Dr. Klitschko zieht seinen Gegnern den Zahn
Von Fabian Weber
Los Angeles - Sieben Wochen lang hat sich der Südafrikaner Corrie Sanders in einem privaten Boxgym am Rande von Los Angeles und in unmittelbarer Nähe zum Pazifik für seinen Weltmeisterschaftskampf gegen Vitali Klitschko in bestmögliche Form gebracht.
Dabei bestand die Vorbereitung des 38-jährigen Südafrikaners nicht nur aus intensivem Konditions-, Kraft- und Boxtraining. Ebenso wichtig wie die athletische- ist die taktische Vorbereitung auf seinen 32 Jahre alten Gegner. Daher hat der intelligente und eloquente Mann aus Pretoria im Laufe der vergangenen Wochen natürlich auch das ein oder andere Video mit Kämpfen seines zukünftigen Kontrahenten studiert.
Wenn er die Kämpfe Vitali Klitschkos genau betrachtet und dazu die Kampfrekorde der Gegner studiert hat, wird Sanders möglicherweise eine Tendenz aufgefallen sein, die ihm als nächsten Gegner Sorgen bereiten sollte.
Die Karriere und die Erfolgskurve vieler Schwergewichtler, die gegen Vitali Klitschko angetreten waren, neigte sich nach ihrer Begegnung mit dem ukrainischen Hünen steil nach unten. Besonders gravierend traf es die letzten drei Gegner von „Dr. Eisenfaust“. Larry Donald, Lennox Lewis und Kirk Johnson waren nach ihrer Begegnung mit dem älteren Klitschko-Bruder überhaupt nicht mehr bereit, erneut zwischen die Ringseile zu steigen.
Laut Schlagstatistik des amerikanischen Onlinedienstes Compubox wurde Lennox Lewis in seiner gesamten Karriere in den ersten sechs Runden noch sie so oft getroffen wie von Vitali Klitschko. Dass der damalige WBC-Weltmeister diesen Vorgang ungern wiederholen wollte, ist nachvollziehbar, sein Rücktritt schon aus diesem Grund verständlich. Doch Lennox Lewis ist in diesem Punkt kein Einzelfall.
Auch von Larry Donald, der in seinem 44. Profifight gegen Klitschko im November 2002 die erste K.o.-Niederlage seiner Laufbahn erlitt, hat man seitdem nichts mehr gehört. Ebenso wenig von Kirk Johnson, den „Dr. Eisenfaust“ im vergangenen Dezember schon in Runde zwei ausknockte. Der entzauberte Kanadier leckt noch immer seine Wunden und hat bis dato keinen neuen Kampf angekündigt.
Man kann im Kampfrekord des älteren Klitschko-Bruders noch weiter zurückblättern, um diese Tendenz bestätigt zu sehen. Vaughn Bean, der ebenso wie Donald bis dahin nie vorzeitig besiegt worden war, wurde von dem 2,02m-Mann aus Kiew im Februar 2002 bis zum Abbruch in Runde elf komplett deklassiert, bloßgestellt und zermürbt. Nach dieser schweren Bestrafung pausierte Bean ein Jahr und acht Monate, bevor er wagte, gegen vorsichtig ausgesuchte Gegner noch einmal in den Ring zu klettern.
Dies betrifft auch frühere Gegner Vitalis wie Herbie Hide, dem Klitschko 1999 den WBO-Titel entriss, und seinen zum Zeitpunkt des Kampfes unbesiegten WM-Herausforderer Ed Mahone. Als hätte „Dr. Eisenfaust“ ihnen auf immer den Zahn gezogen, konnten die beiden Schwergewichtler, die der Ukrainer in den Runden zwei und drei schwer K.o. schlug, später nie mehr zum internationalen Spitzenfeld zurückfinden.
„Vitali hat einen unheimlich harten Punch“, weiß vor allem Trainer Fritz Sdunek. „Während des Pratzen-Trainings befürchte ich manchmal glatt, dass er mir mein Ellenbogengelenk auskugelt.“
„Vitali ist einer der härtesten Puncher auf der Welt. Doch er hat auch die besten Reflexe im Schwergewicht, Gegen Kirk Johnson hat er sie zum ersten Mal wieder voll eingesetzt“, lobte Promoter Klaus-Peter Kohl.
Gegen einen Mann anzutreten, der schwierig zu treffen ist und der im Gegenzug selbst schwere Treffer austeilt, ist eine Erfahrung, die bereits einige Schwergewichtskarrieren für immer veränderte oder gar beendete.
„Es sieht so aus als sei Vitali im Vergleich zu Wladimir die härtere Herausforderung“, gibt Sanders selbst zu. „Aber ich habe sehr hart gearbeitet. Was immer auf mich zukommt, ich bin bereit dagegenzuhalten. Doch Vitali wird eine wirklich harte Nuss sein.“
So scheint Sanders selbst keinerlei Illusionen darüber zu haben, wem er sich am Samstag entgegenstellt. Trotzdem hat der Südafrikaner einen Knockoutsieg für sich vorausgesagt. Doch für den Fall einer Niederlage hat der passionierte Golfspieler gut daran getan, schon eine neue Perspektive vor Augen zu haben: Die Teilnahme an der PGA Tour als Profigolfer.
Denn sollte Sanders gegen Vitali Klitschko verlieren, so wird diese Niederlage voraussichtlich sehr heftig ausfallen. Nach dieser Erfahrung wird der Südafrikaner höchstwahrscheinlich seine Boxkarriere beenden. Immerhin wird er sich dabei in guter Gesellschaft befinden.
22.04.2004