Am morgigen Mittwoch um 18.15 Uhr geht es bei der EM also gegen die ungeschlagenen Dänen um den Einzug ins Halbfinale. Die Tabellenkonstellation ist ein wenig unübersichtlich - aber als Faustregel gilt: Gewinnt Deutschland mit drei Toren Unterschied, sind sie durch. Wirft Deutschland mindestens 27 eigene Tore, reicht sogar ein Sieg mit zwei Treffern Differenz. Gewinnt Deutschland nur mit einem Tor, spielt Unentschieden oder verliert sogar, sinken die Chancen auf das Halbfinale drastisch.
Zeit, den Gegner Dänemark ein bisschen genauer unter die Lupe zu nehmen.
Jüngere Vergangenheit:
Dänemark hat bereits seit einigen Jahren Rekordeuropameister Schweden als beste skandinavische Mannschaft abgelöst. Die Dänen kamen von den letzten fünf Weltmeisterschaften dreimal mit einer Medaille (aber nie mit der Goldenen) nach Hause. Das schlechteste Ergebnis seit 2005 war der fünfte Platz bei der WM in Katar im vergangenen Jahr. Noch beeindruckender ist die Quote bei Europameisterschaften: Bei den letzten sieben EMs landeten die Dänen sechsmal auf dem Treppchen, zweimal holten sie den Titel. Eine Wahnsinnsbilanz für unseren kleinen nördlichen Nachbarn.
Kader:
Ich will nicht auf jeden einzelnen Spieler eingehen. Nur auf die, die am Mittwoch meiner Ansicht nach zu Beginn auf der Platte stehen werden. Generell liest sich der Kader der Dänen wie ein Bundesliga-Allstar-Team, das durch ein paar internationale Stars verstärkt worden ist. Elf der 16 Nationalspieler verdienen ihr Geld in der Bundesliga - und zwar fast ausschließlich bei den vier Top-Klubs Rhein-Neckar Löwen, THW Kiel, SG Flensburg-Handewitt und HSV Hamburg (Ok, mittlerweile Ex-Top-Klub). Nur zwei der Deutschland-Legionäre spielen beim Mittelfeld-Klub SC Magedburg. Die Dänen, die nicht in Deutschland aktiv sind, spielen beim französischen Top-Verein Paris St. Germain HB (2), beim spanischen Abo-Meister FC Barcelona (1) oder sind in zwei Fällen ihren Stamm-Klubs in Dänemark treu geblieben.
Niklas Landin (TW): Landin ist der Rückhalt vom Bundesliga-Zweiten THW Kiel. Der 27-jährige Zwei-Meter-Mann ist ein sehr ordentlicher, kompletter Torwart und wurde bei der EM 2014 auf seiner Position zum besten Spieler gewählt. Allerdings sind Landins Quoten in der Bundesliga in dieser Saison nicht überragend. Mit etwas mehr als 28 Prozent parierter Würfe liegt er "nur" im oberen Drittel. Eine bessere Bilanz hat beispielsweise Andreas Wolff vorzuweisen (33,3%). Es ist wohl kein Zufall, dass der THW Wolff zur kommenden Saison verpflichtet hat.
Hans Lindberg (RA): Was soll man über ihn noch sagen? Der 34-jährige ist trotz seines Alters einer der - wenn nicht sogar immer noch DER beste Rechtsaußen der Welt. Torschützenkönig der Champions League 2013, zweifacher Torschützenkönig der Bundesliga, All-Star der WM 2013 und vierfacher All-Star der Bundesliga. Trotz seiner schweren Nierenverletzung in der letzten Saison ist Lindberg in dieser Spielzeit wieder voll da und hat für den HSV Hamburg in 19 Spielen 148 Tore geworfen. Damit ist er aktuell der zweitbeste Torjäger in der Handball-Bundesliga. Der Führende der Rangliste, Petar Nenadic, hat zwar drei Tore mehr erzielt - hat allerdings auch schon ein Spiel mehr bestritten als der Däne. Vor dem Start der aktuellen Saison hatte Lindberg für den HSV in 224 Spielen sagenhafte 1462 Treffer erzielt. Rechnet man diese Torquote um, warf Lindberg in seiner Bundesliga-Karriere im Schnitt 6,5 Tore pro Partie. Nur zwei Spieler in der Geschichte der Handball-Bundesliga (Yoon Kyung-shin und Arno Ehret) können einen besseren Wert aufweisen. Jemanden wie Lindberg nennt man dann wohl lebende Legende.
