Ich bin da irgendwie dazwischen in der Meinung. Natürlich kann man Elfmeterschießen üben und das bringt im Fall der Fälle schon was, weil man einfach Routine hat. Jemand, der pro Woche 20 Elfer trainiert, wird im Fall der Fälle anders rangehen, als der, der noch nie einen geschossen hat. Was man nicht trainieren kann ist die nervliche Belastung eines Elfmeterschießens, das hat
@le Tissier sehr gut beschrieben.
Ich habe neulich erst wieder die Doku zur WM 1990 gesehen, wo Beckenbauer zum Elfmeterschießen gegen England sagt, dass er sich bei 4 Schützen (Matthäus, Brehme, Thon, Berthold - der wäre Nummer 5 gewesen) ganz sicher war, weil die das oft trainiert hatten. Nur der vorgesehene Völler fiel aus, dafür schoss dann Riedle, weil Reuter nicht wollte. Für den Franz war klar, trifft Riedle, gewinnt Deutschland. Obwohl er nach eigener Aussage auch wusste, dass Illgner im Elfmeterschießen eine einzige Katastrophe war
Es mangelt bei einem Profi doch nicht an der Fähigkeit einen ruhenden (!) Ball gezielt in eine Ecke zu schießen. Das kriegen die alle hin. Das ist ja eine der einfachsten technischen Bewegungen dieses Sports. Profis haben soviele Abschlüsse im Laufe ihres Lebens bzw im Laufe eines Trainingssjahres. Du kannst natürlich durch etliche Wiederholungen im Training eine Elfer Routine erzeugen aber wenn du dann in einem wichtigen Spiel am Punkt stehst ist die Nervenbelastung das Hauptproblem und nicht die motorische Umsetzung. Auch wenn du im Training die Fans oder den Laufweg von der Mittellinie zum Punkt simulierst. Entscheidend sind die Gedanken. Im Training macht Elferschießen Spaß und im CL Finale stehst du am Punkt und dir wird klar, dass du der Depp der Nation bzw des Clubs sein wirst wenn du es vermasselst. Manche Spieler werden ein Leben lang mit einem Fehlschuss vom Punkt assoziiert.
Wenn es nur um die reine Umsetzung der Schusstechnik gehen würde, hätte man andere Stats. Aber die Zahlen zeigen, dass der mentale Aspekt entscheidend ist. Mannschaften die einen Rückstand aufgeholt haben, haben bessere Chancen. Mannschaften die beim Elferschießen vorlegen dürfen haben bessere Chancen. Spieler mit Star Status und entsprechenden Erwartungen (also mehr Druck) haben schlechtere Quoten als die Rollenspieler der jeweiligen Teams. Der Schütze der am Ende treffen muss (!) hat eine katastrophale Quote. Der Schütze der am Ende den Sieg klarmachen kann (!) hat eine überragende Quote.
Wozu ich noch keine Zahlen gesehen habe aber was mich interessieren würde: Wenn der "etatmässige Schütze" einem Kollegen freiwillig und unaufgefordert den Ball überlässt (weil er dem Kollegen ein Tor gönnt) ist die Quote nach meinem Eindruck extrem hoch. (Kann aber auch damit zusammenhängen, dass das häufiger bei hohen Siegen passiert. Somit automatisch weniger Druck). Dagegen sieht man extrem oft Fehlschüsse nachdem sich zwei Spieler gezofft haben wer schießen darf.
Habe mich nie mit dem Ablauf bei Bayern vs Chelsea beschäftigt aber wenn es stimmt, dass das vor der Ausführung ein ziemliches Chaos war und einige Schützen nicht antreten wollten: Das ist mit Sicherheit nicht optimal und ein Handicap. Wenn einige Führungsspieler nicht antreten wollen rückt das die Drucksituation noch krasser in den Fokus und schafft Unsicherheit. Wenn der Trainer die Leute überreden und überzeugen muss, ist das eine ziemlich miese Ausgangsposition. Insofern stimme ich hier zu, dass es geholfen hätte vor dem Spiel ein Elferszenario zu besprechen. Aber nicht damit die Schützen "üben" können sondern damit man die Möglichkeit eines Elferschießens thematisiert und dann nicht plötzlich in der Situation Schützen suchen und diskutieren muss.
Aus meiner Sicht ist das "Schlimmste" in der Drucksituation, dass man am Punkt steht und an seinem Plan zweifelt. Darum halte ich es auch immer für sinnvoll (auch wenn es unsportlich ist) wenn der Keeper (bzw das verteidigende Team) für Verzögerung oder Ablennkung sorgen.
Das kann durch Zwischenrufe geschehen oder der Keeper weigert sich auf die Linie zu stehen und muss vom Schiri ermahnt werden. Auch der berühmte Zettel von Lehmann ist so ein Element. Der Schütze denkt darüber nach was wohl drauf stehen könnte. Auch wenn Keeper verrückt herumspringen oder eine gewisse Seite anzeigen. Dieser ganze Quatsch kann verunsichern und den Schützen zum Nachdenken bringen.
Mein persönliches Lieblingsvorgehen wenn meine Mannschaft einen Elfer verursacht hat:
Ich sage immer kurz vor dem Anlauf: "Hey, schau mal. Deine Mitspieler kämpfen hier am 16er um die bessere Position zum Nachlaufen. Nicht einmal die glauben daran, dass du triffst".
---
Ich glaube ein extrem interessantes Experiment wäre eine "Vorgabe" für den Schützen vom Trainerteam. Also dass dem Spieler gesagt wird:
Du schießt den Ball flach und scharf rechts unten. Gene auch in Kombination mit einer Begründung. (Beispielsweise dass der Keeper beim ersten Elfer oft stehen bleibt oder nach links geht.... Bla Bla)
Das erspart dir natürlich nicht die Nervosität und den Druck. Aber du bist nur noch "Ausführender" und nicht mehr derjenige der die schwierige Entscheidung treffen muss wohin der Ball fliegen soll. Du weiß, dass du den Plan umsetzen musst und bist nicht so geneigt darüber nachzudenken und daran zu zweifeln. Auch der Trainer hat dann einen Teil des "Drucks".
Die schlimmsten Elfer entstehen aus meiner Erfahrung wenn du am Punkt stehst und im Moment des Anlaufens plötzlich unsicher wirst was du tun sollst.