Man sollte vielleicht auch in beide Richtungen sehen, dass es nicht um eine Person alleine geht. Bei den jüngsten Verpflichtungen wurden - auch von den Spielern selbst - meistens die Namen Salihamidzic, Neppe, Nagelsmann und zum Teil auch Kahn genannt. Man scheint da bei Transfers zu einer guten Zusammenarbeit gefunden zu haben. Wie auch ein Roca oder Sarr vermutlich nicht auf dem Mist von Salihamidzic alleine gewachsen sein dürfte.
Dass man Brazzo zu Anfang ins kalte Wasser geworfen und allein gelassen hat ist offensichtlich, man denke an die PK nach der Entlassung von Ancelotti...
Er wurde aber auch nicht dazu und zu seinen teils wilden Außendarstellungen gezwungen. Natürlich sind Zusammenarbeit und interne
Kommunikation das A und O. In der aktuellen Transferperiode hat man so ein bisschen den Eindruck, dass Brazzo auch nicht mehr ganz so darauf aus ist, selbst in den Schlagzeilen zu erscheinen - was sehr wichtig und gut ist. Er ist Sportvorstand des FC Bayern - er muss niemandem beweisen, wie wichtig er ist, auch nicht den Medien. Er muss operativ (nicht öffentlich) agieren, delegieren und das so, dass er selbst am Ende dafür im Namen des Vereins geradestehen kann. Das ist ein schwerer Job und er wird nicht leichter, wenn da die Kalles und Ulis so tun, als würden sie ihn öffentlich stützen (und in Wirklichkeit nur - wohl ungewollt - beschädigen).
Aber es ist nunmal seiner. In der Kommunikation nach außen ist das in den letzten Wochen deutlich besser geworden, aber das Gefühl hatte man schon ein paar mal. Das muss zwingend (!!!) nachhaltig sein. Diese ganzen Gesprächs- und Verhandlungsdetails müssen intern bleiben - das liegt nunmal auch in seiner Verantwortung als Sportvorstand. Es ist egal, ob das in der (auch jüngeren) Vergangenheit immer von seiner Seite durchgestochen wurde: er muss dafür sorgen, dass das aufhört, sobald es die Vereinsseite betrifft (gegen Plauderei von Beratern kann er natürlich nicht viel tun, aber auch da hilft es, wenn Meldungen a la "Salihamidzic hat noch während der Unterschriftsgespräche mit Inter angerufen und versucht, Spieler X umzustimmen" einfach nicht passieren
können"). Es gab solche Meldungen zu oft, als das sie alle erfunden sein können.
So wie die letzten Transfers gelaufen sind: natürlich mit ein bisschen "lächerliches Angebot", "in den Vorstellungen noch weit voneinander entfernt", "mit dem Spieler schon einig" Geplänkel, was ja völlig üblich ist - aber im Kern seriös und sachlich. So muss das laufen, so ist das gut. Bitte, bitte dabei bleiben.
In der
Sache läuft dieses Transferfenster wirklich ziemlich gut und selbstredend ist dass dann ebenso Brazzos Verdienst. Eben weil er die Ergebnisse zu verantworten hat, genau wie bei der Außendarstellung. Wenn man da bis jetzt plus und minus gegenüberstellt, ist schon sehr viel im grünen Bereich, im Großen wie im Kleinen:
+:
- Mané zu einem guten Preis
- Gravenberch zu einem guten Preis
- Mazzraoui ablösefrei
- mit Zvonarek ein sehr spannendes Talent früh zu einem guten Preis eingetütet
- mit Pisano (Juve), Aznou (Barca) auch mal wieder wirklich internationale Talente für die U17/U19 geholt
- mit Hartmann von Hertha einen der national besten U-Trainer für die U19 gewonnen
- Roca sensationell gut verkauft
- gute Lösungen für die echten Eigengewächse Früchtl und Mai gefunden, die beiden eine ordentliche Perspektive bietet (Stichwort Fürsorgepflicht)
- das Riesenmissverständnis Fiete Arp vernünftig und im Sinne aller abgewickelt
- Chris Richards und Zirkzee für den eigenen Kader eingeplant (hätte ich genauso gemacht)
- gute und sinnvolle Leihe für das gute Talent Lawrence vereinbart
(auch solche Dinge verantwortet ja am Ende der Sportvorstand)
-
- Süle ablösefrei verloren
- Busser als Scout an den BVB verloren. Sicher ein guter Mann, auch wenn der französische Talent-Markt bei uns nicht so im Vordergrund steht, wie eben z.B. beim BVB
noch in der Schwebe:
- die Fälle Lewa und Gnabry - wo ich dem Verein bis jetzt nicht wirklich etwas vorwerfen kann. Lewas Verhalten ist einfach nicht gut, Gnabrys Forderungen sind nunmal noch zu hoch. Was soll Brazzo da machen, außer seriös und klar zu agieren? Das tzt er für mich bis jetzt.
- der Umgang mit den ganzen anderen Leih-Rückkehrern und Talenten, die eigentlich eine Leihe auf höherem Niveau brauchen
- Sarr "loswerden". Situation und Perspektive bringen ihm und dem Verein nichts.
Sonstiges:
- Tolisso ablösefrei verloren. Angesichts der damaligen Ablösesumme natürlich bitter, aber ein neues Angebot, was seinem Leistungsvermögen entspricht, wäre bei der Krankenakte einfach Unsinn gewesen. Und einen rein Einsatzbezogenen Vertrag hätte Coco sicher nicht unterschrieben. Bitter und am Ende teuer, aber in dem Fall eben alternativlos.
- im Unterbau verlieren wie mit Rhein und Booth zwei Spieler, die schon ein bisschen weh tun. Aber Rhein stagniert in seiner Entwicklung und will auch weg, was willste machen? Booth hätte ich ganz gerne mal bei den Profis als RV gesehen: der wurde prima vom OM zum RV+ umgeschult, hat bei seiner Leihe in Österreich voll überzeugt und steht mittlerweile im erweitereten Kader der US-NM. Aber mit 21 fällt er bei unserem U21-Konzept für die Amas durchs Raster, bei den Profis gibt es durch Mazraoui nur eine kleine Chance als offensiver-RV-Backup und bei Utrecht kann er erste Liga spielen. Irgendwo schade, aber irgendwo auch gut für Booth.
Wenn man das alles abwägt, dann ist das sowohl bei den großen, als auch bei den kleinen (aber für die Entwicklung des Vereins eben auch wichtigen) Entscheidungen bis jetzt eine wirklich sehr gute Transferperiode mit sehr vielen guten Entscheidungen.
Ich bin ganz sicher kein Brazzofan und beäuge die Darstellung und Kommunikation weiterhin kritisch. Aber in der Sache ist das in diesem Frühling bis Frühsommer bisher wirklich stark - und wenn Brazzo für Fehler in seinem Bereich geradestehen muss, dann gebührt ihm genauso jetzt das Lob. Weiter so Brazzo, das sieht im Moment ziemlich gut aus. Ich hoffe sehr, dass das so weitergeht.
Denn: wenn man immer sagt, dass kein Spieler und kein Funktionär größer als der Club ist, dann muss das auch im Umkehrschluss gelten. Es gibt auch keine persönliche Antipathie oder sonstwei gelagerte Ablehnung, die größer als der Club ist. Und wenn es, wie im Moment, gut läuft und vornehmlich gute Entscheidungen getroffen werden, dann ist Salihamidzic aktuell auch der richtige Mann in der richtigen Position.