Hier meine Prediction, die ich perspektivisch auf Arreola gerichtet habe. Beginnend mit ein paar Mythen über den Kämpfer Arreola, danach die "Schlüssel zum Sieg" und am Ende ein kleiner Ausblick, also Szenarien, die ich für besonders wahrscheinlich halte.
Mythos #1: Mangelnde Präzision.
Ich finde es erstaunlich, daß man ihm in Diskussionen stets mangelnde Präzision vorwirft, auch Sdunek sprach von einem „wilden Indianer“, als man ihn nach seiner Meinung zu Arreola gefragt hat. Ich glaube, die Zahlen zeichnen ein Bild, das mit diesem Urteil nicht übereinstimmt: Arreola bringt es im Mittel auf eine Trefferquote von über 50%. Wer Anschauungsmaterial will, dem seien die Kämpfe gegen Israel Garcia und Travis Walker an dieser Stelle wärmstens empfohlen: Gegen „King Kong“ Garcia glänzt Arreola mit chirurgischen Uppercuts, gegen Walker überzeugte er statistisch. Obwohl die Workrate seit der Gewichtszunahme merklich abgenommen hat, bringt es Arreola immer noch auf stolze Zahlen. Er brachte gegen Walker in einer Runde mehr Powershots an den Mann als sein Gegner im kompletten Kampf, bei rund achtzig Schlägen mehr. Arreola ist fast ein reiner Instinktboxer, der ein feines Gespür für die Lücken seiner Gegner entwickelt hat, und weiß, wie man diese Schwächen verwertet. Man denke an Aufwärtshaken gegen McCline, und die nachfolgende Schlaghand.
Mythos #2: Die katastrophale Beinarbeit.
Sicherlich, seine Beinarbeit ist weit davon entfernt, gut zu sein. Aber sie ist auch nicht so abgrundtief schlecht, wie sie derzeit geredet wird. Wäre sie das, könnten sich auch seine größeren, stärkeren Gegner dem Druck besser entziehen, darunter erfahrene Leute wie McCline, talentierte, smarte Boxer wie Witherspoon, oder einfach große, nicht unbegabte Männer wie Wills und Tann. Zudem steht Arreola selber stabil, bringt sich bei Angriffen in eine gute Position und gibt seinen Schlägen damit genügen Power. Auch das ist ein Aspekt der Beinarbeit, der häufig unterschätzt wird. Um Vitali zu knacken, bedarf es auf diesem Gebiet dennoch einer Verbesserung. Ramirez hat erkannt, daß ein Verharren in der mid-range verheerende Folgen für seinen Boxer hätte. Wichtig für Arreola ist also ein schnelles Überwinden der Distanzen, aber das wissen wir bereits, denn das ist ein Problem, mit dem alle Klitschko-Gegner zu kämpfen haben. Im schlimmsten Fall droht ihm die selbe Hölle, in die Peter geraten ist. Soviel sei gesagt: Hudson hat sich dieser Probleme bemächtigt, und den Fokus seiner Arbeit auf die Stärkung des Unterkörpers, insbesondere der Beinarbeit, gelegt. Ich habe eine Vielzahl entsprechender Trainingsvideos gesehen. Es sah hart aus, hart, aber vielversprechend.
Mythos #3: Die Nehmerfähigkeiten.
Arreola habe noch nie solche Shots schlucken müssen, wie das, was er von Vitali heute abend eingeschenkt bekomme, heißt es unisono. Das mag vielleicht stimmen. Vielleicht auch nicht! Er bringt eine harte Schlaghand, aber im Gegensatz zu seinem Bruder einen eher lockeren Jab – sich ergebend aus seiner eher unorthodoxen Kampfhaltung, mit häufig tiefhängender Führhand. Vitali ist ein Zermürber, der seine Gegner über die Menge der Treffer schier in die Knie zwingt. Ihm ist es nicht gelungen, einen Gomez, der für überbordende Nehmerfähigkeiten nicht gerade bekannt ist, kurzrundig abzuschießen. Und auch der demolierte Peter musste nicht ein einziges Mal auf die Bretter, obwohl er gegen McCline in besserer Shape und früher Kampfphase gleich dreimal zu Boden gegangen ist. Was Vitali in Wahrheit auszeichnet, ist keine hervorragend ausgeprägte Schlaghärte, kein „poppiger Schlag“, sondern eine Kombination aus drei Dingen: Ein verhältnismäßig guter Punch, Präzision und Quantität der Treffer, sowie Effizienz im Vermeiden. Arreola hat mit Walker bereits einen Mann geboxt hat, der über eine sehr ausgeprägte Single Punch Power verfügt. Dort musste er „ein Knie nehmen“, sich also einer taktische Auszeit bedienen, um aus einer brenzligen Situation herauszukommen. Davon abgesehen wird Arreola nicht selten abgekontert, im Infight getroffen; McCline schüttelte ihn mit zwei linken Haken durch, Garcia und Witherspoon trafen, als Arreola den Vorwärtsgang einschaltete. „Ungetestet“ ist Arreolas Kinn für meine Begriffe nicht, weder im Wettkampf, noch in Sparrings. Das wäre für seinen Stil des Boxens nicht nur kontraproduktiv, sondern schlichtweg tödlich.
Die Schlüssel zum Sieg #1: Der lange Weg in den Infight.
