@karmakaze
Zunächst zur Le Mans-Serie: Diese ist erstmal weit weniger TV-zentriert als die Formel 1 und backt, soweit ich das beurteilen kann, trotz der enormen Mittel, die einige Hersteller z. Zt. einsetzen, als Serie kommerziell deutlich kleinere Brötchen. Bei den Sportwagen war es natürlich immer so, dass höchstens 2-3 Hersteller, oft auch nur ein einziger, real um den Sieg kämpfen. Dafür wird das Starterfeld mit Autos aus kleineren Klassen aufgefüllt, und meist auch mit den entfernt serienversandten GT2-Auos (heißen die jetz noch so?). Das Feld ist also gut gefüllt, irgendwo bei dem langen Rennen ist immer was los und die Live-Zuschauer kriegen durchaus was geboten - zu deutlich geringeren Eintrittspreisen.
Die 24 Std. von Le Mans haben sowieso eine Art Volksfest-Charakter: beim den Start den Autos zujubeln, zum Vergnügungspark rüberlaufen, es bei der Schießbude versuchen, mit dem anderen Geschlecht flirten, Riesenrad fahren, einen trinken, Rausch ausschlafen und wenn man wieder aufwacht dem Siegerfahrzeug zujubeln.
Zugleich sieht man hier aber auch, dass der gleiche Weg bei der Formel 1 nicht gangbar ist. Die Formel 1 lebt von Autos mit einer möglichst großen Leistungsdichte.
Zur Formel 1-Technik schreibst du in den Punkten b) - d) Dinge, die im Großen und Ganzen richtig sind, trotzdem aber in meinen Augen momentan an zweiter Stelle kommen.
Die Hauptschwierigkeiten sind meiner Meinung nach im Augenblick folgende:
1. Motorenreglement: die Motoren sind einfach zu kompliziert und zu teuer. Zum einen sind die Kosten massiv mitursächlich für die finanziellen Schwierigkeiten der kleineren Teams. Ebenso gefährlich kann aber auch werden, dass die Kosten für die Verlierer nicht mehr zu rechtfertigen sind. Speziell Renault steht im Augenblick vor der Entscheidung, entweder mit einer großen Kraftanstrengung aufzuholen und möglichst ein eigenes Team zu kaufen, oder ganz aufzugeben. Ich sehe mindestens 50% Wahrscheinlichkeit, dass sie zu Saisonende "au revor" sagen. Die hohen Kosten und die steile Lernkurve machen aber auch den Neueinstieg eines weiteren Herstellers extrem schwer. An Honda sieht man die Schwierigkeiten eines Motorenbauers, der nur ein Jahr Verspätung hat. Honda scheint momentan zum Erfolg entschlossen. Und was, wenn wieder Finanzkrise zuschlägt (die eher früher als später kommt)? Im Prinzip müsste man die Freiheit bei den Hybridmotoren deutlich einschränken, um sie bezahlbar zu machen und weniger Leistungsunterschiede zu haben. Das passt natürlich den meisten aktuellen Herstellern nicht, die (noch) einen Technikwettbewerb auf Biegen und Brechen wollen. Und wenn die F1 dabei den Bach runtergeht? Dann steigen sie halt aus und suchen sich en neues PR-Vehikel.
2. Die Geldverteilung ist auf jeden Fall ein Schlüsselproblem. Wenn die ohnehin schon reichsten Team auch noch einen riesigen Vorsprung bei den Fernseheinnahmen haben und dazu noch Prämien erhalten, damit sie den Rahmenvertrag ("Concorde-Abkommen") überhaupt unterschreiben, wirkt sich das auch auf die Kosten der anderen Teams aus, die es sich ja langfristig nicht leisten können, 5 Sek. pro Runde langsamer zu sein. Irgendwo gibt es mit Geld immer was zu optimieren. Wenn es Testbeschränkungen und beschränkte Windkanalzeiten gibt, dann halt an anderer Stelle (Computersimulation, Materialforschung und wasweißich...). Die Mittelfeldteams müssen also alles zusammenkratzen, was sie kriegen können, um noch irgendwie in Schlagdistanz zu bleiben. Und je schlechter ihre Wettbewerbsposition ist, desto unattraktiver sind sie für Sponsoren und desto mehr müssten sie eigentlich von ihnen verlangen. Daher haben wir trotz der insgesamt sehr hohen Budgets eine Wiedergeburt der Bezahlfahrer erlebt und bei vielen Teams halb leere Sponsorenflächen. Erst recht ist es schwierig, als neues Team in die F1 einzusteigen. Lotus/Caterham und Manor/Virgin/Marussia haben 5 Jahre gebraucht, um von den Zeiten her den Anschluss ans Mittelfeld zu finden. Und noch im selben Jahr sind sie pleite gegangen. Zu allem Überfluss gilt dieses schlechte "Concorde-Abkommen" noch bis 2020.
