LAOLA1: Keine Ratschläge braucht wahrscheinlich auch Novak Djokovic, der sich bei den French Open seinen 19. Grand-Slam-Titel holte. Was sagst du zu dieser beeindruckenden Vorstellung?
Leitgeb: Man hat gesehen, dass es zwischen Physis, Athletik und Technik – die hohe Ballgeschwindigkeit bzw. die hohe Ballrotation vom Rafa - noch eine andere Komponente gibt, die den Tennissport so attraktiv macht und das ist die taktische Seite. In den Spielen gegen Nadal und Tsitsipas hat Djokovic sicherlich nicht wie der bessere Athlet, der bessere Rückschläger oder der bessere Volleyspieler ausgesehen, er war letztendlich aber der bessere Taktiker. Ich halte von Tsitsipas wahnsinnig viel, weil er als einziger der jungen Generation verstanden hat, dass ein Tennisplatz auch ein Schachbrett ist. Man hat aber gemerkt, dass Tsitsipas nicht nur an seiner körperlichen Müdigkeit gescheitert ist, sondern dass er auch im Kopf müde geworden ist. Er konnte dieses Konzept über einen längeren Zeitraum nicht durchziehen. Nole hat die Physis, den Kampfgeist und auch diese Fähigkeit zur Dauer-Konzentration. Und das hat ihn letztendlich zum Sieg geführt.
LAOLA1: Was zeichnet Djokovic sonst noch aus?
Leitgeb: Ich habe mit ihm ja relativ viel Kontakt, weil er so wie ich auch in Marbella lebt. Es ist beeindruckend mit welchem Zugang er an dieses Thema herangeht. Was wenige Leute wissen: Er hat in den letzten Monaten alles komplett dem Ziel untergeordnet, noch einmal Paris zu gewinnen. Das hat mit Tennis gar nichts zu tun, sondern vielmehr mit seiner Einstellung. Er hat eher weniger Tennis gespielt, sondern vielmehr andere Dinge getan. Er hat sich viel mit dem Spiel auseinandergesetzt und ist dann auf die Idee gekommen, diesen Rückhand-Stop einzutrainieren, der ihm letztendlich beide Partien (Anm.: gegen Nadal und Tsitsipas) gebracht hat. In den hat er sich komplett verkopft. Teilweise habe ich in Spanien die Diskussionen mit seinen Betreuern mitverfolgt, die bei diesem Thema nicht immer mit ihm konform gingen. Das war aber seine Idee und die hat er durchgesetzt. Ich habe ähnliches zuvor bei Nikolay Davydenko erlebt: Der hat monatelang einen Schlag trainiert, um Roger Federer zu schlagen. Das ist ihm dann auch zwei Mal gelungen.
LAOLA1: Kannst du die Bedeutung dieses Schlags vielleicht noch näher erläutern?
Leitgeb: Das ist ein Schlag, der mit Talent nichts zu tun hat, sondern den man genauso trainieren muss wie eine Rückhand. Es gibt bei diesem Schlag nur ein ganz kleines Zeitfenster, um den Ball mit dem richtigen Rückwärtsdrall zu treffen. Für einen Konter-Spieler wie Djokovic ist das eine ganz wichtige Waffe. Was immer unterschätzt wird: Der Stop ist eine Variante des Angriffballs. Man soll beim Stop ja nicht hinten hängen bleiben. Wenn du deinem Gegner weite Wege auf der Grundlinie gibst und du kannst diesen Schlag, dann gibst du ihm noch einmal sehr, sehr weiten Weg obendrauf.
Ronnie Leitgeb im LAOLA1-Interview über Tulln-Challenger, Thiem und Djokovic.
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