Auf Chamberlains Spuren
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Kobe Bryant ist zurzeit nicht zu stoppen In vier aufeinander folgenden Spielen erzielte der Superstar der Los Angeles Lakers je mehr als 50 Punkte – das schaffte vorher nur Wilt Chamberlain.
In der nordamerikanischen Basketballliga NBA geistert momentan wieder ein Name umher, der eigentlich aus einer längst vergessenenen Zeit stammt. Alle reden über ihn. Dabei weilt Wilt Chamberlain (leider) schon seit mehr als sieben Jahren nicht mehr unter den Lebenden. Sein Rekord jedoch ist und bleibt unsterblich – und unerreichbar, da sind sich alle Kenner einig: 100 Punkte in einem Spiel, wohlgemerkt von einem Spieler. Chamberlain erzielte diesen Fabelrekord beim 169:147 am 2. März 1962 gegen die New York Knicks.
Viermal 50 und mehr
Der Mann, der diese Legende kurz vor Beginn der Play-offs wieder ins Gespräch brachte, ist Kobe Bryant von den Los Angeles Lakers. Im US-amerikanischen Sportfernsehen diskutieren Journalisten und ehemalige Profis, ob Kobe Bryant jemals die Schallmauer von 100 Punkten durchbrechen wird.
Anlass dieser Debatte: Bryant begeistert zurzeit die Basketballwelt mit unfassbaren Zahlen: 65 Punkte gegen die Portland Trailblazers, 50 Punkte gegen die Minnesota Timberwolves, 60 Punkte beim Sieg gegen die Memphis Grizzlies und erneut 50 Punkte bei den New Orleans Hornets.
Damit ist der Guard der Kalifornier neben dem legendären Chamberlain erst der zweite Spieler in der NBA-Geschichte, dem in vier aufeinander folgenden Spielen 50 Zähler oder mehr gelangen. „The Stilt“ Chamberlain führt die ewige Rangliste der Liga mit sieben Spielen in Serie (1961/62) an. „Es ist eine große Ehre, in einem Atemzug mit Wilt genannt zu werden“, freute sich Bryant, der nicht nur wichtige Argumente im Rennen um die Ernennung des MVP (bester Spieler der regulären Saison) sammelt, sondern auch einige Sympathiepunkte in der Öffentlichkeit. Denn der oft arrogant wirkende Bryant ist nicht nur seit seiner Vergewaltigungsklage im Jahr 2003 bei den Fans wenig geliebt.
Mitten im Spiel gegen die Hornets lief Bryant zu einem fünf Jahre alten Jungen und raunte ihm zu: „Pass auf, ich schieß‘ einen Dreier für dich.“ Gesagt, getan: Mit *schier unglaublichem Selbstvertrauen versenkte der Shooting-Guard einen Drei-Punkte-Wurf, lief an dem kleinen Jungen vorbei und klatschte mit ihm ab – gut eingefangen von den Fernsehkameras. Nach dem Spiel gab sich der Top-Scorer bescheiden und gab zu Papier: „Meine Tochter wartete draußen auf mich und ich glaube, ihr ist es egal, was heute Abend passiert ist – sie will nur ihre Lieblings-TV-Serie gucken.“
Wer ist der Beste?
Aus dem von vielen Experten prognostizierten Zweikampf um den MVP-Titel zwischen Steve Nash (Phoenix Suns) und dem deutschen Superstar Dirk Nowitzki (Dallas Mavericks) scheint nun ein Dreikampf zu werden. Zumindest wenn Bryant weiter solche Schlagzeilen macht. Mit einem Schnitt von 30,8 Punkten pro Spiel führt der 28-Jährige die Top-Scorer-Liste. Im Unterschied zu den anderen beiden Kandidaten ist Kobe Bryant kein Teamplayer, sondern eher ein Einzelkämpfer, der zwar sein Mannschaft zu Siegen führt, seine Mitspieler aber nicht besser macht.
„Wenn er einmal einen Lauf hat, dann kannst du ihn einfach nicht stoppen“, sagte Mike Miller von den Hornets nach dem Aufeinandertreffen mit Bryant etwas resigniert. „Er wird einfach nicht müde und ist in unglaublicher Verfassung.“ Glaubt man den amerikanischen Medien, ist Bryant auch ein bisschen wütend. Denn vor zwei Wochen wurde die Nummer 24 der Lakers noch wegen eines Faustschlages gegen Marko Jaric (Minnesota) gesperrt. „Diese Suspendierung hat Kobe motiviert und noch stärker gemacht“, verrät sein Trainer Phil Jackson. Wie erzürnt müsste Bryant wohl sein, um den Rekord von Wilt Chamberlain zu brechen?
Bryants Bestmarke von 81 Punkten in einem Spiel stammt vom 22. Januar 2006 gegen die Toronto Raptors. Coach Jackson glaubt trotzdem nicht daran, dass sein Schützling Chamberlains Rekord bricht. „Das Spiel wird heutzutage anders gespielt, du bekommst nicht mehr so viele Chancen zu punkten“, so der Meistertrainer. „Und Kobe sieht das genauso.“ Aber diskutieren darf man ja.
David Nienhaus
Erschienen am 26.März 2007 in "die sportzeitung"