Anders Eggert (LA): Auf dem anderen Flügel steht Anders Eggert Lindberg in kaum etwas nach. Seit 2006 für die SG Flensburg aktiv hat der 33-jährige in 268 Bundesligaspielen 1391 Treffer erzielt. In der Bundesliga belegt Eggert in der Torjägerliste der laufenden Saison Rang neun (105 Tore in 19 Spielen). Ähnlich beeindruckend sieht die Quote in der Nationalmannschaft aus. Hier kommt der Linksaußen auf 535 Tore in 146 Spielen.
Jesper Noddesbo (Kreisläufer): Der mittlerweile 35-jährige vom FC Barcelona ist seit 15 Jahren dänischer Nationalspieler und hat in dieser Zeit in 188 Partien vom Kreis 395 Tore erzielt. Dass er trotz seines fortgeschrittenen Alters nicht zum alten Eisen gehört, zeigt er bei dieser EM. Mit 13 Toren ist er der drittbeste dänische Torschütze – und das obwohl er sich die Spielzeit mit dem zweiten Kreisläufer Henrik Toft Hansen (Flensburg) teilt.
Mikkel Hansen (RL): Auch über Hansen muss man eigentlich nur wenige Worte verlieren. Der Welthandballer des Jahres 2011 ist bei dieser EM mit 20 Toren der Top-Torschütze der Dänen. Der 28-jährige spielt seit 2012 für Paris St. Germain HB und hat in der Nationalmannschaft die unheimliche Ausbeute von 644 Toren in nur 139 Spielen vorzuweisen. Dreimal Dänemarks Handballer des Jahres und die Berufung in zahlreiche All-Star Teams bei verschiedenen EMs und WMs vervollständigen die Vita.
Mads Christiansen (RR): Christiansen ist international das vielleicht unbeschriebenste Blatt der Dänen. Der 29-jährige wird bis einschließlich zum Ende dieser Saison ausschließlich in Dänemark aktiv gewesen sein. Im Sommer wechselt er dann in die Bundesliga zum SC Magdeburg. Christiansen bestritt bis zum Jahresanfang „nur“ 95 Länderspiele, in denen er 210 Tore erzielte. Dass man den Linkshänder trotz fehlender internationaler Meriten (zumindest auf Vereinsebene) nicht als Schwachstelle ausmachen sollte, zeigt er bei dieser EM. Mit 14 Toren ist er bislang der zweiterfolgreichste Schütze der Dänen.
Mads Mensah Larsen (RM): Bei ihm bin ich mir nicht ganz sicher, ob er beginnt, da die Dänen mit Larsen und Rasmus Lauge Schmidt (Kiel) auf der Rückraum-Mitte-Position zwei fast gleichwertige Spieler besitzen. Der 25-jährige Larsen zieht in der Bundesliga beim Tabellenführer Rhein-Neckar-Löwen die Fäden und hat dort in dieser Saison in 20 Spielen 67 Tore erzielt und weitere 19 vorbereitet. Lauge Schmidt (ebenfalls 25) trifft ein wenig seltener (61), bereitet dafür aber mehr Treffer vor (35). Egal, wer aufläuft, beide sind ganz starke Spielmacher/Ballverteiler, deren Kreise man unbedingt einengen muss.
Die Bank: Dänemark ist auf fast allen Positionen doppelt besetzt und kann ohne großen Qualitätsverlust wechseln. Nur auf Rückraum-Rechts seh ich hinter Christiansen ein großes Fragezeichen.
