Naomi Osaka verdreht den Japanern den Kopf. Mit ihrem Sieg bei den US Open hat die 20-Jährige ganz Nippon zu Tennisfans gemacht. Premierminister Shinzo Abe dankte ihr per Twitter, sie habe Japan «in diesen schweren Zeiten einen Schub der Inspiration geschenkt».
Osaka soll das Gesicht der Olympischen Spiele von Tokio 2020 werden, heisst es – ausgerechnet Osaka, die nicht nur kaum Japanisch spricht, sondern als Tochter einer Japanerin und eines Vaters aus Haiti auch nicht japanisch aussieht. Das ist von Bedeutung in Japan, das sich noch immer an die Fiktion klammert, es sei eine ethnisch homogene Nation. Wer einen nicht japanischen Elternteil hat, wird hier «hafu» genannt, von «half» – «halber Mensch».
Die Zeitung «New York Times» jubelte, sie werde die Japaner dahin führen, das Konzept ihrer nationalen Identität zu überdenken und ihre Gesellschaft zu öffnen. Ähnlich klang es, als Yu Darvish, dessen Vater aus dem Iran stammt, zum Baseballstar wurde. Oder beim Sprinter Asuka Cambridge mit einem Vater aus Jamaica.
Naomi Osaka ist in Japan geboren. Als sie drei war, zogen ihre Eltern mit den beiden Töchtern in die USA, um sich solchen Diskriminierungen zu entziehen. Naomis Grossvater hatte Tamaki Osaka, ihre Mutter, verstossen, als er von deren Beziehung zu Naomis schwarzem Vater erfuhr. Naomis Vater bereitete Naomi und ihre zwei Jahre ältere Schwester Mari in Florida gezielt auf eine Tenniskarriere vor. Als Naomi zehn war, entschied der Vater, sie spiele für Japan. Mit 15 wurde sie Profi. Sie hat einen japanischen und einen amerikanischen Pass.
Nach Japans Gesetzen durfte sie als Jugendliche zwei Staatsbürgerschaften haben, als Erwachsene nicht mehr. Die Regierung setzt das Verbot nicht durch, sie bestraft Doppelbürger nicht, sondern ermahnt sie nur, einen der beiden Pässe abzugeben. Doch ist das auch im Falle eines Stars möglich, über den jedes Detail an die Öffentlichkeit gezerrt wird? Und was passiert, wenn dieser in Ungnade fallen sollte?
Manche Athleten zerbrechen am Druck, der auf «hafus» lastet. Scheitern sie, heisst es, sie seien keine richtigen Japaner. Osaka macht den Medienzirkus geduldig lächelnd mit, mit Witz und Charme. Sie wird Japans Darling bleiben, solange sie sich benimmt. Und solange sie für Japan gewinnt.
(Christoph Neidhardt/Tokio)