tennisnet: Herr Bresnik. Die Tennissaison 2018 geht in die Endphase. Wie steht Ihr Schützling Dominic Thiem im Vergleich zu den vergangenen Jahren da?
Günter Bresnik: Dominic wird sicherlich ein wenig frischer sein. Aus meiner Sicht spielt er aber viel besser Tennis. Bei den US Open war Dominic eigentlich nicht frisch, weil er davor zwei Wochen krank war. Er hat nur zehn Tage zur Vorbereitung gehabt - aber dann extrem gut zu spielen begonnen. Er hat das dann gleich beim Davis Cup und vor allem auch in St. Petersburg bestätigt, wo er tennismäßig das beste Turnier des ganzen Jahres bestritten hat. Dort hat er alle Partien sehr gut gespielt.
tennisnet: Hat Dominic Thiem die Form halten können?
Bresnik: Vor dem Abflug nach Shanghai war Dominic wieder ein paar Tage krank. Eine minimale Verkühlung, aber er ist im Moment in einer Form, wo für mich das intensive Tennistraining sekundär ist. Das spielerische Niveau ist meines Erachtens sehr, sehr hoch.
tennisnet: Bei den US Open hat Dominic Thiem mindestens zwei herausragende Matches gezeigt: Gegen Kevin Anderson und gegen Rafael Nadal. Wie fällt da Ihre Rückschau aus?
Bresnik: Mir ist grundsätzlich immer die frühere Partie wichtiger als die spätere. Und das erste Match bei den US Open, wo Dominic wirklich gut gespielt hat, war jenes gegen Anderson. Wir haben im Training die Belastung nur sehr langsam steigern können, die Matches zu Beginn waren noch nicht überragend. Gegen Steve Johnson und Taylor Fritz, das waren schwierige Partien. Gegen Mirza Basic, gut, da gibt es einfach einen Klassenunterschied. Gegen Anderson aber hat Dominic sehr gut gespielt, und zwar gut serviert und gut retourniert. Also jene beiden Bereiche, in denen ich immer noch das größte Verbesserungspotenzial sehe.
tennisnet: Warum hat der Return dann so gut funktioniert?
Bresnik: Wir haben das einfach sehr intensiv trainiert. Und gegen Anderson und dann gegen Nadal hat Dominic dann sehr gut retourniert. Auch in St. Petersburg, wo mir die Spiele gegen Struff und Medvedev sehr gut gefallen haben. Gegen diese Spieler muss der Rückschlag funktionieren. Und mir hat das ausgezeichnet gefallen.
tennisnet: In den Matches gegen Anderson und Nadal schien es, als ob Dominic vom ersten bis zum letzten Ball genau gewusst hat, was zu tun ist. Das schien in der Vergangenheit manchmal nicht so zu sein.
Bresnik: Dominic weiß immer, was er zu tun hat. Das ist ja meine Lieblingsdiskussion mit den Experten: Ich behaupte, dass 70 bis 90 Prozent der Fehler bei einem Tennismatch technischer Natur sind. Da sind keine taktischen Fehler dabei. Wenn Dominic spürt, dass er den Ball ins Feld retournieren kann, egal von wo, egal ob mit Slice oder nicht, geblockt - wenn er merkt, er bekommt den Ball immer neutral ins Spiel, dann ist es sehr leicht, danach einen Punkt zu konstruieren. Das macht ein Djokovic, Nadal, Federer, Wawrinka auch so. Man kann die Weltrangliste auch nach dem Prozentsatz der ins Spiel gebrachten Returns aufstellen. Je höher der Prozentsatz, umso weiter vorne die Spieler. Das gilt auch für Alexander Zverev. Das ist ein Spieler, der extrem viele Returns ins Spiel bringt. Da kommen 60, 70 Prozente der ersten Aufschläge zurück ins Feld - und dann kann ich mein Spiel von der Grundlinie aufbauen. Und darin sind die besten Spieler halt Großmeister.
tennisnet: Wo sehen Sie Dominic Thiem in diesem Kontext?