Stärken Dänemark:
Die Qualität des Kaders: Man sollte sich da nicht in die Tasche lügen. Dänemark hat zumindest auf dem Papier auf fast jeder Position die stärkeren Leute. Lediglich Wolff schätze ich als genauso stark oder sogar stärker als Landin ein. Der ist allerdings selbst definitiv keine Pflaume.
Die Breite des Kaders: Die Dänen sind auf fast jeder Position doppelt und vor allem nahezu gleichwertig besetzt. Ob da nun Larsen oder Lauge Schmidt, Eggert oder Mortensen, Lindberg oder Svan auf der Platte stehen - das sind alles Top-Leute, die in Elite-Klubs Stammspieler sind. Ausnahme ist der rechte Rückraum, wo die Dänen kaum Alternativen haben. Trotzdem ist der Unterschied zu Deutschland klar ersichtlich. Was machen die Deutschen beispielsweise, wenn Rune Dahmke auf Linksaußen ausfällt? Man sollte jedenfalls nicht erwarten, dass die Dänen mit zunehmender Spieldauer Schwächen zeigen, weil - wie beispielsweise bei den Russen - der zweite Anzug nicht passt.
Die Erfahrung des Kaders: Dazu will ich nicht groß was sagen. Wer ein wenig auf Wikipedia die Meriten der Spieler durchstöbert weiß, dass das fast alles unheimlich erfahrene Spieler sind. Die haben viel erlebt und werden sicher nicht sofort nervös, wenn Deutschland mal auf drei Tore wegzieht. Bei den Deutschen sucht man eine erfahrene Führungspersönlichkeit insbesondere nach Weinholds Verletzung vergebens. Vielleicht kann Lichtlein von Außen ein bisschen auf die Jungs einwirken, aber sonst...
Die Unberechenbarkeit des Kaders: Wenn es bei Spieler A nicht läuft, springt bei den Dänen Spieler B in die Bresche. Sieben Akteure der extrem spielstarken Skandinavier haben mittlerweile zehn oder mehr Treffer auf dem Konto. Den einen Schlüsselspieler, den die Deutschen ausschalten müssen, um zum Erfolg zu kommen, gibt es bei den Dänen nicht. Jeder Spieler kann der Schlüsselspieler sein. Das ist freilich eine Parallele zur deutschen Mannschaft.
Schwächen Dänemark:
Die Abwehr: Die Defensive ist sicher keine "echte" Schwäche der Dänen. Das zeigt auch die überschaubare Zahl der Gegentore. Trotzdem: Das verletzungsbedingte Fehlen von Abwehrchef Rene Toft Hansen (Kiel) ist meiner Meinung nach durchaus erkennbar. Ein Missverständnis hier, ein unnötiges Gegentor da und fehlende Absprachen dort drüben. Unverwundbar ist die dänische Abwehr bei diesem Turnier nicht.
Das Alter: Unter dem Punkt „Stärken“ hab ich das paradoxerweise als Erfahrung aufgeführt. Die Kehrseite der Erfahrung ist aber, dass fast die Hälfte der dänischen Mannschaft über 30 Jahre alt ist. Eggert, Lindberg und Noddesbo sind sogar schon 33, bzw. 34 und 35. Die dänische Bank ist zwar stark, trotzdem ist es möglich, dass es bei den Älteren mitllerweile ein wenig länger dauert, bis das eine oder andere Wehwechen auskuriert ist. Das wird besonders in Verbindung mit dem nächsten Punkt relevant.
Der Spielplan: Der Spielplan ist natürlich keine Schwäche Dänemarks, sondern eher eine Benachteiligung. Dass die Dänen 20 Stunden nachdem sie ihr Spiel gegen Schweden beendet haben, wieder gegen Deutschland auf der Platte stehen müssen, ist ein Witz. Ein Witz, den man als Anhänger der Deutschen natürlich lustiger findet als ein Anhänger der Dänen.