3. Die Eigentümersituation bei der Formel 1: Wie schon erwähnt, hat Ecclestone die Rechte an der Formel 1 bereits im Jahr 1999 verkauft (und gilt seitdem als reichster Mann Englands, wobei ich tippe, dass einige Bankiersdynastien noch ein "bißchen" reicher sind, aber deren Zahlen stehen sicher nicht im Forbes Magazine). Heute ist er prinzipiell nur noch ein Angestellter, wenn auch ein sehr mächtiger
. Die aktuellen Teilhaber (Dachgesellschaft ist glaube ich die Delta Topco) sind bereits Nachkäufer, in der Regel Fonds, die die Anteile für noch teureres Geld gekauft haben und nun verzweifelt einen return on investment suchen. Daraus ergeben sich viele schlechte Entscheidungen der letzten Jahre: z. B. das Sterben der europäischen Tradtionsrennen und die Vergabe von Rennen an Strecken, die mehr zahlen. Das verzweifelte Buhlen um die großen Autohersteller, damit Big Money in die Formel 1 kommt bzw. dort bleibt, nachdem die Tabakfirmen weg sind. Die Schwierigkeit, das eine oder andere Problem mit pragmatischen Geldzahlungen zu lösen, wie Ecclestone es machte, als er noch alleiniger Herr im Haus war. Der Versuch Kundenteams zu etablieren, was schnell zum Sterben der kleinen Teams führen würde, damit die Delta Topco den kleinen Teams nicht mehr Geld zahlen und ihre Einnahmen schmälern muss.
4. Der Rückzug der FIA und die faktische Unmöglichkeit einer Kursänderung: Bekanntlich war Max Mosley, der zwar oft ein arroganter Schnösel, aber auch ein sehr kluger Kopf war, entschlossen, die F1 für die kleinen Teams offen zu halten. Mosley trat zurück, nachdem bei einer seiner privaten SM-Sessions eine Teilnehmerin in Geheimdienstmanier eine versteckte Kamera mitlaufen ließ und Fotos danach bei einem Murdoch-Schmierblatt landeten. (Auf soche Ideen kommen "Teilnehmerinnen" eventuell nicht von allein, aber das ist natürlich reine "Verschwörungstheorie").
Sein Nachfolger Jean Todt scheint sich trotz anerkannter Formel 1-Erfahrung nicht mehr um letztere zu kümmern. Offenbar müssen die Einnahmen aus der Formel 1, die er dann als Präsident an die nationalen Verbände verteilen kann (so läuft das Spiel in solchen Verbänden, siehe FIFA, IOC usw.), ihn überzeugt haben, die Herren des Geschäfts nicht mehr unangenehm zu belästigen. Die FIA kümmert sich nur noch ums Tagesgeschäft, aber nicht mehr um die Gesamrichtung. Damit fällt weitgehend die Instanz weg, die einen Interessenausgleich zwischen den großen und den kleinen Teams herbeiführen bzw. ohne Rücksicht auf Einzelinteressen ein funktionierendes Reglement erlassen könnte. Die Zusammensetzung der im "Concorde-Abkommen" vorgesehenen F1-Kommission spiegelt das wieder.
Damit ist die F1 nahe an der Handlungsunfähigkeit. Mercedes siegt sich zu Tode und langweilt die Zuschauer mehr, als Red Bull es je geschafft hat. Geldumverteilung geht nicht, weil die Verträge bis 2020 laufen und die Shareholder ohnehin schon mit ihren überteuert gekauften Anteilen hadern. Einbremsen der Motoren läuft nicht, weil die großen Hersteller das nicht wollen und die F1-Shareholder Glamour und Geld der großen Hersteller wollen.
Es gibt sicher auch andere Probleme: die insgesamt zu häufigen Regeländerungen, das von dir angesprochene künstliche Überholen, die schwere Verständlichkeit vieler Abläufe. Aber die geschilderten Strukturprobleme sind existenzbedrohend. Faktisch muss die F1 beten, dass sich die Zuschauer weiter einreden lassen, dass Ferrari die Formel 1 spannend machen kann (vielleicht, vielleicht...), dass die Mittelfeldteams trotz nachlassendem Publikumsinteresse weiter Geld auftreiben können, dass die Motorenhersteller nicht plötzlich den Stecker ziehen, dass Mateschitz nicht die Lust verliert und "Servus" sagt, und dass keine neue Finanzkrise kommt, die die F1 noch empflindlicher treffen würde als 2009, weil alle Budgets noch enger sind. All das kann zu einer Kettenreaktion führen, bei der die F1 möglicherweise komplett zusammenbrechen könnte und eventuell irgendwann gegründet werden muss, wie es schon mal mit der DTM passiert ist.
Wahrscheinlich würden viele Shareholder am liebsten ihre teuren Anteile verkaufen. Laut gestrigen
Pressemeldungen wollen ein US-Milliardär zusammen mit dem Islamismus-, Guerilla- und Terrorunterstützer-Scheichtums Katar die CVC-Anteile übernehmen. Have fun!
P.S.: Ein guter
Artikel von Michael Schmidt hat im letzten Jahr die zeitliche Entwicklung gut zusammengefasst. Bei technischen Sachen muss sich Schmidt als Journalist natürlich auch von anderen Quellen bedienen, aber wenn es um den Gesamtüberblick geht, ist kein anderer Journalist besser.