder begabten Nachwuchs oder weibliche Teenager hat es im Tennis nie gefehlt. Borg ist zur Zeit die markanteste Säule vor dem Buhmann der Branche, dem Amerikaner McEnroe. Auch 1981 in Wimbledon beleidigte McEnroe Linienrichter und zerbrach Schläger.
Allen anderen Sportarten fehlt zum perfekten Schausport mehr als dem Tennis. Basketball mit allein 50 Millionen und Fußball mit 25 Millionen organisierten Spielern -- unzählige Freizeitsportler nicht gerechnet -- erreichen statistisch ähnliche Verbreitung wie das Tennis mit 50 Millionen Aktiven. Aber der Fußball beginnt sich erst in Nordamerika zu verwurzeln, im Basketball fehlt es an weltweit bekannten Figuren.
Das Profiboxen erfüllt zwar alle Voraussetzungen, bleibt jedoch im Ostblock ausgesperrt. Nur mit Ali-Kämpfen machte der Sowjet-Staat eine Ausnahme auf dem TV-Schirm. Zudem bewerten zu viele Sportfans das Boxen, ebenso wie den Automobilsport, negativ, denn beide nehmen die unvermeidbaren Todesopfer in Kauf...
Hier wird angedeutet, dass Tennis der ideale Sport ist um sich weltweit durchzusetzen. Der Wachstum in den westlichen Ländern war enorm und es war keine Ende in Sicht.
Doch die Entwicklung zum Preis- und Profitennis verlief gleichzeitig zum allgemeinen Tennis-Boom, der zuerst in den USA ausgebrochen war und Europa angesteckt hat. Tennis-Schau und Tennis-Geschäft bedingen sich und schaukeln einander hoch.
In den USA nahm die Zahl der Spieler in den letzten fünf Jahren um fünf Millionen auf 34 Millionen zu. Sie S.87 teilen sich in 160 000 Plätze. "Plötzlich hoben wir ab", freute sich in Frankreich Gerard Clerc, Direktor einer Firma, die Tennisplätze erstellt. 1800 Plätze baute sie 1979, ihr Auftragsvolumen wuchs gleichzeitig um 30 Prozent.
Tennis habe Europas "Mittelklasse von Stockholm bis Sizilien, von Bonn bis Bordeaux gewonnen", schrieb "Newsweek". In zehn Jahren verdreifachte sich die Zahl der französischen Tennis-Aktiven auf 1,3 Millionen. 2,5 Millionen schmettern und lobben in Italien (1970: 400 000).
Ein paar beeindruckende Zahlen aus meiner Sicht. Man sieht, dass in den USA der Wachstum bereits langsamer wird. Während sich in Frankreich die Zahl der Aktiven in den letzten 10 Jahren verdreichfacht hat und Italien versechsfacht hat. In Deutschland hat sich die Zahl der aktiven im angesprochenen Zeitraum vervierfacht. Und heute? In den USA spielen etwa noch halb so viele und auch in Frankreich, Italien, Österreich, Deutschland weniger als zu dieser Zeit, obwohl Tennis damals deutlich teurer war.
Auch Deutschland wurde zum Borg-Land. 1976, als Borg zum erstenmal in Wimbledon siegte, nahm die Zahl der Tennisspieler in der Bundesrepublik um 15 Prozent zu. Plötzlich spielten fast 1,5 Millionen Deutsche eigenhändig Tennis. Bald werden es zwei Millionen sein.
Gäbe es noch mehr Plätze als etwa 80 000, dann würden womöglich 6,3 Millionen Deutsche, die laut Allensbach S.88 Lust auf Tennis haben, das Rackett anfassen.
Wenn in Wimbledon, Paris oder Melbourne Turniere stattfinden, fragen die deutschen Freizeitspieler allerdings kaum danach, wie ihre unterlegenen Landsleute abschneiden. Sie interessiert vor allem, ob Borg das Finale erreicht und wer sein Gegner ist.
Die deutschen Spitzenspieler wie Uli Pinner und Rolf Gehring, Andreas Maurer oder Werner Zirngibl, mieden in den letzten Jahren Wimbledon. "Sie spielen lieber auf dem Dorf und siegen da manchmal auch, anstatt sich in London oder New York von den Weltstars abziehen zu lassen", schmähte Wilhelm Bungert, der 1967 als letzter Deutscher ein Wimbledon-Finale erreicht hatte.
Deutschen Tennisprofis winkt jedoch müheloser Lohn. Allein dafür, daß sie ihre Markenschuhe tragen, kassieren Pinner oder Gehring 15 000 Mark jährlich. 40 000 Mark gibt es vom Schläger-Hersteller ihrer Wahl, nochmals 40 000 für Hemd und Hose. Sogar Stirn- und Schweißbänder bringen ihnen PR-Gelder ein.
