Ich habe natürlich nicht mit Tuchel gesprochen, aber meinem Eindruck nach versucht er, einen kontrollierten, "einfachen" Fußball zu etablieren, der nicht in die Extreme geht. Wo kommt Bayern her?
Flick: Extremes Pressing, schnelles Umschalten, schnelles Vertikalspiel. Nachteil: Wenig ruhige Phasen, grade im zweiten Jahr recht viel "hin und her".
Nagelsmann: Hybridsysteme, immer 5 Mann im Strafraum, hohe Abwehrlinie, offensiv agierende 6/8. Nachteil: Kontrollverluste, wenig Konstanz
Tuchels erste Maßnahmen: Die Außen sind echte Außen, die Abwehrlinie schiebt nicht so kompromisslos hoch, der Sechser spielt als echter Sechser, der Ball bleibt mehr in den eigenen Reihen. Ich sehe es so, er möchte in Pep-Manier den Gegner müde machen und dann effizient zuschlagen. Gepresst wird situativ. Wenn möglich, wird schnell umgeschalten, ansonsten eher langsam aufgebaut. Die Konterabsicherung hat Priorität.
Problematisch ist das aus zwei Gründen: Erstens, Bayern hat zu wenig Tempo und Präzision im Aufbau. Das liegt vor allem an der Kaderzusammenstellung. Die besten Fußballer sind Musiala (der ist richtig stark), Sané und Kimmich. Sané und Kimmich sind sehr gute Spieler, aber Kimmich ist kein Thiago und Sané kein Ribery. Die Abwehrkette ist fußballerisch deutlich hinter dem, was frühere Abwehrketten drauf hatten. Man hat einfach die technischen und die 1-gegen-1-Fähigkeiten im Kader immer weiter verringert. Deshalb hat der Guerreiro-Transfer Sinn gemacht, auf den aber auch zutrifft: Zweitens, es fehlt dem Mittelfeld an Zweikampfstärke. Laimer, der zudem rechts ran muss, Kimmich, Guerreiro und Goretzka sind allesamt keine weit überdurchschnittlichen Zweikämpfer. Bei Laimer darf man Energie nicht mit Zweikampfstärke verwechseln. Goretzka hätte am ehesten die körperlichen Voraussetzungen, wird aber eher offensiv gesehen und ist das auch gewöhnt. Bei Pavlovic bin ich mir noch nicht so sicher. Das führt dazu, dass immer wieder zu viel Druck auf die Abwehrkette kommt. Die vielen Verletzungen tragen zudem dazu bei, dass sich nur langsam Automatismen bilden.
Fazit: Ich glaube, dass gar nicht viel fehlt. Mehr Passtempo und Präzision in der Offensive, mehr Präsenz im Mittelfeld.
@LeZ ist ja gerne mal etwas übertreibend unterwegs, aber er hat mit "ein Kader voller Leichtathleten" nicht so ganz Unrecht. Wir waren einfach über Jahre sehr verwöhnt, weil viele gute Fußballer mit gleichzeitig hohem Fußball-IQ im Kader waren. Das ist aktuell nicht so. Es war am Samstag im Vergleich interessant zu sehen, wie viel Zeit am Ball ein Leverkusener Spieler verbringt und im Vergleich ein Bayernspieler. Ich denke, das ist auch genau der Punkt, an dem der Transfer vom Training ins Spiel nicht klappt. Über den Dier-Transfer wird ja gerne gelästert, aber ich fand es am Samstag auffällig, wie überlegen der er einem Phonsie oder de Ligt in Sachen Übersicht und schnelle Ballverteilung war. Trippier hätte da mMn auch geholfen. Auch wenn es mir nicht gefällt, Tuchel hat schon eine Idee hinter seinen Wunschspielern.
Vielleicht sehe ich aber auch alles zu positiv, Tuchel hat offensiv keinen Plan und der Karren knallt bald gegen die Wand. Wir werden es erleben.