Kannst du denn das ansatzweise beantworten? Also wie gut die Trainingsbedingungen wirklich in Deutschland sind?
Ich denke schon: Die Trainingsbedingungen in Deutschland sind im internationallen Vergleich mindestens im oberen Drittel anzusiedeln. Es gibt alleine 16 Bundesstützpunkte im Deutschen Leichtathletik-Verband, die sich intensiv um Bundeskaderathleten kümmern - klar, dass junge Athleten/-innen es erst einmal dahin schaffen müssen. Trainer/-innen werden in der DLV-Akademie ausgebildet. Es gibt ein umfassendes Unterstützungsprogramm für Vereine, aber auch für Schulen. Zur Talenterkennung gibt es bis in die unteren Ebenen Sichtungswettbewerbe etc.. Die Deutsche Sporthochschule in Köln ist Forschungs- und Leistungsunterstützungszentrum für viele Sportarten, darunter selbstverständlich auch für die Leichtathletik.
Ein weiteres, sehr professionelles Standbein als Ergänzung ist die Förderung von Spitzensportlern durch die Bundeswehr in Sportfördergruppen. Daneben bestehen vergleichbare Fördersysteme bei der Bundespolizei (Zoll) und den Polizeien der Bundesländer.
Im Hinblick auf die Befreiung der finanziellen Lasten werden neben Stipendiaten dort auch sog. Staatsamateure als Sportsoldaten/-innen von Mannschaftsdienstgraden bis hin zur Offizierslaufbahn gefördert. Dies soll dazu dienen, dass sich diese Sportler/-innen rein auf die Verbesserung der sportlichen Leistungsfähigkeit konzentrieren. Weitere finanzielle Förderungen erfolgen durch die Stiftung Deutsche Sporthilfe.
Richtig ist natürlich, dass nicht alle Sportler/-innen durch den Sport reich werden, gerade deshalb gibt es diese Fördersysteme - die Leichtathletik ist hier zumindest nicht schlechter gestellt, als die anderen Sportarten, die nicht im besonderen Fokus der Öffentlichkeit stehen. Trotzdem sind die Erfolge in diesen anderen Sportarten unter gleichen Bedingungen zum Teil erheblich größer.
Ist es Zufall, dass gefühlt eine der wenigen Topathletinnen in der LA in die USA gegangen ist, um dort top trainieren (oder was auch immer ) zu können?
Fakt ist doch, dass sich praktisch kein Mensch in Deutschland für Leichtathletik (mehr) interessiert.
Das ist eine Momentaufnahme, die sich immer auch am Angebot am Markt und vor allen Dingen an den Begleitbedingungen entscheidet. Sportarten werden durch Stars groß gemacht und verschwinden durch deren Abwesenheit auch wieder in der Versenkung, wobei die Vermarktung der Medien eine entscheidende Rolle spielt. Bestes Beispiel ist Tennis. Wäre der Medienhype um Becker und Graf ausgeblieben, so wäre Tennis so unbedeutend geblieben, wie es heute wieder ist.
Deutsche Topathleten gehen zur weiteren Leistungssteigerung zum Teil ins Ausland, dass Training bei den Toptrainern der internationalen Topstars ist dabei - solange Erfolge die Kritik an den Trainingsmethoden inkl. des zumindest latenten Dopingverdachts nicht verstummen lassen - durchgehend nicht unumstritten. Weitreichend ausbleibende Erfolge stellen diesen Weg zumindest überwiegend auch in Frage.
Es sei denn es gibt Olympische Spiele, aber dort auch fast nur, wenn es Medaillen gibt. Die Finals 2022 in Berlin der Deutschen Meisterschaften fanden gefühlt in einem leeren Stadion statt. Das macht natürlich auch etwas mit der Jugend und dem Interesse an der Leichtathletik. Während man früher noch ein richtiger Star werden konnte und deutlich mehr Aufmerksamkeit bekommen hat, will halt heute fast jeder Fussball spielen. Und laufen, springen, rennen ist verkürzt formuliert auch nicht der spannendste Sport den man üben/trainieren kann.
Spaß am Sport ergibt sich aus dem Talent, dass sich auf den untersten Ebenen des Sports zunächst einmal völlig unabhängig vom Interesse der Allgemeinheit an der jeweiligen Sportart entwickelt. Richtig ist, dass für begabte Kinder Idole eine wichtige Funktion haben und da ist der Fußball überbordend. Richtig ist auch, das Eltern solcher begabter Kinder die finanziellen Entwicklungsmöglichkeit nicht selten in den Vordergrund stellen und dass dadurch Sportarten wie Fußball, Tennis, Eishockey, Motorsport sehr weit vorne sind. Im Hinblick auf die Jugend ist das aber ein reines gesellschaftlich selbst geschaffenes Problem.
Natürlich spielen viele Faktoren eine Rolle, aber deine Argumentation mit den verweichlichten Sportlern ohne Siegeswille und Mentalzwerge ist mir irgendwie zu monokausal. Nach der Logik müsste man noch in viel mehr Sportarten abschmieren.
...und genau das ist das, was passiert. In vielen Sportarten müssen deutsche Sportler/-innen erklären, warum es im entscheidenden Moment nicht dazu gereicht hat, die Vorleistungen zu bestätigen. Von Verweichlichung ist dabei nicht die Rede, sondern von mentalen Einbrüchen.
Da das, was ich dazu schreibe, hier als Trollerei betrachtet wird, liefere ich gerne noch mehr Trollerei aus unberufenem Munde:
DLV-Cheftrainerin Anett Stein schrieb:
Wenn ich auf die Leistung der Athleten schaue, muss ich feststellen, dass 40 bis 45 Prozent der hier angereisten [deutschen] Athleten ihr Leistungsvermögen nicht abrufen konnte.