Montag, 19. April 2004
Rätselraten ums Trinkwasser
Das lange Warten auf die Ergebnisse der Tests.
Los Angeles - Diese Brüder sind kaum zu durchschauen. Da saßen sie am Sonnabendnachmittag in einem kleinen Fernsehstudio in Culver City, einem Stadtteil von Los Angeles, und beantworteten in einer Liveschaltung des Sportstudios die Fragen von Moderator Wolf-Dieter Poschmann. Sie waren professionell wie immer, als wäre nichts passiert.
Es sind Kleinigkeiten, die verraten, dass Wladimir und Vitali Klitschko, den beiden Schwergewichts-Boxprofis aus dem Hamburger Universum-Stall, die Ereig-nisse der vergangenen Tage nachhängen. Wladimir lauschte den der Liveschaltung vorangestell-ten Diskussionen gedankenverloren und mit ausdruckslosem Gesicht. Es schien, als nähme er die Sendung wie in Trance wahr. Vitali, der vor seinem WM-Kampf am kommenden Sonnabend in Los Angeles gegen den Südafrikaner Corrie Sanders eine erstaunliche Nervenstärke ausstrahlt, antwortete im TV mit chronischem Lächeln im Gesicht. Abseits der Kamera jedoch weisen seine mahlenden Wangenknochen darauf hin, dass auch ihn die vielen offenen Fragen nicht so unberührt lassen.
Seit Wladimir vor neun Tagen im Kampf gegen Lamon Brewster zusammenbrach, schlagen die Spekulationen hohe Wellen. Weder die Experten - Universum-Chef Klaus-Peter Kohl, Schwergewichts-Europameister Luan Krasniqi und Boxautor Bertram Job -, die im Sportstudio nach Antworten suchten, noch die Mediziner, die seit vergangenem Sonntag die Blut- und Urinproben Wladimir Klitschkos untersuchen, konnten bislang eine überzeugende Erklärung für den körperlichen Zustand finden, der zur Niederlage führte.
Die ukrainischen Brüder wollen nicht als schlechte Verlierer dastehen. Dennoch ist aus ihren Andeutungen herauszuhören, dass sie an eine Verschwörung glauben. Auch die Trainer Fritz Sdunek und Emanuel Steward äußerten sich vorsichtig in diese Richtung. Als wahrscheinlichste Möglichkeit wird eine Manipulation des Trinkwassers angesehen, das Klitschko am Kampfabend zu sich nahm.
Die Indizien dafür liegen auf der Hand: Während normalerweise Sdunek die Trinkflasche für seine Boxer vorbereitet und selbst mitbringt, war er diesmal als Assistenz-Coach nicht dafür verantwortlich. Klitschko präparierte seine Flasche mit dafür in der Kabine bereitgestelltem Wasser und Eiswürfeln selbst. Dort war die Möglichkeit zur Manipulation gegeben. Was außerdem für Diskussionen sorgt: Während die Wettquoten für einen Sieg Brewsters wenige Tage vor dem Kampf bei 11:1 lagen, fielen sie am Kampftag auf 3,5:1. Hatte jemand, der von der geplanten Manipulation wusste, viel Geld auf Brewster gesetzt?
Die Ergebnisse der medizinischen Tests werden für Mittwoch erwartet, dann haben die Spekulationen ein Ende. Vielleicht ist dann bewiesen, was die "Los Angeles Times" schrieb: dass Lamon Brewster aufdeckte, dass Wladimir Klitschko nur ein Vier-Runden-Boxer ist. Vielleicht ist Wladimir Klitschko dann aber auch rehabilitiert. Er selbst wünscht sich nur eins: "Dass ich endlich Gewissheit habe, woran es lag. Alles andere ergibt sich daraus."
Quelle: http://www.abendblatt.de/daten/2004/04/19/285450.html