Box-WM
Amerika bestaunt den Riesen Walujew
Schwergewichts-Weltmeister Nikolai Walujew verteidigt zum ersten Mal seinen Titel in den USA
Von Gunnar Meinhardt
Chicago/Berlin - Diesmal musste Don King nicht lange grübeln. Die zwielichtigste Figur unter den umtriebigen Boxpromotor brauchte keinen Geistesblitz, um für die erste Titelverteidigung von Nikolai Walujew (33) in den USA mit einem originellen PR-Titel zu werben. Der Kampf des WBA-Weltmeisters aus St. Petersburg in Chicago gegen den Amerikaner Monte Barrett (Sonntag, 4.30 Uhr, ARD live) firmiert in Anspielung auf seine russische Herkunft unter dem Slogan "Big Red October".
Der Gag sei King gleich eingefallen, als das Kampfdatum feststand. Und überhaupt, so wenig Grips, um die Verkaufsmaschinerie in Gang zu setzten wie für dieses Schwergewichtsduell, habe der "Herrscher der Fäuste" (New York Times) noch nie investieren müssen. Zu Kings Klienten zählten immerhin Champions wie Muhammad Ali, George Foreman, Larry Holmes oder Mike Tyson.
Walujews gigantische Körpermaße lassen die Fantasien blühen. Zumal er als einziger unter den angesagten Schwergewichtlern unbesiegt ist (44 Kämpfe). Für King ein gefundenes Fressen.
Dass der 75-Jährige keine Skrupel kennt, wenn es ums Geldmachen geht, trifft allerdings nicht den Geschmack von Walujew, der eher ein Wort weniger als eines zu viel sagt, der die Ruhe liebt, der gern liest und Angeln geht. Zähneknirschend und grimmiger Miene ertrug der größte und schwerste Weltmeister der Boxgeschichte seine geschmacklose und teilweise peinliche Zurschaustellung. Kings verbale Assoziierungen für das "menschliche Monster" reichten vom "Achten Weltwunder" und dem "Beast from the East" bis hin zu Vergleichen mit Hollywoods Kultaffen King Kong. "King has found his Kong" hieß es in der ersten Pressemiteilung, bevor sie gemeinsam von der Ost- zur Westküste durch die TV-Shows und Pressekonferenzen tingelten.
"Ich hasse all diese Spitznamen und Schlagzeilen", sagt Walujew. Es sei schwer, das alles trotz des Wissens um die Gesetzmäßigkeiten des Boxbusiness nicht persönlich zu nehmen. Abseits vom Medienzirkus versuchte der kahlköpfige Riese den ungläubigen Reportern mit sanfter Stimme zu erklären, dass er keine Maschine sei. "Ich bin auch kein Roboter. Ich bin auch kein Fleischstück, für das die Menschen bezahlen, wenn ich im Ring stehe. Ich bin ein Mensch. Ich habe eine wunderbare Familie, lebe in einem schönen Land und habe Freunde. So wie andere normale Menschen auch."
Sein Ziel hat King fürs erste erreicht. Den Nerv seiner stets nach Superlativen gierenden Landsleute hat er getroffen. Schon beim Wiegen am Donnerstagmittag vor dem Sears Tower, mit 448 Metern der dritthöchste Wolkenkratzer der Welt, versammelten sich über 2000 Menschen, um das Ungeheuer aus dem Osten zu begaffen, das die Herzen der Amerikaner erobern soll. Und sie staunten nicht schlecht, als Walujew 148,7 Kilogramm auf die Waage brachte. Damit ist der Koloss über 47 kg schwerer als sein Herausforderer. Der zudem 17 Zentimeter kleinere Barrett (31 Siege/4 Niederlagen) zeigt sich dennoch unerschrocken: "Für Walujew gibt es nur zwei Dinge: Er geht zu Boden und bleibt liegen. Ich werde als Erster ein Weltwunder ausknocken.". Viele US-Boxexperten trauen das dem New Yorker zu. Walujews Traum von Millionenbörsen wäre dann geplatzt.
Vor neun bzw. fünf Jahren boxte er schon einmal in Übersee. In Atlantic City trat er im Vorprogramm auf - was keiner zur Kenntnis nahm. Beide Male verließ er den Ring als K.o.-Sieger. Kein Kampf dauerte länger als zwei Runden. Sollte Walujew auch diesmal kurzen Prozess machen, wird er sicher bewundert. Die Frage ist nur, ob wegen seiner Boxfähigkeiten oder wegen seiner außergewöhnlichen Erscheinung.
Artikel erschienen am 07.10.2006