Ich halte diese Zahlen oft für halb wahr - nicht nur bei Hertha.
Man bekommt das Gefühl, dass einige Manager einfach das eigene schlechte wirtschaften auf die Pandemie abschieben und sich somit aus der Schusslinie nehmen.
Reine Umsatzrückgänge sind die eine Sache, und die kann man auch ganz klar auf Corona abwälzen.
Man bekommt aber das Gefühl, dass auch jede kalkulierte Umsatzsteigerung in die Berechnung einfließt.
Beispiel TV-Vertrag: Der Vertrag sollte im Frühjahr 2020 neu verhandelt werden und die meisten sind vermutlich von einer erneuten Steigerung ausgegangen. Dann kam Corona und die Erlöse sind sogar leicht rückgängig gewesen.
Beispiel Transfererlöse: Viele Clubs haben die angespannte finanzielle Lage mit dem Argument "wir haben ja da noch 2-3, die uns zusammen ca. 50 Mio. Ablöse einbringen" wegerklärt, und konnten diese dann im letzten Sommer plötzlich nicht mehr realisieren.
Diese Dinge sind natürlich nicht komplett irrelevant, und es ist auch ok, wenn man bis zu einem gewissen Punkt die Einnahmen prognostiziert und anhand dessen die Kostenstruktur gestaltet.
Fatal ist es halt, wenn ohne die erhoffte Entwicklung das Kartenhaus komplett zusammenbricht, weil man bei den Prognosen schon mit dem Best-Case-Szenario gearbeitet hat und das Budget so auf Kante genäht war, dass jeder Cent unter den erhofften Einnahmen weh tut.
Sich dann hinzustellen und zu sagen "ja, aber Corona..." ist halt nur ablenken vom eigenen wirtschaftlichen Harakiri.
Wenn ich jetzt unsere Hertha nehme, dann haben wir pro Saison nicht mal 15 Mio. an Spieltagserlösen. Die kann man natürlich vollständig als coronaverursachte Umsatzrückgänge betiteln. Das macht inzwischen also ca. 20 Mio. an Mindereinnahmen aus.
Von mir aus packen wir da noch 10 Mio. entgangene Sponsoringerlöse drauf und sagen 30 Mio. sind wirklich direkt durch Corona flöten gegangen.
Dann haben die ganzen Tests und Vorschriften nochmal ein Mehraufwand erzeugt - großzügig gerechnet vielleicht 5 Mio. Euro.
Ersparnisse wie Gehaltsverzicht, Mieterlass, weniger Spieltagsaufwand etc. bleiben komplett unberücksichtigt.
Dann bin ich mit viel wohlwollen bei einem Coronaverlust von 35 Mio., was sicherlich nicht wenig ist, was definitiv weh tut, aber eben auch nicht dafür herhalten kann, dass man nach einem 374 Mio.-Invest (gefühlt) den finanziellen Notstand ausruft.
Und deswegen der Schwung zu @Basti77 zwinker
Wir gehen jetzt mal zurück zum 30.06.2018; eine Zeit, in der der Investor noch KKR und nicht Tennor hieß.
Zum damaligen Zeitpunkt hatten wir ein Umlaufvermögen von 11,1 Mio. Euro (davon 3,3 Mio. liquide Mittel) bei Verbindlichkeiten von 78,6 Mio. Euro.
Dann haben wir in den 6 Monaten bis zum 31.12.2018 u.a.:
- im operativen Bereich (exl. Ablösen) einen negativen Geldfluss von 23 Mio. erzielt (!)
- Darlehen und Vorauszahlungen über 104,4 Mio. erhalten (!!)
- allerdings nur 67,2 Mio. für Rückzahlungen (inkl. KKR) ausgezahlt
Danach hatte man Verbindlichkeiten von 122,4 Mio. Euro, bei fast gleichgebliebenen Umlaufvermögen.
Bevor mir jetzt jemand auf die Finger treten möchte, weil das rechnerisch nicht hinhaut (78,6 + 104,4 - 67,2 ungleich 122,4); in den Verbindlichkeiten sind auch Verbindlichkeiten aus LuL und Verbindlichkeiten aus Spielertransfers enthalten, die zum operativen Cash Flow zählen bzw. zum Cash Flow aus Investitionstätigkeiten. Des Weiteren werden Vorauszahlungen nicht als Verbindlichkeit sondern als passiver Rechnungsabgrenzungsposten ausgewiesen.