Schließlich setzt der eigene Klub für eine Bundesligasaison -- zehn Spieltage in fünf Wochen -- weitere 40 000 Mark Gage aus. Deshalb drängen immer mehr ausländische Spieler in die Bundesligaklubs und schmettern die Deutschen von der Spitze der Rangliste weg bis an die Übungswand.
Lediglich Mädchen aus deutschen Tennislanden erregten ab und zu Aufsehen. So erreichte die Münchnerin Sylvia Hanika bei den Internationalen Meisterschaften von Frankreich das Finale, das sie allerdings gegen die Tschechin Hana Mandlikova verlor. Doch in Wimbledon scheiterte sie in der ersten Runde.
Sylvia Hanika ist ein Produkt des bundesdeutschen Tennisbooms.
Es war im Grunde keine Frage ob es 2 Mio aktive werden, die Frage war in damaligen Situation nur wann. Durchschnittlich top 100 Spieler wurden damals mit gut dotierten Verträgen ausgestattet. Ein Zirngibl hat es nie über Rang 97 hinaus geschafft, die anderen 3 schafften es früher oder später in die top 50. Aber ein Struff, Mischa Zverev oder Flo Mayer bekommen heute nicht mehr als ein durchschnittliches Jahresgehalt vom Schlägerhersteller und das ganze nochmal vom T-Shirt Hersteller. Selbst Haas war bei einem Comeback bis weit in die top 100 ohne Sponsor unterwegs.
Schon Sylvia Hanika, die 1959 geboren wurde wurde in 1981 als Kind des Booms bezeichnet. Heute glauben die meisten Becker der Ende 67 geboren ist wäre der Auslöser des Booms, dabei ist er ein Kind des Booms.
Die steigenden Bodenpreise in den Städten drängen den Tennis-Trend bis aufs Land. So vervierfachte sich die Zahl der Tennisvereine etwa im Kreis Unna auf ein Dutzend. Bei den Berliner Renommier-Klubs Rot-Weiß und Blau-Weiß stehen jeweils rund 500 Tenniswillige auf der Warteliste.
Fußballprofis, die aus Altersgründen in der Bundesliga den Abschied nehmen, eröffneten wie Nationaltorwart Sepp Maier Tenniszentren. Auch die Kölner Nationalspieler Wolfgang Flohe und Bernd Cullmann gründeten ihre Zukunft auf Tennisanlagen.
Das "Handelsblatt" schätzte vor allem Tennishallen "als äußerst interessante Renditeobjekte" ein und errechnete Gewinne von 150 000 bis 180 000 Mark im Jahr für eine Halle mit vier Spielfeldern.
Obwohl die Infrastruktur für Tennis in anderen Ländern kaum günstiger, obwohl die Zahl der Tennisspieler meist viel geringer ist als in der Bundesrepublik, wachsen Weltstars nur noch in Nachbarländern auf, beispielsweise in der CSSR und in Schweden.
http://www.spiegel.de/spiegel/print/index-1981-27.html
In Deutschland wurde ohne Ende in den Sport investiert, selbst von Leuten, die nicht so viel mit dem Sport zu tun hatten. Jeder wollte mitverdienen und Deutschland hat auf einen vergleichbaren Helden wie Borg gewartet. Das war die Situation in der Becker Profi wurde. Das ein deutscher Held der Entwicklung nicht geschadet hat versteht sich von selbst, aber zu behaupten Becker hätte den Boom ausgelöst und Deutschland war vor Becker ein weißer Fleck auf der Landkarte und plötzlich griffen alle zum Schläger und Hallen wurden aus dem Boden gestampft ist reine Legendenbildung. Die meiste Plätze gab es schon als Becker Wimbledon gewann. Die Erfolge von ihm Graf und Stich haben sicherlich dazu geführt, das es bei uns noch aufwärts ging als es in den USA und einigen Nachbarländern schon wieder Berg ab ging. Viel mehr war es aus meiner Sicht aber auch nicht.
Weder in Deutschland noch in der restlichen Welt hat man verstanden den Erfolg nachhaltig zu nutzen. Andere Sportarten haben Tennis eingeholt und überholt. Der Anstieg bei den Preisgeldern wird von der ATP regelmäßig als toller Erfolg verkauft. Der Maßstab ist allerdings wie stark sind im gleichen Zeitraum die Gehälter im Basketball, Fussball, Football usw gestiegen. Wenn man diesen Quervergleich zieht, dann ist die Entwicklung nichts so rosig. Es könnte schlimmer sein, aber die Zeiten des großen Wachstums, des oft zitierten Booms, die sind lange vorbei und kommen nicht wieder. Vielleicht gibt es einen Boom in Ländern wo es noch keinen gab, wie Japan, China, oder mit Tsitsipas in Griechenland, Ruud in Norwegen und Dimitrov in Bulgarien, aber wie in den 80ern wird es nicht mehr werden.