Die Tabellenkonstellation: Die Konstellation KÖNNTE sich EVENTUELL als Vorteil erweisen. Falls Deutschland zehn Minuten vor Schluss mit drei Toren führt, werden die Dänen vielleicht nicht mehr mit letzter Konsequenz auf den Anschluss drängen. Statt Tempo zu machen, werden sie ihre Angriffe möglicherweise lange ausspielen, um Zeit von der Uhr zu nehmen und eine höhere Niederlage zu vermeiden. Denn ab einem Sieg mit fünf bzw. sechs Toren Unterschied könnten die Dänen selbst noch rausfliegen. So ein Gijon light ist natürlich nicht besonders realistisch, ich weiß. Völlig Ausschließen würde ich dieses Szenario aber auch nicht.
Hans Lindberg: Ich weiß, den hab ich weiter oben als lebende Legende aufgeführt. Ist er meiner Meinung nach auch. Aber bei dieser EM kommt er bislang noch nicht so recht ins Rollen. Während er in der Bundesliga in dieser Saison im Schnitt mehr als sieben Tore pro Spiel wirft, traf er in vier EM-Einsätzen bislang nur viermal. Der Knoten könnte natürlich jederzeit platzen, aber im Moment präsentiert sich Lindberg (noch) nicht als der Ausnahmespieler, der er ist.
Schwächephasen: Vier Siege in vier Spielen sehen auf dem Papier tadellos aus. Aber bei aller Klasse, die die Dänen verkörpern, haben sie in fast jedem ihrer Spiele phasenweise sehr gewöhnlich ausgesehen. Die Partie gegen Russland war 53 Minuten lang eng (24:23). Erst als dem Gegner aufgrund seiner schwachen Bank am Ende die Puste ausging, konnten sich die Dänen absetzen. Die Partie gegen Prügelknabe Montenegro war generell ziemlicher Murks (30:28), durchgängig überzeugend war eigentlich nur das 30:22 gegen Ungarn. Spanien hat eine Halbzeit lang (scheinbar) die Blaupause geliefert, wie man die Skandinavier schlagen kann (14:11), musste aber erkennen, dass Dänemark um Trainer Gudmundsson zum einen stark adaptieren und zum anderen gleich mehrere Gänge hochschalten kann, wenn es nötig ist. Trotzdem: Die stetig auftretenden Schwächephasen der Dänen lassen sich nicht einfach wegdiskutieren.
Taktik gegen Dänemark: ???
Ganz ehrlich, ich hab keine Ahnung. Ich weiß nicht mal, ob ich lieber mit 6-0 oder 5-1 beginnen würde. Bei 6-0 haut dir eventuell Hansen aus dem Rückraum die Hucke voll, gehst du offensiver drauf und vesuchst den Rückraum unter Druck zu setzen, feiern womöglich die Kreisläufer und die Außen Weihnachten und Ostern zusammen. Man muss die Dänen nicht zu unschlagbaren Killermaschinen hochstilisieren (was ich hier wahrscheinlich trotzdem gerade tue), aber die schnüren schon ein unheimlich starkes Gesamtpaket. Außen, Rückraum, Kreis, Ballverteiler – das sind bei den Dänen alles Waffen. Da kannst du nicht sagen: „Och, den können wir halt mal werfen lassen...“.
Meine (äußerst) banale Marschroute wäre: Konsequent und mit Macht in die Lücken der nicht fehlerfreien dänischen Abwehr rein. Den schnellen Gegenstoß der Dänen mit allen Mitteln verhindern. Vorne variabel bleiben. Jedes Tor und jede Parade feiern und den Dänen richtig auf den Sack gehen. Unangenehm und gallig sein. Mannschaftliche Geschlossenheit demonstrieren. Schwächephasen konsequent ausnutzen. Hinten dicht (also doch besser die 6-0 Abwehr) - und hoffen, dass der dänische Rückraum einen miesen Tag erwischt hat.
Sorry für den Roman, hatte gerade Bock die losen Gedanken irgendwie runterzuschreiben.