Kurz vor dem 30.06.2019 ist dann Tennor mit den ersten 125 Mio. eingestiegen, die zu gut 50 Mio. direkt in die Schuldentilgung flossen. Trotzdem hatte man zum Stichtag noch 91,6 Mio. an Verbindlichkeiten, bei einem Umlaufvermögen von 107,0 Mio. (davon 77,8 Mio. an liquiden Mitteln).
Und ab hier rechne ich jetzt einfach konsequent mit den Daten aus den Jahresabschlüssen vor:
77,8 Mio. € Cash zum 30.06.2019
- 36,4 Mio. € Geldfluss operatives Geschäft in 19/20 (man bedenke, Corona galt nur für 1/4 der Saison)
+ 20,0 Mio. € erhaltene Ablösen in 19/20
- 42,9 Mio. € gezahlte Ablösen in 19/20 (ja, trotz des Rekordwinters und dem Lukebakio-Transfer; der Rest wurde erst nach der Saison gezahlt oder ist immer noch offen)
- 2,8 Mio. € Investitionen in andere Assets
+ 0,1 Mio. € erhaltene Zinsen
+ 99,0 Mio. € zweite Tranche von Tennor im November 2019
- 17,0 Mio. € Rückzahlung der Genussscheine
- 25,4 Mio. € Rückzahlung von Darlehen und ähnliches
- 6,6 Mio. € gezahlte Zinsen
= 65,8 Mio. € Cash zum 30.06.2020
- 28,5 Mio. € Geldfluss operatives Geschäft in Hinrunde 20/21
+ 7,6 Mio. € erhaltene Ablösen in Hinrunde 20/21
- 38,1 Mio. € gezahlte Ablösen in Hinrunde 20/21
- 2,3 Mio. € Investitionen in andere Assets
+ 0,6 Mio. € erhaltene Zinsen
+ 64,5 Mio. € von Tennor im Rahmen der insgesamt vereinbarten 150 Mio.
- 10,0 Mio. € Rückzahlung von Darlehen und ähnliches
- 2,0 Mio. € gezahlte Zinsen
= 57,6 Mio. € Cash zum 31.12.2020
Der Jahresabschluss zum 30.06.2021 liegt noch nicht vor, weswegen hier dann die gesicherten Daten enden.
Zu dem Stichtag 31.12.2020 hatte man also noch 57,6 Mio. an liquiden Mitteln sowie ein paar Forderungen (7,2 Mio.). Dem gegenüber standen aber weiterhin 121,3 Mio. an Verbindlichkeiten, davon alleine 59,8 Mio. an noch nicht gezahlten Ablösen.
Gehe ich davon aus, dass nur die offenen Ablösen beglichen wurden, landen wir bei 0 (in Worten: Zero) Euro liquiden Mitteln und das nach bereits 288,5 Mio. erhalten Investorengeldern.
64,9 Mio. sind alleine im operativen Geschäft versunken, ca. 107 Mio. wurden für die Rückzahlung von Darlehen und den Genussscheinen ausgezahlt, weitere 8,6 Mio. gingen für Zinsen drauf, 140 Mio. flossen bereits oder müssen noch in Ablösen fließen, weitere 60 Mio. Verbindlichkeiten müssen früher oder später bedient werden...
Das war der Stand zum 31.12.2020.
Wie es seitdem aussieht, kann man nur erahnen.
Aber dass man im operativen Geschäft weiter negative Geldflüsse hatte und immer noch hat dürfte ziemlicher sein.
Die weiteren Investorengelder und erhaltenen Ablösen sind schlicht notwendig gewesen, um nicht langsam wieder in Schwierigkeiten zu geraten.
Ich will jetzt nicht sagen, dass wir gar nichts mehr haben, aber wenn man denkt, hier liegen jetzt 100 Mio. auf dem Konto rum, die man sich als Notgroschen hält, ist man aus meiner Sicht naiv.
Als Anmerkung dazu: Ich habe jetzt hier lediglich die Zahlungsströme versucht darzustellen. Das alles hat nichts mit Eigenkapital oder dem Verlust zu tun. Nicht jede Auszahlung stellt einen Aufwand dar und nicht jede Einzahlung ein Ertrag. Die Gewinn- und Verlustrechnung (GuV) kann demnach besser oder auch schlimmer aussehen.
Außerdem wurden mit den gezahlten Ablösen selbstverständlich auch Werte geschaffen, was man in diesem Sommer ja gut sehen konnte.
54 Mio. Euro Transfereinnahmen in einer Transferperiode sind für Hertha mal eben mehr als doppelt soviel, wie der bisherige Einnahmenrekord aus der Saison 16/17.