Die Sicht auf Haye ist in Teilen geradezu grotesk. Haye ist für seinen derzeitigen Leistungsstand körperlich fit in den Ring gegangen. Mit seinen Videos bringt er das selbst zum Ausdruck. Vom ersten Gongschlag an sieht man einen Haye, der seinen Stil nicht mehr umsetzen kann, der wie schon im ersten Kampf schwerfällig und lahm durch den Ring stakst und stattdessen wieder herumposed und Faxen macht, die für genau gar nichts gut sind. Bellew macht das sehr geschickt, schaut sich Haye genau aus und beendet den Kampf entsprechend.
Natürlich hat Haye mit Bellew Cherrypicking beabsichtigt. Leider war Bellew nicht die großmäulige Laufkundschaft, für den er ihn gehalten hat. Wenn man bedenkt, dass Haye eine Chance auf den WM-Kampf gegen den Sieger aus Parker-Ruiz Jr. hatte und sich für Bellew entschieden hat, dann wird klar, wo er sich selbst verortet hat und worum es ihm ging. Er wollte sich über die reine Geldnummer Bellew einen Big-Money-Fight gegen Joshua sichern, dort wieder den Sprintmeister geben und abcashen. Geld war immer seine einzige Maxime. Das ist normal, das ist menschlich, aber durch sein gegenteiliges Gequatsche und sein Wegrennen im Ring sollte er sich bei Boxfans eigentlich diskreditiert haben.
Die Karriere von Haye war nach einem soliden Start im CW gegen ebenso solide Aufbaugegner und sehr wenigen signifikanten Kämpfen mit maximaler Titelausbeute keineswegs so stellar, wie manche Fans es gerne sehen wollen. Undisputed? Zwei WM-Kämpfe in CW sind in Wirklichkeit gerade mal ein Anfang, der dann im Nichts endete. Die Gegner natürlich völlig legitim, aber eben auch wieder gut ausgesucht. Der schnelle Aufstieg ins HW wäre zweifelsfrei akzeptabel - wenn das auch Haye trotzdem nicht zur ganz großen Nummer im CW gemacht hätte - wenn Haye im Schwergewicht tatsächlich die Herausforderung gesucht hätte, von denen er immer gefaselt hat. Die riesige PR-Nummer in Richtung der Klitschkos und dann fröhliches Abseilen aus diesen Kämpfen, bei denen er an einen Sieg nicht wirklich geglaubt haben dürfte. Nun könnte man sagen: "Aber er hat sich doch mit Valuev eine riesige Herausforderung gesucht." Warum ist der Kampf in Erinnerung? Weil er den alten Tapsbär in der letzten Runde zum Wackeln gebracht hat. Doll! Hat Bergeron auch schon hinbekommen und davon redet kein Mensch. Zeigt mal wieder wie wichtig gutes Marketing ist. Der Kampf selber war übrigens eher zum Abgewöhnen und keineswegs deutlich. Auch die Ruiz-Nummer war bei Licht besehen zwar eindeutig, aber wenig erbaulich. Ruiz war zäh, der Sieg bis auf den Schluss alles andere als berauschend. Und sonst? Ganz maue Nummer gegen Wladimir Klitschko, Witzkampf gegen Harrison, mehrere Absagen gegen Fury und den einzig guten Kampf im Schwergewicht gegen den phlegmatischen Chisora. Dieser Kampf zeigte noch einmal, was Sache ist. Ein im Saft stehender Haye gehörte zu den damaligen Top-Leuten im Schwergewicht, aber nicht, weil er ein so herausragender Boxer ist, sondern weil die überwiegende Konkurrenz einfach sehr mau ist. Ansonsten Cherrypicking ohne Ende, wenn man es freundlich ausdrückt: Gegner immer gut ausgeguckt und gewählt und ansonsten ein Soufflé.
Immerhin in Sachen Selbstvermarktung und Sponsoren- sowie Fanblendung ist Moneymaker Haye zweifelsfrei ATG. Chapeau!