Bresnik: Dominic ist ein ausgezeichneter Grundlinienspieler, aber sein Erfolg hat immer darunter gelitten, dass er nicht genügend Returns ins Spiel bringt. Die Qualität vom Return ist extrem gestiegen - und die Qualität seines Aufschlags wächst kontinuierlich. Die Variation ist viel besser geworden, der Prozentsatz der ersten Aufschläge auch, das Tempo teilweise sogar noch höher geworden. Für mich war die Spieleröffnung ein Schwachpunkt - und der ist jetzt weg.
tennisnet: Nun ist Thiem für ein Turnier nach Asien geflogen, das ATP-Masters-1000-Turnier in Shanghai. Wenn es dafür keine Verpflichtung gegeben hätte - wäre Dominic dann vielleicht sogar in Europa geblieben?
Bresnik: Dominic hat heuer quasi keine 1000er-Turniere gespielt. Das einzige Turnier, das ich da zählen lasse, ist Madrid. In Rom hat er gegen einen starken Fognini im ersten Match verloren, bei allen anderen Turnieren war er krank oder verletzt. Aber die Möglichkeit, sich mit den besten Spielern zu messen, sind immer noch das Um und Auf. Dominic braucht so 15 bis 20 Partien auf einer großen Bühne gegen die besten Spieler der Welt, damit er diesen letzten entscheidenden Schritt machen kann. Da muss er jede Gelegenheit nutzen.
tennisnet: Die Grand-Slam-Turniere bieten solche Möglichkeiten auch.
Bresnik: Australian Open war ein Witz mit der Krankheit davor. Wo Dominic gegen Sandgren ausgeschieden ist. Aber gegen Kudla davor fängt das ja schon an: Wenn ich gegen den fünf Sätze benötige, dann werde ich irgendwann müde. Wimbledon war er nicht existent, French Open und US Open gut. Das heißt, Dominic hat für mich in diesem Jahr drei Turniere auf jener Ebene gespielt, die für ihn wichtig sind.
tennisnet: Wer ist in Shanghai an der Seite von Dominic Thiem?
Bresnik: Alex Stober und Galo Blanco. Dominic hat dort exzellente Trainingspartner, das wird schon Wochen vorher ausgemacht. Da rufen der Djokovic, Chung oder ein Sam Querrey an. Und Galo hat mich nach den ersten Trainings gefragt, was wir mit Dominic gemacht haben - sein ganzes Spiel sähe extrem gut aus.
tennisnet: Alexander Zverev hat beim Laver Cup in Chicago erklärt, dass er im kommenden Jahr beim Davis-Cup-Finalturnier im November auf keinen Fall antreten wird. Wie beurteilen Sie das Vorhaben der ITF auch aus Sicht von Dominic Thiem?
Bresnik: Da möchte ich keine Prognosen abgeben. Aber der November dauert lange, und nach dem Masters in London noch so einen Wettbewerb zu spielen, ist absurd. Grundsätzlich mag ich aber gut organisierte Tennis-Events. Wie auch den Laver Cup. Das, was die ITF plant, hat aber nichts mehr mit dem Davis Cup zu tun. Das ist für mich eine super Exhibition. Und die Spieler, die mir das ganze Jahr über in den Ohren liegen, dass sie zu viel spielen, wenn die da mitmachen, das verstehe ich nicht. Wenn Du die Vorbereitung darunter leidet, dann muss man einen Schnitt machen.
tennisnet: Auch weil die nächste Veranstaltung ja gleich danach geplant ist ...
Bresnik: Zuerst der sogenannte Davis Cup und dann zwei Monate später der depperte World Team Cup. Da liegt für mich die größte Schwachstelle im Tennissport, dass sich zwei große Organisationen wie die ATP und die ITF nicht darüber einig werden können, was am besten für das Tennis ist. Sondern jeder nur darauf schaut, was am besten für das Geldtascherl ist. Und das, obwohl die ATP eigentlich keine gewinnorientierte Organisation ist.
tennisnet: Der Laver Cup hat Ihnen aber doch gefallen?
Bresnik: Prinzipiell lebt alles auf der Welt von der Tradition. Kann man schon beim "Kleinen Prinz" nachlesen. Wimbledon, Paris, alle Turniere, die im Tennissport wichtig sind, haben eine lange Tradition. Dass Rod Laver geehrt wird, halte ich für eine wunderbare Idee. Wenn da jetzt eine gute Veranstaltung dahintersteht, bei der sich jeder auskennt, dann funktioniert das. Wenn dann allerdings Top-Ten-Spieler dabei sind, die an drei Tagen ein Match spielen, dann ist das kein Vergleich etwa zum Ryder Cup.
tennisnet: Worin liegt der Schlüssel?