Arreolas vorgebliche Marschroute, und daraus machen seine Leute kein Hehl, zielt über direkten Weg in den Infight. Zum einen deshalb, weil es die unbestreitbare Stärke Arreolas ist, und zum anderen, weil der Infight zu den wenigen Schwächen Klitschkos gehört. Das wusste Lennox Lewis, das weiß Arreola. Das Schwierige freilich ist nicht diese Erkenntnis, sondern die Route dorthin: Sie ist ein steiniger, holpriger Abschnitt an Schwerstarbeit. Wie überbrückt man die Distanz gegen einen Gegner, der die Vergrößerung selbiger weltmeisterlich versteht? Das wird die spannende Frage. Wenn Arreola kein probates Mittel findet, verläuft der Kampf ähnlich wie der im letzten Oktober. Ein in der Halbdistanz verharrender Arreola wird von einem voraussichtigem Klitschko förmlich abgeschossen, abgekontert. Entscheidend in diesen Belangen ist das Timing: Wann kommt der Step-in? Wann werde ich dynamisch? Wann bringe ich die lange Rechte, um die Distanz zu überbrücken? Diese Art des Kämpfens liegt in Arreolas Blut; er hat das Zeug dazu, in den jeweiligen Situationen das instinktiv Richtige zu tun.
Die Schlüssel zum Sieg #2: Mentale Stärke.
Das ist ein wichtiger Punkt. Arreola muss die Nerven behalten. Er wird womöglich früh zurückliegen, hart getroffen werden. Angesichts solcher Negativerfahrungen darf er nicht fahrlässig werden, nicht fahrig, nicht nervös, nicht unkonzentriert. Champions zeichnet es in der Regel aus, daß sie beim Überschreiten der Schwelle – also schwierige Titelkämpfe o.ä. – die notwendige mentale Stärke aufweisen und den Gegner „niederringen“. Er braucht Kontrolle und Fokussiertheit. Erstens: Kontrolle und Klarheit über jede Situation, zweitens: Fokussiertheit als Bewusstsein der eigenen Ziele und Wünsche, der eigenen Schwächen und Stärken, woraus letztlich die Motivation bezogen wird. Ein Moment der Unachtsamkeit kann den Kampf auf beiden Seiten entscheiden. Ich hoffe, daß er die Stärke und die Coolness der Pre-Fight-Phase mit in den Kampf nehmen kann. Denn nicht selten sind Klitschkos Gegner (Hide, Peter, u.a.) schon besiegt, bevor der Kampf überhaupt begonnen hat…
Die Schlüssel zum Sieg #3: Der Infight.
Wenn er dort angekommen ist, wo er hinmöchte, hat er alle Trümpfe in seiner Hand. Er beherrscht die Schläge bravourös, die ein Infighter schlagen muss. Allen voran den Uppercut, der präzise und gut getimed kommt, der hier aber erst in den hinteren Runden zum Zuge kommen dürfte. Nicht weniger wichtig wird der linke Haken sein, als Teil einer Serie, zu Körper und Kopf variiert. Gerade der Körper könnte eine Schlüsselrolle spielen: Klitschko ist alt, seine Reserven werden mit Sicherheit schneller aufgebracht sein als in seiner Prime - unabhängig davon, was er im Vorfeld eines Kampfes sagt. Bodyshots klingen jedenfalls nach einer probaten Rezeptur, um dem Ukrainer den Wind aus den Segeln zu nehmen, insbesondere in der zweiten Kampfeshälfte. Nicht vergessen sollte man außerdem, daß einer der Schläge, der Vitali mutmaßlich im Sparring 2005 gefällt hat, ein Bodyshot gewesen ist. Richtigerweise hat Ramirez den gesamten Oberkörper zur Trefferfläche erklärt. Gut möglich, daß Klitschko sich deshalb etwas mehr Muskelmasse zugelegt hat, um noch robuster zu werden. Sei‘s drum: Arreola ist ein Biest im Infight. Er schlägt schnell, variabel, hart, präzise, er versteht es, unbeholfene Clinch-Versuche abzuwehren und die Rotation des Oberkörpers in den Schlagbewegungen gewinnbringend zu nutzen. Das ist also alles andere als ein stumpfsinniges Bearbeiten des Gegners.
Der mögliche Kampfverlauf:
Für mich hängt alles von der Frage ab: Wie gut wird Arreola heute abend sein? Denn wie gut Vitali ist, das weiß man. Gelingt es Arreola, druckvoll zu agieren und zu treffen, gebe ich ihm Chancen, die prozentual gesehen weit über den Promillebereich hinausgehen. Infight ist für beide Klitschkos Gift. Allerdings ist es ein langer, beschwerlicher Weg in die Short Range: Der Konter, als „half hook“ oder ansatzlose Rechte geschlagen, lauert überall. Außerdem weiß Klitschko, wie man die Distanz im rechten Moment vergrößert. Das sorgt für Frustration beim Gegner. Ein weiterer Punkt wird sein: Wie groß ist Arreolas Frustrationstoleranz? Verliert er die Nerven, verliert er den Kampf. Einfache Sache. Vitali ist ein abgewichster und äußerst schlauer Boxer, da sollte man Betriebsunfälle möglichst vermeiden.
Sollte Arreola seinen Gameplan nicht umsetzen können, weil er an der Klasse seines Gegners scheitert, wird er in den mittleren bis hinteren Runden entweder vom Ringrichter rausgenommen, oder Ramirez schmeißt aus Fürsorge das Handtuch. An Aufgabe glaube ich nicht. Schafft er es jedoch, Klitschko in den Brawl zu zwingen, sehe ich da Möglichkeiten auf einen Sieg, den aktuell keiner erwartet.
Geträumt habe ich Arreola WTKO11 Klitschko, ich würde einen Sieg im Falle des Falles jedoch zwischen siebter und neunter Runde positionieren.
PS: Ich hoffe, es nimmt keiner an der Länge Anstoß. Ich verfolge Arreola seit Ewigkeiten und würde mich auch als "Fan" bezeichnen. Also ist dieser Kampf in gewisser Weise sowas wie ein Highlight für mich.