Bresnik: Ich muss das Event, etwa den Davis Cup, so gestalten, dass es den Leuten ein Bedürfnis ist, daran teilzunehmen. Wenn ich die Spieler mit Bestrafungen zwingen muss, dass sie an etwas teilnehmen, dann funktioniert das nicht. Dasselbe gilt ja auch für die ATP-Masters-1000-Turniere. Warum müssen manche Spieler immer spielen - und andere dürfen zwei auslassen? Man könnte ja jedem freistellen, zwei Masters-Turniere ausfallen zu lassen. Dann wären überall immer noch sechs Top-Ten-Spieler am Start. Das geht rechnerisch gar nicht anders.
tennisnet: Könnte aber natürlich auch sein, dass Turniere wie in Monte Carlo eher spärlich besetzt sind.
Bresnik: Das glaube ich nicht. Nadal würde spielen, Zverev sicher auch, Cilic, auch ein Stan Wawrinka. Der ist für mich mehr Top-Ten-Spieler als alle anderen. Es werden sich immer genug finden, die nach Monte Carlo fahren. Ich fahr auch gerne hin.
tennisnet: Noch ein Wort zu zwei Österreichern. Dennis Novak etwa hat im Davis Cup Alex de Minaur geschlagen, in der Woche darauf aber gleich wieder in der ersten Runde eines Challengers verloren. Woher kommt die fehlende Konstanz?
Bresnik: Dennis hat gegen de Minaur richtig gut gespielt, wie ein Schwergewichtsboxer ein Leichtgewicht weggeräumt. Er hat im letzten Jahr einen großen Sprung gemacht, wir haben jetzt wieder eine Woche gemeinsam in Wien trainiert. Er spielt wirklich, wirklich gut. Für mich ist es eine Frage der Zeit, bis er zwei-, dreimal bei Challengern seine Trainingsleistung abruft. Aber das Niveau ist bei Novak auf jeden Fall da, er hat sich heuer dreimal für ein Grand-Slam-Turnier qualifiziert. Wer Pouille in fünf Sätzen schlagen kann, das sind für mich Indizien, dass Novak kein Challenger-Spieler ist. Und in diesem Jahr hat er sich eine Wildcard für das Turnier in Wien auch richtig verdient. Und für Novak war es im letzten Jahr wichtig, dass er die vier Wochen Vorbereitung mit uns auf Teneriffa mitgemacht hat.
tennisnet: Ein paar Jahre jünger ist Jurij Rodionov. Wie sehen Sie dessen Perspektiven?
Bresnik: Er ist körperlich schon ein Büffel, hat einen sehr, sehr guten Aufschlag und eine Kaltschnäuzigkeit, die mir taugt. Technisch ist er gut, aber es gibt sicherlich einige Dinge, die verbessert werden könnten. Wenn ihm das gelingt, sehe ich keinen Grund, dass Rodionov nicht unter die Top 100 kommen könnte. Aber es gibt schon noch einige Fragezeichen. Man sieht ja auch bei jemandem wie Shapovalov, wie schwer der sich tut, den nächsten Schritt zu machen. Da waren in diesem Jahr schon einige Niederlagen dabei, die unnötig waren, weil es eben auch an technischen Dingen hapert. Wenn jemand in der Lage ist, mit der Vorhand einen Ball aus dem Halfcourt bei zehn Versuchen zehn Mal wegzuspielen, dann ist der für mich gut. Wenn es nur sechs Mal gelingt, dann wird das nicht funktionieren.
tennisnet: Gibt es ein Zeitfenster für diese Spieler, in dem man sich technisch verbessern muss?
Bresnik: Je länger man wartet, umso schwieriger wird es. Und dann kommen Spieler in ein Fahrwasser rein, wo sich nichts mehr bewegt. Dann ist man zwischen Nummer 50 und 90 - und eigentlich ganz zufrieden damit. Schauen Sie sich einen Lukasz Lacko oder Martin Klizan an. Der Klizan kann Tennis spielen wie von einem anderen Stern. Wenn ich mir neben Ernests Gulbis einen Tennisspieler aussuchen kann, dann wäre es der Klizan. Weil wie der die ersten Games in Kitzbühel gegen Dominic gespielt hat, dann kann kein Spieler der Welt mithalten. Wirklich keiner.